If…: Englische Internatserziehung in den Sechzigern

Im Hamburger B-Movie Kino steht der Mai unter dem Motto Britische Filme der 1960er Jahre. Da gibt es einige schöne Wiedersehen zu feiern. Unter anderem auch Lindsay Andersons „If…“ der heute als einer der wichtigsten britischen Filme der Sechziger gilt und in Cannes mit einer Goldene Palme ausgezeichnet wurde. Interessant ist „If…“ auch in Hinblick auf den Kinostart des deutschen Spielfilms „Freistatt“ (26.06.2015), der die deutsche Heimerziehung der Sechziger unter die Lupe nimmt.

An einer (exemplarischen) britischen Privatschule herrschen Tradition und Disziplin. Den Alltag organisieren die Schüler weitgehend selbst im College Haus, während das Lehrpersonal sich auf den Unterricht und andere Verpflichtungen konzentriert. Das Kontrollsystem ist streng hierarchisch gegliedert und jede Stube hat einen Stubenvorsteher. Dabei unterscheiden sich die jüngeren Jahrgänge kaum von den älteren. Über allem steht eine vierköpfige Clique um den Hausvorstand Rowntree (Robert Swann). Die Hausvorstände identifizieren sich stark mit den zu vermittelnden Werten des Colleges und so ist ihnen die aufmüpfige Art von Mick Travis (Malcolm McDowell) ein Dorn im Auge.

Travis und seine beiden Freunde nehmen sich ihre individuellen Freiheiten wo es geht, und schießen gelegentlich auch über das Ziel hinaus. Schließlich kommt es zu einer Prügelstrafe für die drei. Als Travis bei einem soldatischen Manöver mit echten Kugeln schießt, wird er vom Rektor dazu bestimmt, den Theaterkeller aufzuräumen. Dabei stoßen die Jungen auf eine alte, vergessene Munitionskammer. Einige Tage später, am Gründungstag des College, der mit vielen Gästen begangen wird, legen Travis und seine Freunde ein Feuer, dann schießen sie wild in die herausstürmende Menschenmenge.

1968 dreht der britische Regisseur Lindsay Anderson diesen Film über die rigiden Zustände an britischen Privatschulen, während in Paris die Studenten auf die Barrikaden gehen. Bei seinem Erscheinen rief „If“ auch heftige Ablehnung hervor, weil man befürchtete, der Film könne andere Jugendliche zur Nachahmung der Gewalt animieren. Drehbuchautor David Sherwin bezog in seinem Script viel seiner eigenen Erfahrung auf einem Internat mit ein. Die Eskalation der jugendlichen Revolte freilich ist ein Ausdruck des Zeitgeistes und kein absurd unverständlicher Amoklauf. Der Film selbst lässt aber eigentlich offen, ob die surreal anmutende Schlussszene tatsächlich real stattfindet, oder nur die Wunschvorstellung von Travis entspringt.

Wollte man nun spitzfindig sein, so könnte man erwähnen, dass die Filmhistorie selbst eher für eine Traumsequenz spricht, denn Anderson hat mit Autor Sherwin noch zwei weitere Filme gedreht, in denen die Figur Mick Travis die Hauptrolle spielt, daher auch der Begriff „Mick-Travis-Trilogie“, jeweils dargeboten von Malcom McDowell, „O Lucky Man (dt: „Der Erfolgreiche“) und „Britannia Hospital“. Wäre der schießwütige Junge zur Rechenschaft gezogen worden, wäre es sinnlos weiter mit dem Charakter zu arbeiten.

Malcolm McDowell legt in seiner ersten großen Filmrolle schon an, was ihm drei Jahre später als diabolischer Alex in Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ zu Weltruhm bringen wird. Sein Travis ist ebenso sehnsüchtig individualistisch wie aufmüpfig und kämpferisch, und der durchdringende Blick zieht den Zuschauer hypnotisch in seinen Bann. Großartig ist in „If…“ auch die surreale Tanzszene von Travis und der Kellnerin, die sich beinahe ballettartig als Wildkatzen umeinander balgen.

Filmisch ist „If“ eine seltsame Mischung aus beinahe dokumentarischer Schilderung des Internatsalltags mit vielen Andeutungen und eine satirische Abrechnung mit dem verkrusteten Bildungssystem. Die Handlung ist in acht Kapitel unterteilt, die zunächst den Collegealltag thematisieren und dann den Widerstand von Travis Gruppe. Dabei wechselt der Film munter zwischen Farbaufnahmen und Schwarzweiß-Bildern, ein System lässt sich dabei allerdings nicht erkennen und Anderson machte später selbst geltend, dass es einerseits am auslaufenden Filmbudget lag, andererseits an der schlechten Innenbeleuchtung der Location, dass Schwarzweiß-Film verwendet wurde. Dennoch erzielt der Film dadurch einen surrealen Effekt, der die Erzählung auch kunstvoll belebt.

Lindsay Anderson war in den 1960er Jahren ein aktiver Teil der englischen Gegenkultur. Der Filmacher und Schauspieler verstarb 1994, hat mit seinen Filmen „Sporting Life“ (1963) und „If“ aber zwei großartige kontroverse Beiträge zur britischen Filmkultur hinterlassend. Der gesellschaftliche Diskurs zum Thema Erziehung ist und bleibt zeitlos.

Film-Wertung 7 out of 10 stars (7 / 10)

Originaltitel: If…
Genre: Drama
Länge: 111 Minuten, GB, 1968
Regie: Lindsay Anderson
Darsteller: Malcolm McDowell, Peter Jeffrey, Robert Swann
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Paramount
Kinostart:12.09.1969
DVD VÖ: 04.10.2013

B-Movie Programm im Mai