Inzwischen ist der letzte Film des 1986 verstorbenen russischen Filmmachers Andrej Tarkowskij auch schon drei Jahrzehnte alt. Seinerzeit wurde das in Schweden gedrehte Drama nicht nur in Cannes mehrfach ausgezeichnet. Absolut Medien hat das letzte Meisterwerk des Filmpoeten nun erstmals in restaurierter Fassung veröffentlicht. Gelegenheit, sich mit dem großen Filmpoeten und vielleicht bekanntesten russischen Regisseur seit Sergej Eisenstein zu beschäftigen.
Auf der kargen schwedischen Insel Gotland hat der ehemalige Intellektuelle und Schauspieler Alexander (Erland Josephson) seine Zurückgezogenheit gefunden. Zusammen mit seiner Frau Adelaide (Susann Fleetwood) und dem jungen Kind, das Alexander nur Jungchen (Tommy Kjellqvist) nennt, lebt er mit einigen Bediensteten in einem schlichten Holzhaus. Alexanders 50. Geburtstag steht an und zur Feier reisen Viktor (Sven Wollter), ein Freund, und Alexanders erwachsene Tochter Martha (Filippa Franzén) an.
Alexander und sein Sohn pflanzen am Ufer des Meeres einen vertrockneten Baum und der Vater erzählt dabei die Geschichte eines alten Mönchs, der selbiges getan hat und die Pflanze jahrelang goss, bis sie wieder Blüten trieb. Der Inselpostbote Otto (Alan Edwall) bringt einige Glückwünsche vorbei und verwickelt den Jubilar in philosophische Betrachtungen als die Gäste auch schon eintreffen.
„Wenn der Film nicht Dokument ist, ist er Traum.
Während der abendlichen Feier, zu der auch Otto geladen ist und die nicht so recht in Schwung kommen will, verfinstert sich der Himmel und das Haus wird erschüttert. Das daraufhin eingeschaltete Fernsehen berichtet nur von einer diffusen katastrophalen Bedrohungslage, und rät den Menschen dort zu bleiben, wo sie gerade sind. Während Adelaide in Hysterie verfällt, Arzt Viktor die Frauen mit Beruhigungsspritzen versorgt und Söhnchen friedlich schläft, weiß eigentlich niemand, was genau los ist.
Letztlich stielt sich Alexander zu der Magd Marie (Guðrún Gísladóttir) fort. Otto, Sammler unerklärlicher Phänomene, war zu dem Schluss gekommen, dass Alexander die Frau mit den besonderen Fähigkeiten aufsuchen muss, um die Katastrophe abzuwenden.
Darum ist der Tarkowskij der Größte.
Andrej Tarkowskij erzählt in „Opfer“ mit überschaubarem Ensemble, ohne Spezialeffekte und in langen tableauartigen Sequenzen eine aufgeladene, anspielungsreiche und symbolträchtige Parabel über das Leben, die Furcht und die letzten Dinge. Alles in diesem Film ist ausdeutbar, interpretierbar und beschäftigt sich letztlich mit existentiellen Fragen und Ängsten. In Alexanders Leben offensichtlich auch die Frage nach dem Wert des eigenen Lebens und nach dem, was er hinterlassen wird. Daneben erstreckt sich das Themenspektrum auf etliche religiöse, psychologische und philosophische Aspekte. Dieses existentielle Infragestellen erstreckt sich durch viele von Tarkowskijs Filmen, nur wirft er in seinem Spätwerk den „Ballast“ einer äußeren Handlung, der beispielsweise die „Science-Fiction“-Dramen „Solaris“ und „Stalker“ noch zusammengehalten hat, fast gänzlich über Bord
Wohl wissend, dass er schwer krank ist, widmet Tarkowskij den Film seinem Sohn, was den Szenen mit dem toten Baum am Meer, die eine filmische Klammer bilden, eine besondere Bedeutung verleiht. Und wie Söhnchen am Ende auch, fragt sich der Zuschauer, „Warum, Vater? Warum?“ während der Kamerablick auf die tote Baumkrone und das offene Meer hinausgleitet.
