Inzwischen sollte der englische Autor Neil Gaiman nicht nur unter Comicfans („Sandman“) einen Namen haben. Im vergangenen Herbst kam sein Roman „Der Ozean am Ende der Straße“ auch auf Deutsch heraus, Gaiman ist auch als Drehbuchautor aktiv (unter anderem für „Doctor Who“ und „Die Legende von Beowolf“) und einige seiner Werke wurden sehr erfolgreich verfilmt, wie etwa „Coraline“. Aber es scheint, dass die märchenhafte Romanze „Der Sternenwanderer“ nach wie vor Gaimans erfolgreichster Titel bleibt. Nun ist die von Charles Voss grandios illustrierte Geschichte bei Panini wieder aufgelegt worden. Eine Gelegenheit zur (Wieder-)Entdeckung eines wunderbaren Märchens für Erwachsene.
Mitten im England des 19. Jahrhunderts, zu Zeiten von Königin Victoria und Charles Dickens, liegt das kleine englische Örtchen Wall idyllisch in der Landschaft. Die einzige Besonderheit des Ortes ist seine Lage an der Mauer zu einem anderen, einem Feenland. Niemand ist je über die Mauer gegangen und der einzige Durchlass wird – zumindest von englischer Seite – streng bewacht. Aber der junge, verliebte Tristran Thorn verspricht seiner angehimmelten Victoria im jugendlichen Überschwang ihr eben jene Sternschnuppe zu bringen, die gerade vom Himmel fiel, damit sie ihn heirate. Und so macht sich Tristran auf den Weg in das zauberhafte Land jenseits der Mauer.
Hier allerdings stellt sich die Sache mit der Sternschnuppe etwas anders dar: Der sterbende Lord von Stormhold hat eben jenen Stern mit einem Edelstein von Himmel geworfen. Nun soll derjenige seiner Söhne der Thronfolger werden, der den Edelstein, die Macht von Stormhold, findet. Doch auch die drei alten Hexen haben mitbekommen, dass der Stern von Himmel gefallen ist und für die Verjüngungszauber der Hexenschwestern braucht es eben diese besondere Zutat. Also macht sich auch Lilim, die älteste der Hexengöttinnen auf die Suche nach dem Stern.
Es gibt nur ein Problem: Seit der Stern auf der Erde ist, hat er sich in ein junges Mädchen verwandelt, weshalb Tristran den Stern nicht gleich erkennt und sich statt dessen mit dem verletzten, etwas zickigen Mädchen Yvaine herumärgern muss. Zusammen bestreiten die beiden eine abenteuerliche Reise und machen etliche erstaunliche Bekanntschaften.
„Denn jeder Verlebte ist im Herzen ein Verrückter und im Kopf ein Dichter“
Neil Gaiman gelingt es in seinem modernen Märchen auf hinreißende Weise, eine recht moderne, aber trotzdem klassische Geschichte zu erzählen, indem er geschickt mit den Mitteln der Sprache und den Märchenmotiven spielt. Im Grunde muss der junge, arme Mann eine unlösbare Aufgabe erfüllen, um das Herz seiner Prinzessin zu gewinnen. Doch während der Reise entpuppt sich das Ziel als immer weniger erstrebenswert, während der Weg an sich das eigentliche Ziel ist. Auch die Hexen, selbstredend drei an der Zahl, wie schon in Shakespeares Macbeth, werden von Autor Gaiman mit einem Twist versehen und mit leichter Ironie interpretiert. Aber die Geschichte hat durchaus auch andere Botschaften, etwa individuelle Freiheit und auch Herkunft und kulturelle Zugehörigkeit werden thematisiert.
Auch der Streit um die Herrschaft von Stormhold, ein klassisches Fantasy- und Märchenmotiv, wird allein durch die geisterhafte Präsenz der schon verstorbenen Thronfolger humoristisch gebrochen und irgendwie auch ad absurdum geführt. Das alles ist von einem Gedicht von John Donne inspiriert und vom Autor mit stilistischer Treffsicherheit der Romanform der viktorianischen Zeit formuliert. Dabei sind die Kapitelüberschriften, die schon mal die wesentlichen Ereignisse ankündigen nur eines der stilistischen Merkmale, die man auch bei Dickens oder auch in Cervantes „Don Quichote“ findet. Die deutsche Übersetzung von Christine Strüh ist ebenfalls sehr gelungen.
„Und du bist ein Dummkopf und ein Trottel, ein Einfaltspinsel, ein Esel und ein Narr.“
Was aber den eigentlichen Zauber dieser Ausgabe ausmacht, sind die hinreißenden und sehr unterschiedlichen Illustrationen von Charles Vess. Der britische Comiczeichner und Illustrator hat schon zuvor mit Neil Gaiman zusammengearbeitet, unter anderem hat er auch einige Sandman“-Ausgaben gezeichnet. Das Illustrieren von Geschichten ist ein altes Handwerk und findet sich etwa auch in etlichen Dickens-Ausgaben wieder. Vess hat allerdings den Vorteil, seine Artworks farbig anlegen zu können. Dabei zeigt der Amerikaner eine große stilistische und handwerkliche Bandbreite: Von ganzseitigen epischen Szenen, über kleine Details bis hin zu stimmungsvollen Momentaufnahmen wird die Geschichte vom „Der Sternwanderer“ fulminant grafisch begleitet, das wirkt lebendig und auf kongeniale Weise der Erzählform entsprechend.
Erstaunlich genug, dass bei der ersten deutschen Ausgabe (Heyne, 2000) auf die Illustrationen verzichtet wurde, die im Original integraler Bestandteil der Geschichte ist. Als die starbesetzte Verfilmung (u.a. Michelle Pfeffer, Robert DeNiro,, Claire Danes) 2007 dann in die Kinos kam, brachte Panini die illustrierte Ausgabe erstmals auf Deutsch heraus. Wer bislang nur den Film kennt, sollte sich auf einige Unterschiede vorbereiten, denn der Film ist deutlich actionlastiger und vielleicht auch etwas übertriebener humoristisch gebrochen. Gaiman geht es eher um die Romanze in der Geschichte und die magischen und kämpferischen Momente werden, wie im Märchen üblich, eher nebenbei abgehandelt. Aber gerade das macht den Zauber von „Stardust“ aus.
„Der Sternenwanderer“ hat nichts von seinem Zauber verloren. Neil Gaiman und auch Charles Vess ist ein moderner Märchen-Klassiger gelungen, der in dieser gebunden Neuauflage auch noch hochwertig veröffentlicht wurde.
Buch-Wertung: (9 / 10)
Der Sternwanderer – Stardust
OT: Stardust, (erstmals bei Avon Books, 1999)
Genre: Fantasy, Märchen,
Autor: Neil Gaiman
Illustrationen: Charles Vess
Übersetzung: Christine Strüh
Verlag: Panini, Hardcover, 228 Seiten
VÖ: 20.01.2015
Stardust bei Panini (mit Leseprobenlink)