Cobain: Montage of Heck – In Bloom

Die biografische Doku „Montage of Heck“ über Nirvana Mastermind Kurt Cobain ist ein erstaunlicher Film, der nicht weniger will, als das ultimative Bild einer modernen amerikanischen Alternative Rock Ikone zu zeichnen. Cobain nahm sich am 5. April 1994 das Leben und trat damit in den ominösen „Club 27“ ein. Die Legende vom tragischen Künstler nahm ihren Lauf. „Montage of Heck“ ist über weite Strecken sehr sehenswert ausgefallen, hat aber auch einige Knackpunkte aufzuweisen.

Filmmacher Brett Morgan hat erstmals Zugang zu den Familienarchiven und zu dem Nachlass von Kurt Cobain. Doch was soll ein 27jähriger schon groß hinterlassen haben? In einer Garage erwarten den Filmmacher einige Kartons mit Aufzeichnungen, Notizbüchern, persönlichem Krams und ein Kiste mit Tapes, die Kurt Cobain selbst zusammengestellt hat. Eines dieser Tapes hatte Cobain „Montage of Heck“ (Deutsch: Montage aus der Hölle“) genannt. Diesen Titel und auch etliche Soundschnipsel übernimmt Morgan, um ein chronologisches Bild von Leben Cobains zu zeichnen.

„Come As You Are“

Zu Wort kommen Familienangehörige und auch Nirvana-Basser und Freund Krist Novoselic. Der bemerkt auch zutreffend, dass der Songschreiber Kurt Cobain, im Grunde alles schon in seinen Liedern ausgedrückt habe. Insofern verwundet es nicht, dass das Ableben Cobains nach wie vor rätselhaft bleibt und auch der Dokumentarfilm dazu nichts Erhellendes beitragen kann.

Brett Morgan schöpft aus dem Vollen, verwendet alte Familienvideos und Interviews ebenso wie animierte Tagebucheinträge und animiert ganze Episoden aus Cobains Jugend, für die es kein Bildmaterial gibt. Das ist klug und unterhaltsam, erinnert in der Machart ein wenige an Malik Bendjellouls Oscar-prämierte Musikdoku „Seaching for Sugar Man“ und in den animierten Jugendsequenzen optisch an Richard Linklaters Philip K. Dick Verfilmung „A Scanner Darkly“. Soweit ist die Doku also ganz gelungen, allerdings übertreibt es der Film in seinen 130 Minuten Spielzeit mit den Homevideos und den Notizen. Das wird dann redundant und auch leicht nervig, weil zumeist mit krachigen musikalischen Sequenzen unterlegt. Trotzdem ist „Montage of Heck“ ein lebendiges, virulentes Bild eines getriebenen Menschen und Künstlers der immer Schwierigkeiten hatte, sich einzufügen und so beinahe zwangsweise zum Sprachrohr der sogenannten Generation X werden musste.

„Tourette’s“

Stop. Einspuch! Zurückspulen. In der Rückschau scheint immer alles plausibel und die Beteiligten beziehungsweise Betroffenen versuchen, sich die Erinnerung als Kausalität zurechtzubiegen. Das ist psychologischer Affekt und gerade die Interviews mit der Mutter, die sich wie auch Kurts Vater und seine Schwester erstmals vor eine Kamera getraut hat, offenbaren, dass der Verlust des Sohnes noch lange nicht aufgearbeitet ist. Aber die Erinnerungen und die Klarheit, mit der sie die Probleme und die Genialität ihres Sohnes vor der Zeit erkannt haben will, sollte man zumindest nicht überbewerten.

Und das ist das große Problem, das ich als Nirvana-Fan und auch als Zeitzeuge, mit Brett Morgans Doku habe. Im Interview, das sich an die Kinovorführung anschließt, plaudert Morgan aus dem filmischen Nähkästchen und sagt, dass hier nur die Menschen zu Wort kommen, die Cobain am nächsten standen. Die Frage, wo denn Nirvana-Drummer Dave Grohl dabei abbleibt, stellt sich dennoch. Zwar kein Nirvana-Gründungsmitglied und vielleicht auch kein Cobain-Intimus, aber allein der Vollständigkeit halber hätte eine Äußerung mit den jetzigen Foo Fighter dazu gehört. Vielleicht hätte das den Tenor des Film aber relativiert (und an der Ikone getratzt)? Oder Grohl hat schlicht keine Lust, über Nirvana zu reden.

