Als ich 1995 „Die letzte Kriegerin“ im Kino gesehen habe, hat mich das Maori-Sozialframa schlichtweg umgehauen mit seiner Wucht. Danach wurde es nicht direkt still um Regisseur Lee Tamahori, immerhin ging er nach Hollywood, aber zu solch großartiger Filmform ist Tamahori nicht wieder aufgelaufen. Nun kehrt Tamahori mit „Mahana“ zu sienen Maori-Wurzeln zurück und erzählt eine sehenswerte Familiengeschichte.
Nach seinem vielbeachteten und intensiven Spielfilm-Debut „Die letzte Kriegerin“ (1994), in dem Temuera Morrison, der in „Mahana“ den Großvater und Patriarchen mimt, einen saufenden und prügelnden Ehemann spielte, führte es den Regisseur direkt nach Hollywood, wo er einige mehr oder minder gelungene Arbeiten mit unterschiedlichem Kassenerfolg ablieferte (u.a. „Next“, “James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag“, und „xxx2 –The Next Level“) und auch für ein Skandälchen gut war. Nun wirkt es fast so, als sei der Regisseur wieder bei sich selbst angekommen, was nicht nur an der Maori-Thematik liegt, sondern auch an der formalen Umsetzung, die selbstbewusst und mit eigener Färbung in Stil großer amerikanischer Melodrama gehalten ist.
Großvater Tamihani Mahana (Temuera Morrison) ist ein gemachter Mann, der die Familie mit eiserner Hand zusammenhält. Als Schafscherer hat er sich hochgearbeitet und gebietet nun in den 1960er Jahren über einen angesehenen Familien-Clan, der durch die Schafwirtschaft zu einigem Wohlstand in Neuseelands Nordosten gekommen ist. Alle fügen sich mehr oder minder klaglos in das Familiengebilde hinein, nur der 14-jährige Simeon (Akuhata Keefe) begehrt auf, denn er hat Schwierigkeiten mit dem bedingungslosen Gehorsam, den der Großvater einfordert.
Außerdem hat der Junge ein Auge auf die Tochter der verfeindeten Familie Poata geworfen, die in seine Klasse geht. Der Grund für die Familienrivalität ist den jüngeren Mahanas eigentlich nicht recht bekannt, aber als Simeon auf ein altes Foto stößt, das seine Großmutter zusammen mit Rupeni Poata zeigt, beginnt er nachzufragen und die Fronten zwischen Enkel und Großvater verhärten sich bis es zum endgültigen Eklat kommt und Simeon und seine Eltern das Familienanwesen verlassen müssen.
Eigentlich macht schon das absurde Autorennen der beiden Familienklans auf dem Weg zu einer Beerdigung klar, wohin der Hase läuft. Hier werden lange und tiefe Abneigungen gepflegt und gehegt, so dass es keine Versöhnung geben kann. Dass nun Simeaon ein Auge auf eine Poata geworfen hat, hat beinahe Shakespearehaften Charakter und ist doch nur eine Randnotiz indem Familiendrama.
Die Konfliktlinie verläuft nicht zwischen Vater und sohn, sondern überspringt eine Generation und macht damit den gravierenden kulturellen Einschnitt deutlich. Die Mahanas befinden sich im Limbus zwischen traditioneller hierarchischer Stammeskultur, der Gesellschaftsform der Briten und dem modernem Individualismus, den die Popkultur in Gang bringt. Der grundsätzliche gesellschaftliche Wandel der 60er Jahre macht auch vor Neuseeland nicht halt. Das ist in dem epischen Melodram zwar auch fotogen überzeichnet, aber mit viel Leidenschaft für die Charaktere dargestellt, so dass es keinen klassischen Helden und Bösewicht gibt, sondern vor allem Menschen, deren Beweggründe man als Zuschauer nachvollziehen kann.
Kamerafrau Ginny Loane sorgt in der etwas nostalgisch farbreduzierten Bilderwelt des Films für spannungsgeladene Aufnahmen, auch wenn die dramatische Rückblende auf das Familiengeheimis, das man sich an diesem Punkt des Films eh schon zusammengereimt hatte, Hitchcock zitiert. Auch verfällt der Film nicht der Versuchung die Landschaft Neuseelands über Gebühr zu inszenieren, sondern ordnet alles dem Primat der Handlung unter. Und diese wird von einem großartigen Ensemble vorangetrieben, das frisch und unverbraucht wirkt, auch wenn man das eine oder andere Gesicht schon einmal gesehen hat. Die dramatische Zuspitzung der Konflikte während des jährlichen Schafschur-Wettbewerbes“ wäre vielleicht nicht notwendig gewesen, funktioniert aber filmisch ganz ausgezeichnet.
Die Romanvorlage zu „Mahana – Eine Maori-Saga“ stammt von dem Autor Witi Ihimaera, der als erster Maori überhaupt verlegt wurde. Von ihm stammt auch die Geschichte zu „Whale Rider“, deren Verfilmung weltweit ein Arthaus-Hit war. Und auch „Mahana“ zeigt die Probleme und Wandlungen der Maori-Gesellschaft, die in den 1960er Jahren irgendwo zwischen eigener Tradition und Anpassung an den westlichen Lebenswandel der nicht-indigenen Bevölkerung pendelt und droht ihre Identität zu verlieren.
„Mahana – eine Maori-Saga“ ist ein großartiges Familiendrama geworden, das zwar die Probleme der Maori in den 1960ern auf dem Punkt bringt, aber mitseiner Figurenkonstellation durchaus übertragbar wäre und so eine Allgemeingültigkeit hat, die hoffentlich viele Zuschauer in die Kinos bewegt. Zart und hart, poetisch und wuchtig ist „Mahana“ ganz großes Erzählkino.
Film-Wertung: (9 / 10)
Mahana – Eine Maori-Saga
OT: Mahana
Genre: Drama , Melodram,
Länge: 103 Minuten, NZ, 2016
Regie: Lee Tamahori
Romanvorlage: Witi Ihimaera
Darsteller: Temuera Morrison, Akuhata Keefe, Nancy Brunning,
Vertrieb: Prokino
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 01.09.2016