Mit „Kriegerin“ ist im Oktober nicht nur eine fulminante Innenansicht der Neonazi-Szene in Deutschland, sondern auch einer wichtigsten Filme des Jahres auf DVD und Blu-ray erschienen. Ich hatte schon zum Kinostart drauf hingewiesen. Die „Kriegerin“, so Marisas Spitzname, den der Großvater ihr gab, hat eine ganze Menge Frust abzubauen und läuft ziemlich hochtourig durch die Gegend. Sie gehört zur rechtsradikalen Szene und mit ihrem Hass auf die Welt passt sie perfekt in diese Clique.
Marisa (Alina Levshin) ist 20, lebt in einer ostdeutschen Kleinstadt noch bei ihrer Mutter und ist mit Leib und Seele Nazi-Braut. Ihr Großvater ist ihr mehr Bezugsperson als die eigene Mutter und dessen weltkriegsnostalgisches Weltbild hat auch auf Marisa abgefärbt. Ihr Freund Sandro (Gerdy Zint) ist so etwas wie der Wortführer der eingeschworenen Gemeinschaft nationalgesinnter Rabauken, die marodierend und auf der Suche nach Zoff durch Eisenbahnabteile streifen, um Ausländer zu klatschen. Immer auch mit der Handykamera am Start, um die Jagd im Netz zu dokumentieren.
Als Sandro festgenommen wird und ihr Großvater im Krankenhaus liegt, bricht sich der aufgestaute Frust in Marisa seine Bahn und in ihrer Wut fährt sie zwei Ausländer über den Haufen. Gleichzeitig wird ihr der Platz in der Szene von der jungen Svenja (Jella Haase) streitig gemacht, die vom Stiefvater enormem Leistungsdruck ausgesetzt ist und durch die Freundschaft mit einem Maler in die Neonazi-Szene hineinkommt. Diese Art von Rebellion begeistert das intelligente junge Mädchen. Marisa wird allerdings zunehmend doch von einem schlechten Gewissen geplagt, als sie Rasul (Sayed Ahmad), einen der beiden überfahrenen Ausländer, wiedertrifft. Sie beginnt, ihm klammheimlich zu helfen. Rasul träumt davon, nach Schweden zu kommen, wo seine Familie auf ihn wartet.
Und doch will der Film eigentlich auf etwas völlig anderes hinaus. „Kriegerin“ bietet Innenansichten aus der rechten Szene. Schon die Eingangsszene an der Ostseeküste vermittelt keine Sehnsucht, der düster verhangene Himmel und die aufgewühlte See verheißen Unheil. In der Rückschau rollt „Kriegerin“ dann die Ereignisse auf, die schließlich an eben der Küste enden, von der aus schon Alfred Andersch in „Sansibar oder der letzte Grund“ Barlachs lesenden Klosterschüler vor den Nazis retten wollte.
Kriegerin ist die Abschlussarbeit von vier Filmstudenten der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) „Konrad Wolff“ Potsdam Babelsberg. Vielleicht ist „Kriegerin“ ein so eindrücklicher Film geworden, weil Regisseur und Autor David Wendt sich intensiv mit der Thematik beschäftigt hat, vielleicht auch, weil der Spielfilmerstling seine Abschlussarbeit des Filmstudiums ist und alle Beteiligten hier ihr Meisterstück ablegen wollten. Vielleicht ist der Film auch mutig, weil er sich dem Thema auf diese Weise (Spielfilm) und aus dieser Sicht (Innen) nähert.
Dass dies funktioniert, liegt einerseits an einem ausgeklügelten Drehbuch, das sich auf jahrelange Recherchen von Regisseur und Autor David Wnendt stützt und es schafft etliche Aspekte, Erklärungsansätze und Verhaltensmuster der rechten Szene zu integrieren. Dabei verzichtet die Story auf jeglichen pädagogischen Zeigefinger oder eine im Film vorgenommene Wertung der Charaktere.
