Die Musikwelt muss dem US-amerikanischen Anti-Diskriminierungs-Gesetz der 1970er Jahre auf ewig dankbar sein, denn ansonsten hätte der junger Herr Cummings aus Queens, New York nie seinen soliden Job auf dem Bau aufgegeben. Aber arbeitslos ließ sich der junge Mann auf das Abenteuer ein, eine Band zu gründen und damit die Musikwelt zu revolutionieren. Auftritt: „The Ramones“ und die die Erfindung des Punk-Rock. In der posthum erschienenen Autobiographie „Commando“ von Jonny Ramone alias Cummings zieht der „Chef“ einer der einflussreichsten Bands in der Musikgeschichte Bilanz: genauso wie die Ramones seinerzeit ihre legendären Live-Auftritte bestritten – schnörkellos, in wildem Tempo, auf das Wesentliche beschränkt und immer auf die 12. Los geht’s: One, two, three, four.
Im September 2004 erliegt Johnny Ramone dem Prostatakrebs, den er seit Jahren bekämpfte. Damit stirbt das dritte der vier Gründungsmitglieder einer der eiflussreichsten Bands der Musikgeschichte. Nachdem er die Krebsdiagnose erhalten hat, begann John Cummings seine Lebensgeschichte niederzuschreiben. Dennoch dauerte es weitere acht Jahre bis „Commando“, herausgegeben von John Cafiero in Zusammenarbeit mit Steve Miller und Henry Rollins, endlich erscheinen konnte. Die wenigen Monate, die das Buch benötigte, um ins Deutsche übersetzt zu werden, fallen da kaum ins Gewicht.
Man kann nun rätseln, aus welchen Gründen die Autobiographie sich so lange verzögert hat und welchen Anteil der Herausgeber tatsächlich an der Form dieser Lebensgeschichte hat? Kann man aber auch bleiben lassen, angesichts der Tatsache, dass „Commando“ sich so liest wie man es von Johnny Ramone erwartet hätte. Ohne viel Schnickschnack und Eigenlob kommt der logischerweise in der Ich-Form geschriebene Lebensbericht schnell auf den Punkt. Das Selbstbildnis eines konsequenten, nicht immer einfachen, aber geradlinigen Menschen, der seine Eigenheiten ebenso pflegte wie sein Image.
Schon zu Lebzeiten wirkte Johnny Ramone seltsam widersprüchlich und war sich für kontroverse Statements und Aktionen nie zu schade. Für den Ramones-Gitarristen selbst freilich gehen die so wahrgenommenen Paradoxa ganz wunderbar in seiner Person zusammen. Den einen oder anderen Punkfan mag nun ernüchtern zu lesen, dass die Ramones eigentlich nur ein Job waren, dass Johnny Ramone glühender Patriot und bekennender Republikaner war, dass er Joey Ramone nicht wirklich leiden konnte und dass der Mann, der die Songs auf der Bühne in legendärer Weise anzählte, eine sparsame Couch Potato war, der es darum ging, sich seine Millionen Dollar als Rente zu verdienen.
Keine Klischeebiographie eines vorzeige Punks, der Johnny Ramone auch nie gewesen ist und auch nie zu sein vorgab. Sicher, der Mann wusste, dass Image im Musikbusiness eine wichtige Sache ist und ist maßgeblich für den T-Shirt und Lederjacken-Look der Band verantwortlich, aber verbogen hat sich der Sohn der Arbeiterklasse nicht. Stattdessen hat er mit akribischer Zielstrebigkeit darauf hingearbeitet, seinen „Job“ so gut wie möglich zu machen und sich selbst treu zu bleiben.
Die treibende Kraft in Johny Cummings Leben scheint Wut gewesen zu sein; so wird aus dem Kind ein destruktiver Jugendlicher, der es irgendwann schafft, seine Wut zu kanalisieren, sich einen Job sucht, bis er mit der Musik ein perfektes Ventil für die Aggression findet. Was freilich nicht bedeutet, dass das ausgereicht hätte:
„Aus irgendeinem Grund hatten die Leute Angst vor mir. Es lag wohl an der Wut, die in mir brodelte, die schien alle Welt in Aufruhr zu versetzen. Mich störte das nicht weiter.“ (S. 108.)
Wenn es je ein Statement gab, dass Punkrock auf den Punkt bringt, dann das. Und zwar sowohl in Hinsicht auf die Wut als auch die Scheißegal-Haltung.
Johnny Ramone haut in „Commando“ etliche solcher scheinbar beiläufigen Einzeiler raus, die zugleich höchst sympathisch und total abgefuckt rüberkommen. Doch das ist bei weitem nicht der einzige Faktor, der „Commando“ zu einer Ausnahmebiografie macht. Neben einem vordergründig erstaunlich schrägen Sammelsurium von Best-of Listen und Kommentaren zu allen Ramones-Alben ist es vor allem die nüchterne, fast sachliche Betrachtung einer außergewöhnlichen Band und deren Innenleben, das irgendwie doch demokratisch gewesen zu sein scheint. Ein weiteres Paradoxon im Leben des Johnny Ramone.
Man muss nicht jede Überzeugung seiner (musikalischen) Helden teilen und (nicht nur) viele Amerikaner erweisen sich bei näherer Betrachtung als ziemlich patriotisch, auch wenn man sie dem vermeintlich linken Lager zurechnet. Toleranz beinhaltet immer auch die eigene Schmerzgrenze. Lass sie wählen gehen, wen und wenn sie wollen. Solange die Leute nicht so verpeilt sind wie der Guns‚n’Roses Frontman soll mir das recht sein. Und wenn solides Arbeitsethos dazu führt, die Musikwelt auf den Kopf zu stellen, dann sollte bitte jemand schleunigst dafür sorgen, dass sich die Künstler auch endlich als Malocher verstehen. Vor allem – und darin ist er sich auf erstaunliche Weise mit dem ebenfalls schon verstorbenen Rocksänger Ronnie James Dio einig-, weil Johnny Ramone nie vergisst, wem er zu Dank verpflichtet ist: den Fans.
Nach der Autobiographie von Dee Dee Ramone („Lobotomy“, 2000), die nicht auf Deutsch erschienen ist, und „Auf Tour mit den Ramones“ (2010) von Band-Intimus Monte Melnick ist mit „Commando“ endlich eine dringend notwendiges, biografisches Zeugnis der Ramones erschienen. Wer sonst als der Kommandant des Punk wäre in der Lage gewesen, es den Intellektuellen mal wieder zu zeigen und einfach in bester Tradition der Arbeiterliteratur sein Leben aufzuschreiben. Hey Ho! Let’s Go!
Fazit: Jonny Ramones Autobiografie “Commando” ist in ihrer Kürze und Schnörkellosigkeit eine Rarität unter den Musikerbiografien und nicht nur Punk-Fans zu empfehlen. Das liegt vor allem daran, dass der Sound der rund 200 Seiten erfrischend und klar rüberkommt und sowas von authentisch, dass es schon fast wieder Imagepflege ist. Pflichtveranstaltung!
Buch-Wertung: (9 / 10)
Commando – Die Autobiografie von Johnny Ramone
Autor: Johnny Ramone mit John Cafiero
Übersetzung: Gunter Blank, Simone Salitter
Verlag: Tropen, Stuttgart, 2012, 196 Seiten, 32 S. Farbteil
ISBN: 978-3-608-50317-3
VÖ: 24.08.2012
Weiterführende Links:
Commando beim Tropen-Verlag
Johnny Ramone Homepage
Ramones in der deutschen und englischen Wikipedia