Wer sagt denn, dass der Wilde Westen tot ist? In seinem ebenso schwarzhumorigen wie spannenden Roman „Das Dickicht“ schickt der texanische Autor Joe R. Lansdale seinen jugendlichen Protagonisten auf eine abenteuerliche Jagd nach brutalen Banditen. „Das Dickicht“ hat das Zeug zum Schmöker, in dem man sich gerne verliert.
Die Pocken wüsten Ende des 19. Jahrhunderts in der Gegend um Hinge Gate in Texas und Jack Parker und seine jüngere Schwester haben ihre Eltern verloren. Daraufhin holt sie der Großvater ab, um die Waisen bei ihrer Tante unterzubringen. Doch die Reise gerät zur Katastrophe: Die Brücke über den Fluss ist zerstört und auf der Fähre haben die Kinder üble Burschen als Gesellschaft. Es dauert nicht lange, bis sich der Anführer mit dem Großvater anlegt. Dann fetzt noch ein kleiner Wassertornado den Fluss entlang und von der Fähre bleibt nur Treibholz. Jack überlebt, muss aber hilflos mit ansehen, wie die Banditen seine Schwester Lula entführen.
„Der Morgen war so heiß wie ein tollwütiger Hund in einem Wintermantel“
Dem Jungen bleibt nichts übrig, als seine Schwester zu retten. Fest entschlossen, in der nächsten Stadt beim Sheriff um Hilfe zu bitten, muss Jack feststellen, dass auch hier die bösen Buben die Oberhand haben; der Gesetzeshüter liegt schon erschossen in der Ecke, sein Stellvertreter kündigt gerade. Ausgerechnet der hünenhafte zum Alkohol neigende, schwarze Totengräber Eustice, der mit einem fetten Keiler zusammenlebt, scheint Jacks einzige – bezahlte -Unterstützung zu sein. Doch dann kommt noch Shorty dazu, Eustice‘ bester Freund und seines Zeichens Liliputaner. Voller Misstrauen in die beiden eigenwilligen Kopfgeldjäger macht sich Jack an die Rettung seiner Schwester.
Wenn die Bösewichte schon auf Namen wie Fatty, Nigger Pete und Cut Throat hören, ahnt man, dass die Herren nicht eben ein nettes Teekränzchen bilden. So verwundert es auch nicht, dass es in Lansdales Geschichte zum Teil ausgesprochen handfest, brutal und dreckig zugeht. Das wird aber nicht überstrapaziert, sondern durch Jacks naive Erzählperspektive relativiert. In dem lockeren Plauderton eines Farmersohns mit viel Gottvertrauen macht sich der Junge, der zu schnell erwachsen werden muss, auf seine Mission. Und im Laufe der unfreiwilligen Reise betritt Jack im wahrsten Sinne terra incognita und muss ein ums andere Mal seine so sicher geglaubte Weltsicht an die harte Realität anpassen.
„Seltsamerweise fiel es niemandem auf, dass da ein großer Schwarzer einen fetten Weißen mit nacktem Hintern durch die Gegend trug, einen riesigen wilden Eber im Schlepptau.“
Joe R. Lansdale, der für seine Bücher schon mehrfach ausgezeichnet wurde und dessen Romane zum großen Teil auch auf Deutsch übersetzt vorliegen, ist ein großartiger Erzähler. Das Charmante, Witzige und Fantastische an „Das Dickicht“ ist der erstaunliche Kontrast zwischen Jacks naiv-jugendlichem Bericht und der abgefeimten Brutalität dieser Welt, durch die der jugendliche Held sich an der Schwelle des Erwachsenwerdens bewegen muss. Mit großem Genuss fabuliert sich Landsdale durch erdverbunde Metaphern und jutebraune Bilder, die so anschaulich sind, dass es keinerlei zusätzlicher erzählerischer Dramaturgie bedarf.
Jack Parkers abenteuerliche Jagd nach den Entführern seiner Schwester, die aller Voraussicht nur missbraucht überlebt hat, wenn überhaupt, hat etwas Huckleberry Finn-artiges und nicht ganz umsonst liest der gebildete Liliputaner Shorty in Twains Reiseberichten sobald sich die Gelegenheit bietet. In seiner Mission und seinem Rachefeldzug ähnelt Jack auch Mattie Ross, die in Charles Portis Roman „Der Marshall“ den Mörder ihrer Vaters aufspüren will, allerdings eher so wie in der jüngsten Filmversion „True Grit“ der Coen-Brüder. Auch der Anteil schwarzen Humors ist durchaus vergleichbar. Wer sich also mit dem Film gut unterhalten fühlte, sollte sich dringlich in Joe R. Lansdales „Das Dickicht“ begeben.
„Das Dickicht“ zelebriert ein harsches, alttestamentarisches Spätwestern-Abenteuer, das auf nonchalante Weise vom jugendlichen Abenteurer selbst erzählt wird. Der lernt jeden Tag Dinge, die er eigentlich nicht wissen will. Die eigenwillige Reisetruppe, die im Verlauf der Geschichte immer weiter anwächst, entwickelt eine feine Dynamik und einen äußerst lesenswerten Sog.
Roman-Wertung: (8 / 10)
Das Dickicht
OT: The Thickness, 2013
Autor: Joe. R. Lansdale
Übersetzung: Hannes Riffel
Verlag: Tropen Verlag, Gebunden, 331 Seiten
VÖ: 26.08.2014