Zum anderen besticht „Kriegerin“ durch eine stimmige und extrem intensive Umsetzung. Die Kameraarbeit von Jonas Schmager ist herausragend dicht an den Figuren und der erste Ausflug der Neonazis durch den Zug trifft den Zuschauer mit einer Wucht als säße er direkt daneben – hilflos, zuschauend, feige berührt. Gleichzeitig agieren die Schauspieler mit einer umwerfenden Direktheit und berauschenden Intensität, allen voran Alina Levshin, die schon in Dominik Grafs hochgelobter TV-Serie „Im Angesicht des Verbrechens“ begeisterte.
„Kriegerin“ begibt sich in eine Szene, die in Ostdeutschland scheinbar zur Jugendkultur gehört und sich vor allem durch Aggression ausdrückt. Dass Gewalt letztlich in eine Sackgasse führt, scheint die jungen Leute angesichts der Alternativlosigkeit nicht zu interessieren. Auch die Ideologen und die Demagogen, die sich die Lage zunutze machen, kommen in „Kriegerin“ vor, werden aber eher geduldet als verehrt. Eine Philosophie der Tat macht sich breit, das Adrenalin muss unters Volk.
„Kriegerin“ begnügt sich nicht mit einfachen Erklärungen, sondern schildert schlicht und dramatisch Befindlichkeiten, zu denen Perspektivlosigkeit, soziale Kälte, familiäre Probleme und ideologische Verblendung ebenso gehören wie jugendliche Selbstfindung, Abgrenzung von der Elterngeneration und die Sehnsucht nach Gruppenzugehörigkeit. Es gibt eine Schlüsselszene, in der der junge Maler, der Svenja zu der Neonaziparty mitnimmt, aus der Gruppe verbannt wird, weil er kokst. Einige Zeit später steht er mit einer Gruppe Ausländer, seiner neuen Clique an einem einschlägigen Imbiss und prügelt auf seinen einstigen Fascho-Kumpel ein. Ihm geht es nur um Zugehörigkeit.Der Vorwurf, den Sandro Marisa macht, als sie nicht mit ihm schlafen will, fasst in gewisser Weise den gesamten Film zusammen und lässt sich auch als gesellschaftliches Leitmotiv deuten: „Warum erwiderst du meine Liebe nicht?“
Im Making of und in den Interviews mit Regisseur David Wendt und Hauptdarstellerin Alina Levshin gibt es aufschlussreiche Hintergrundinfos zur Entstehung und vor allem zu den Recherchen für den Film und die Rollen. Außerdem, und das ist löblich und wichtig, sind Unterrichtsmaterialien enthalten, die es Lehrern erleichtern, den Film in der Schule zu erarbeiten und so bei den jungen Menschen Bewusstsein zu schaffen. Die Materialien sind didaktisch und pädagogisch durchdacht und bieten zusätzliche Informationsquellen und sind auch online auf der Film-Homepage abrufbar. Den DVDs und Blu-rays liegt außerdem ein Flyer der Initiative „Exit-Deutschland“ bei, die beim Ausstieg aus dem Rechtsextremismus Hilfestellung gibt. Richtig so.
Fazit: „Kriegerin“ ist ein intensives und kraftvoll realistisches Drama, das durchaus Thriller-Elemente beinhaltet und in jeder Hinsicht überzeugt. Der wuchtige und intensive Film schafft es, eine hochdramatische Geschichte zu erzählen und gleichzeitig auf das wichtige gesellschaftliche Problem Rechtsextremismus aufmerksam zu machen und kommt ohne formelhafte Belehrungen aus. Ein wichtiger, ein wuchtiger, ein wirklicher Film.
Film-Wertung: (8 / 10)
Kriegerin
Genre: Drama
Länge: 103 Minuten, D 2011
Regie: David Wnendt
Darsteller: Alina Levshin, Jella Haase, Gerdi Zint,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Ascot Elite
Kinostart: 19.01.2012
DVD- & BD-VÖ: 09.10.2012
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