Tokyo Tribe: Rhymes of Power & Death

Eine Manga-Adaption von Regisseur Sion Sono verspricht zumindest ein wildes und mutiges Projekt zu werden. Der japanische Filmmacher und Künstler hat sich des beliebten Mangas „Tokyo Tribe 2“ von Santa Inoue angenommen und daraus nicht weniger gemacht als eine Hip-Hop-Oper. Die Erfindung eines neuen Filmgenres in allen Ehren, aber in „Tokyo Tribe“ ist längst nicht alles Gold, was den Rappern um den Hals glänzt.

In naher Zukunft sind Tokios 23 Stadtbezirke unter Clans aufgeteilt. Diese verteidigen ihr Territorium zwar massiv, aber nicht alle Gangs sind gleichermaßen aggressiv. Der machthungrige und brutale Yakuza Buppa (Riki Takeuchi), der auch Chef des Bukuro Wu-Ronz Clans ist, allerdings hätte gegen die Alleinherrschaft über die Stadt nichts einzuwenden. Als sein Schlachterjunge und Handlanger Mera (Ryohei Suzuki) dann seinen alten Intimfeind Sunmi (Nano Seino) herausfordert und den überall geachteten Tera umbringt, beginnen die Clans sich gegen Buppa aufzulehnen. Außerdem taucht im Stadtgebiet noch ein unbekanntes Mädchen auf, das zum Spielball der brutalen Kerle wird.

Mangaka Santa Inohue legte seine Serie als distopischen Entwurf an, in dem sich Gangs fünf Jahre nach den (fiktiven?) Shibuya Unruhen das Stadtgebiet aufgeteilt haben. Der Manga lief von 1997 bis 2005 und wurde auch als Anime-Serie umgesetzt. Interessierte finden die Serie irgendwo online mit englischen Untertiteln. Der Originaltitel „Tōkyō Toraibu Tū“ (Tokyo Tribes 2) zeigt, dass es einen Vorgänger gibt: „Tokyo Tribe“ erschien 1993 als in sich abgeschlossenes Manga. In jüngster Zeit mehren sich auch Gerüchte, dass Inoue als Produzent eine neuen Serie des beliebten Mangas vorantreibt, die 2016 erscheinen soll. Aber genug der Vorrede.

Sion Sono gilt gemeinhin als „Enfant Terrible“ des japanischen Films und haut mit beständiger Regelmäßigkeit zahlreiche Filme raus („Suicide Club“, „Love Exposure“, „Cold Fish“„Guilty of Romance“). Immerhin hat er 2014 nur an „Tokyo Tribe“ gearbeitet. Seitdem sind schon wieder fünf neuen Filme in der Mache. Und bezüglich der Schauwerte hat „Tokyo Tribe“ auch Einiges zu bieten, was provozieren soll und den kruden Stilmix ausmacht, den man von dem Filmmacher erwartet: Gewalt, Sex, schrille Charaktere und bonbonfarbene Neonkulissen fügen sich allerdings in „Tokyo Tribe“ nicht immer zu einem stimmigen Ganzen.

Der Ansatz, die Kultur des Hip-Hop, der den Manga extrem beeinflusst, auch dergestalt einzubinden, dass die Gespräche und Monologe als Sprechgesang vorgetragen werden, ist stimmig; die Besetzung mit japanischen Rappern logisch und folgerichtig. Dabei führt Sumni in das Setting und die Orientierung ein und fungiert in gewisser Weise als Erzähler, so wie der Marktplatz der Eröffnungsszene mit seinem „neutralen“ Treiben in gewisser Weise der Fixpunkt der ausufernden Erzählung ist. Während eine Oma an den Turntables kryptische Messages ablässt, entfaltet sich die Story von den 23 Clans wie ein munterer Ringelreigen. Bisweilen verliert der Film aber auch seine Spannungsbögen und verheddert sich in Nebenhandlungen.

„Tokyo Tribe“ hat definitiv einige Pluspunkte zu verbuchen: Dazu gehört der für Nicht-Japaner durchaus schräge Charme japanischer Rhymes, während die Beats dazu sämtliche Spielarten von Hip-Hop durchexerzieren. Das musikalische Konzept gefällt. Auch die Aufstellung der Clans und die zugrundeliegende Frage nach Macht, Freiheit und Veränderung ist solide aufgezogen und hat ihre Faszination. Selbstverständlich fallen einem in diesem Kontext auch amerikanische Großstadt-Bandenfilme ein (etwa Walter Hills „Warriors“, 1979) und auch das Musical „West Side Story“ (1961) hat Pate gestanden.

Warum aber Sion Sonos „Tokyo Tribe“ letztlich nicht überzeugt, lässt sich klar definieren: Der Film nimmt seine Vorlage und seine Figuren nicht ernst, übersteigert die Charaktere (vor allem die Bösewichte) ins Lächerliche und begibt sich, befeuert von der musicalhaften Überspitzung, relativ zügig und zielsicher in Richtung einer Posse, die zwar hiphop-technisch Bezüge zum albernen, posierenden US-Gangster-Rap aufweist, aber auf der Leinwand nicht zu überzeugen weiß. So bleibt vieles Attitüde, bleibt in der Pose stecken, ohne bedrohlich zu wirken.

Sion Sono hat mit seiner „Tokyo Tribe“-Adaption ebenso wie der deutsche Regisseur Alexander Freydank jüngst mit seiner Verfilmung von „Kafka Der Bau“ viel gewagt und ist Risiken eingegangen. Das freut und ist begrüßenswert, auch wenn das Ergebnis in beiden Fällen nicht zu überzeugen weiß. Reibungfläche bietet „Tokyo Tribe“ für interessierte Filmfans allemal genug. Schöner Scheitern mit Sion Sono!

Film-Wertung: 4 out of 10 stars (4 / 10)

Tokyo Tribe
Genre: Sci-Fi, Musical, Action
Länge: 116 Minuten, J., 2014
Regie: Sion Sono
Manga: Santa Inohue
Darsteller: Ryohei Suzuki, Riki Takeuchi, Nano Seino
FSK: Ab 16 Jahren
Vertrieb: Rapid Eye Movies
Kinnostart: 16.07.2015