„Drain You“

Wichtiger aber, Brett Morgan gibt auch relativ unbescheiden seine filmische Absicht zu Protokoll: Eine amerikanische Ikone auf Augenhöhe zu zeigen; aus ihrem Leben heraus und als Familienmensch. Das kann irgendwie nicht gutgehen: Entweder als Mensch, oder als Idol. Und so zieht sich der Hang zur Selbstzerstörung des Künstlers und die Tragik, nicht dazuzugehören, als erzählerischer roter Faden durch den gesamten Film. Von der Wiege bis zur Bahre. Das wird zwar der Legende gerecht, aber ob es den Menschen Cobain umfassend charakterisiert, darf bezweifelt werden.

Sicher, Kurt Cobain hat keine leichte Kindheit, auch wenn der junge Bengel sehr charmant sein konnte. Zu häufig wurde der junge Kurt von einem Elternteil zum anderen verfrachtet, lebte zeitweise sogar bei den Großeltern. Die Teenage Angst, das Gefühl ein Außenseiter zu sein, bekam so sicher mehr Nahrung. Der Marjuana-Konsum in dieser Lebensphase gehört zum punkigen Außenseiterchic, die Entdeckung der musikalischen Undergroundszene wird zur Offenbarung, das Ziel Musiker zu werden, kristallisiert sich immer stärker und das Potential entfaltet sich. Und auch wenn man sich immer noch über den kryptischen Sinn von „Smells like Teen Spirit“ wundern darf, hat Kurt Cobain vor allem sein Leben und seinen Alltag als Inspiration für die Songs verarbeitet. Insofern ist die biografische Ausdeutung des Werkes, die „Montage of Heck“ praktiziert, naheliegend, muss aber nicht notwendiger Weise die einzige Lesart bleiben.

„Territorial Pissings“

Ein großer Knackpunkt in der Karriere der Band und auch Cobains, bleibt der Überraschungserfolg des zweiten Albums „Nevermind“ mit der Hit-Single „Smells like Teen Spirit“. Der Erfolg ist definitiv auch ein Produkt des Musiksenders MTV. Unterstützt durch das ikonisch anarchische Cheerleader-Video wurde der Song zur Hymne einer Generation, die sich nicht zugehörig fühlt. Cobain wurde unfreiwillig zum Sprachrohr gemacht und zugleich von einem wahnwitzigen Medienhype begleitet. Dass der plötzliche Ruhm ihm Probleme bereitete, war schon zu seinen Lebzeiten kein Geheimnis. Das letzte Konzert der Band Nirvana bildet die erzählerische Klammer für Brett Morgans Filmbiografie von Kurt Cobain. Dabei ließ er sich im Rollstuhl auf die Bühne fahren und gab den ausgepowerten, kaputten Rockstar, den einige amerikanische Boulevard-Medien aus ihm machen wollten. Dann wurde gerockt.

Wer zu jung ist, um Kurt Cobain und Nirvana seinerzeit erlebt zu haben, wird in „Montage of Heck“ sicherlich viel Sehenswertes finden und für eine Zeit in den vermeintlichen Geisteszustand Cobains schlüpfen können, hier liegt auch der eigentliche Verdienst der etwas zu lang geratenen Doku von Brett Morgan. Aber wie eingangs schon von Krist Novoselic zitiert: Kurt hat das alles schon in seinen Songs gesagt.

Film-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Cobain: Montage of Heck
Genre: Musik, Doku, Biografie
Länge: 135 Min, USA, 2015
Regisseur: Brett Morgan
Mitwirkende: Kurt Cobain, Krist Novoselic, Nirvana, Courtney Love,
FSK: nicht geprüft
Vertrieb: Universal, HBO, Arts Alliance
Kinostart: 09.04.2015
DVD-& BD-VÖ: 28.05.2015

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