Der Turm – von Schuiten und Peeters

der-turm-vorschauInsgesamt 16 Bände umfasst der Comiczyclus „Die geheimnisvollen Städte“, den die belgischen Comic-Künstler Francois Schuiten und Benoit Peeters von 1983 bis 2007 erschaffen haben. Der Verlag Schreiber & Leser bringt „Die geheimnisvollen Städte“ in deutscher Sprache seit 2004 an den geneigten Leser, bislang sind acht in sich abgeschlossene Bände erschienen. Jüngste Veröffentlichung in dieser Reihe ist „Der Turm“ von 1987, der chronologisch vierte Ausflug in die phantastische Parallelwelt. Dass der Turm von Babel dabei Pate gestanden hat, ist unverkennbar.

Der Instandhalter Giovanni Battista lebt einsam und abgeschieden in seinem Bezirk des Turmes. Seit Jahren hat er keine Menschenseele gesehen. Aauch der Aufseher hat sich lange nicht mehr blicken lassen. Giovanni  Battista gehen die Materialien aus, um den baufälligen Bezirk so zu pflegen, wie es seine Arbeitsmoral verlangen würde. Also macht er sich eines Tages auf den Weg, um herauszufinden, warum der Turm in einem so schlechten Zustand ist?

Turmbau zu Babel

Doch schon der Auftakt seiner abenteuerlichen Reise zeigt Bedenkliches: Nicht nur Giovannis Bezirk verfällt, sondern das gesamte Bauwerk. Auf seinem Weg hinab zu denjenigen, die die Verantwortung tragen, nimmt der Instandhalter einen Umweg. So landet er in höheren Sphären des Turms. Dort lernt er zwar den weisen Elias und die schöne Milena kennen, aber muss auch erkennen, dass seine Reise noch lange nicht zu Ende ist.

der-turm-leseprobe-1Schuiten und Peeters haben sich mit „Die geheimnisvollen Städte“ eine Mammutaufgabe gestellt. Immer wieder greifen ihre Comics die Architekturen und Kulturen unterschiedlicher Zeitalter auf. Setzen diese in kafkaesque und phantastische Geschichten um. Darin sind die beiden Belgier durchaus stilbildend. Und auch wenn der Illustrator Schuiten mit dem Comicpreis der Stadt Angouleme und seiner Erhebung in den Adelsstand scheinbar die größeren Meriten einheimst, sind „Die geheimnisvollen Städte“ doch eine Gemeinschaftsproduktion. Peeters Beitrag als Szenarist sollte keinesfalls unterschätzt werden. Zwar wäre eigentlich auch eine konzeptionelle Betrachtung der gesamten Reihe angesagt, aber dazu fehlt mir noch der Überblick. Außerdem findet sich das sicherlich an anderer Stelle.

Wer tief hinunter geht, kommt oft oben an

„Der Turm“ befasst sich eher mit einer archaischen, mittelalterlichen Architektur. Das spiegelt sich auch in der Art der Abenteuergeschichte wieder. Als Inspiration für „Der Turm“ haben nicht nur der biblische Turmbau zu Babel und Brueghels gleichnamiges Gemälde hergehalten, sondern vor allem die Radierungen und Stiche des italienischen Architekten und Kupferstechers Giovanni Battista Piranesi.

Daher hat der Instandhalter auch seinen Namen, sein Äußeres ist eine Hommage an Orson Welles, wie Peeters im 18seitigen neu angefügten Anhang erläutert, der dem Projekt nicht nur seinen Segen gab, sondern auch gleich an eine Verfilmung dachte. Außerdem findet man auch DaVinci-artige Flugmaschinen, Gemälde der Renaissance und andere Einflüsse auf den Seiten des epischen Comic-Albums.

Sisyphosarbeit

der-turm-leseprobe-2Beeindruckend und detailverliebt eignet sich Francois Schuiten in diesem Band die Stilistik Piranesis an, so wie er in „Brüsel“ dem Modernismus Tribut zollt, ohne seinen eigenen Stil zu verleugnen und schafft so einmal mehr atemberaubende Perspektiven und beeindruckende Szenerien. Gerade der Auftakt der Geschichte, in dem die kerkerhaften Gewölbe die Sisyphosarbeit des Instandhalters veranschaulichen, ist symptomatisch für die von Peeters mit viel Einfluss von Kafka entworfene Geschichte.

Auch später greifen der Erkenntnisgewinn des Protagonisten und das grafische Spiel von Licht und Schatten kongenial ineinander und zeigen, wie vielschichtig, variantenreich und kreativ sich Schuiten und Peeters an den Errungenschaften der Kultur und Architektur und am jeweiligen Zeitgeist der Epoche reiben können.

„Der Turm“ aus der Reihe „Die geheimnisvollen Städte“ von Schuiten und Peeters ist ein feines Kleinod, das nicht nur Architektur- und Kunstbegeisterte mit Genuss und Faszination lesen werden. Die mittelalterliche, mysteriöse Welt wird in einem phantastischen Abenteuer ausgebreitet wie ein versunkener Kontinent.

Comic-Wertung: 8.5 out of 10 stars (8,5 / 10)

der-turmSchuiten & Peeters: Der Turm
OT: La tour, 1987, Castermann
Genre: Comic, Architektur,
Zeichnungen: Francois Schuiten
Autor: Benoit Peeters
ISBN: 978-3943808377
Verlag: Schreiber & Leser, broschiert, 112 Seiten
Mit einem 18seitigen, neu erstellten Anhang
VÖ: Mai 2014
weiterführende Links:

Der Turm“ bei Schreiber & Leser mit Leseprobe

Homepage der “Geheimnisvollen Städte”

Die geheimisvollen Stadte bei Wikipedia

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