Er bewegt sich im Raum der Träume mit schlafwandlerischer Sicherheit, er erklärt nicht.“
Über Tarkovskij und seine wenigen, aber eindrucksvollen Filme (sieben Spielfilme von 1962 bis 1985) ist viel geschrieben worden und der Filmmacher hat selbst viel Lesenswertes geschrieben. Zur ersten Vertiefung ist der Wikipedia-Eintrag über A. Tarkowskij durchaus empfehlenswert, über „Opfer“ hat Klaus Kreimeier tiefgründige Texte verfasst, die unter filmzentrale.de zu finden sind. In den Jahren nach dem international viel beachteten „Stalker“ (1979) hatte es Tarkowskij zunehmend schwer, in Russland Filme zu realisieren. Seine beiden letzten Werke entstanden im Ausland: „Nostalgia“ 1983 in Italien und „Opfer“ in Schweden. Nicht umsonst weist Tarkowskijs letzter Film eine große Nähe zum schwedischen Regisseur Ingmar Bergman, der Tarkowskij sehr schätzte, auf, spielt auf „dessen“ Insel und vertraut Erland Josephson („Das Gesicht“, „Fanny und Alexander“) nach „Nostalgia“ eine weitere Hauptrolle an. Auch Kameramann Sven Nyquist (Die unendliche Leichtigkeit des Seins“, „Gilbert Grape“ hatte zuvor mit Bergman gearbeitet („Schreie und Flüstern“). In Opfer sorgt seine ruhige Kameraführung erneut für großartige Bilder.
Er ist ein Seher.“ (Ingmar Bergman)
Und dennoch hat Andrej Tarkowskij eine ganz eigene Bildsprache, mit er es immer wieder schafft, auf irritierende Weise Filmrealität mit Traumsequenzen zu durchweben und seine großen Themen zugleich so abstrakt wie konkret zu halten. Wie schon zu Tarkowskijs Lebzeiten wird seine Art filmisch zu erzählen, kein Mainstreampublikum ansprechen und gerade das vermeintlich Langatmige und Theatherhafte stellt heutiger Sehgewohnheiten anfangs sicher auf die Probe. Dass in „Opfer“ nichts erklärt, sondern nur geschildert wird, macht die Sache nicht zugänglicher. Doch gerade darin entfaltet „Opfer“ seine eigentliche Wirkung. Die Reduktion äußerer Handlung, die atmenden Einstellungen der parabelhafte Umgang mit der Natur machen die psychologischen Momente erst so eindrucksvoll sichtbar. „Opfer“ wie auch „Stalker“ schienen seinerzeit leichter begreifbar; durch die atomare Bedrohung des Kalten Krieges und auch durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986, die Tarkowskij im Nachhinein den Ruf eines Visionärs einbrachte. Doch die existentiellen Themen des russischen Filmpoeten haben nichts von ihrer Relevanz verloren.
Die bei Absolut Medien erschienene Blu-ray beinhaltet wie auch die Doppel-DVD von 2008 zudem die Dokumentation „Regie: Andrej Tarkowskij“ von Michal Leszczylowski. Der ist eigentlich Cutter und hat die Dreharbeiten zu „Opfer“ auch dokumentarisch begleitet. Herausgekommen ist ein purer Einblick in die Arbeitsweise des russischen Regisseurs, die mit einigen Interviews und Zitaten von Tarkowskij angereichert ist. Cineasten werden sich in diesem Filmdokument verlieren können, das weit mehr ist, als nur ein Making of zu Tarkowskijs letztem großen Werk.
Wer das einflussreiche und international hochgeschätzte Werk des 1986 verstorbenen russischen Filmmachers Andreij Tarkowskij bislang nicht kennt, erhält mit der nun erschienenen restaurierten Fassung von „Opfer“ gleich ein spätes Meisterwerk. Sicher nicht Tarkowskijs zugänglichster Film, aber einer seiner besten. Großes Kino.
Film-Wertung: (9 / 10)
Opfer
OT: Offret
Genre. Drama,
Länge: 147 Minuten, S, 1985
Regie: Andrej Tarkowskij
Darsteller: Erland Josephson, Guðrún Gísladóttir, Alan Edwell
Bonus: Dokumentarfilm: „Regie:Andrej Tarkowskij“
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Absolut Medien
Kinostart: 08.01.1987
DVD-VÖ: 30.05.2008
BD-VÖ: 09.07.2015