Mit gerade 85 Jahren blickt der amerikanische Entertainer und politische Aktivist Harry Belafonte auf ein ereignisreiches Leben zurück. Vor einigen Wochen erschien die Übersetzung seiner lesenswerten Autobiographie „My Song“ , am 19. April kommt außerdem die Dokumentation „Sing your Song“ über Belafontes politisches Engagement in die Kinos und der Weltstar war gerade auf Lesereise in Deutschland. Inzwischen bin auch ich mit der Lektüre von „My Song“ durch: Es lohnt sich.
Harry Belafonte hätte überall beginnen können, zu erzählen: Mit seiner Geburt, mit seiner Lebenssituation zu Beginn des Schreibens, mit seiner Motivation, mit über 80 Jahren seine Erinnerungen aufzuschreiben, doch Belafonte entscheidet sich, ein einschneidendes Erlebnis in seiner Rolle als politischer Aktivist voranzustellen. In der schwarzen Bürgerrechtsbewegung der 1960er fährt Belafonte zusammen mit seinem Freund Sidney Pointier als Geldbote für den „ Sommer der Freiheit“ nach Mississippi. Dort erlebt er Todesangst, da der Klu-Klux-Klan gerade drei Aktivisten getötet hat. (Filmfreunde werden sich an Alan Parkers „Mississippi Burning“ (1988) erinnern, in dem die Ereignisse mit Willem Dafoe und Gene Hackman dramatisch aufbereitet werden.)
Der Ton ist gesetzt und im Verlauf von Belafontes weitgehend chronologischen Lebenserinnerungen zeigt sich schon früh das große Unrechtsbewusstsein des Schwarzen jamaikanischer Abstammung, der lebenslang mit dem Rassismus zu kämpfen hat. Während der frühen Jahre in New York ist Belafonte auf einer anderen Suche. Ein junger Mann möchte Schauspieler werden und hat auch erste Erfolge, als er eher zufällig zu einem der weltberühmtesten Sänger seiner Zeit wird. Der wirtschaftliche Erfolg einer ungeahnten musikalischen Karriere als Entertainer gibt Harry Belafonte die Möglichkeiten, auch politisch Einfluss zu nehmen und eine alte, neue Suche beginnt.
Belafonte macht keinen Hehl aus seinen früh entwickelten, eher linken politischen Positionen. Als mit Martin Luther King jemand auf der politischen Bildfläche erscheint, der die Bewegung für die Rechte der Schwarzen und gegen die Rassentrennung kanalisieren kann, beginnt nicht nur eine tiefe Freundschaft, sondern auch ein beispielloses Engagement, bei dem Belafonte die Bewegung immer wieder unterstützt. Hierzulande ist es weniger üblich und auch ein bisschen verpönt, wenn sich wohlhabende Prominente zu sehr für politische Anliegen einsetzen. Ganz anders die politische Kultur der USA: Mit einem völlig anderen Selbstverständnis engagiert sich Belafonte auch finanziell für die Sache der Schwarzen und macht darüber hinaus seinen Einfluss als Showstar geltend, um bei Galas und anderen Gelegenheiten als Spendensammler für sein Anliegen aufzutreten. Irgendwann im Laufe der Rückbesinnung von „My Song“ erwähnt der Star eher beiläufig, dass die Bürgerrechtsbewegung ohne ihn wohl dauernd in Finanzengpässen gewesen wäre.
Das Erstaunliche an Harry Belafontes Leben und Autobiographie, die er mit Hilfe des Schriftstellers Michael Shnayerson zu Papier gebracht hat, ist der unermüdliche, später weltweite Einsatz für politische Anliegen, gegen Rassismus und Ungerechtigkeit, der auch in Belafontes hohem Alter nicht nachgelassen hat. Fast möchte man meinen, der Mann sei getrieben von einem Ideal und einem Zwang, der ihn nicht anders handeln ließe. Und vielleicht würden der Star und sein Therapeut, zu dem er eine lebenslange Freundschaft aufgebaut hat, das ebenso sehen.
Der Privatmensch Harry Belafonte hat durch sein politisches Engagement auch zwischenmenschliche und familiäre Probleme erlebt und ist sich dessen durchaus bewusst. Obwohl sich die Autobiographie in den überwiegenden Teilen mit dem öffentlichen Belafonte, seinem politischen Aktivismus und seinen prominenten Zeitgenossen befasst, kommen auch immer wieder in kurzen Einschüben familiäre Befindlichkeiten, Konflikte und zerbrochene Freundschaften an die Oberfläche. Es scheint, als wäre der Sänger zwar ein lebenslustiger, aber auch kein einfacher Mensch gewesen. Und neben seiner beifällig eingestandenen Eitelkeit waren es vor allem seine Temperamentsausbrüche, die ein Zusammenleben bisweilen trübten. Auch die Probleme des Stars mit seiner Spielsucht und dem schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter werden erwähnt, ohne dabei dieselbe erzählerische Tiefe und Präsenz zu erreichen wie die Schilderungen der zeitgeschichtlichen Zusammenhänge. In seiner Autobiographie setzt Harry Belafonte dieselben Prioritäten wie im Leben.
Fazit: Nach rund 600 Seiten hat der Leser vieles Wissenswerte über die amerikanische Bürgerrechtsbewegung erfahren und auch über andere Belange, für die sich Belafonte engagiert hat. Das geht weit über anekdotisches Plaudern oder irgendwelchen Star-Gossip hinaus und versucht, Zusammenhänge aufzuzeigen und Motivationen zu erläutern. In einer Autobiographie ist es selbstverständlich, dass der Autor seine Sicht der Dinge schildert, das muss nicht immer den vermeintlichen Sachverhalten entsprechen, doch Harry Belafontes bleibt immer glaubwürdig, authentisch und bezieht zumeist auch die andere Seite eines Konfliktes mit ein. Das ist sehr reflektiert und gibt „My Song“ eine große literarische Qualität. Belafontes Erinnerung beginnt mit einem Impuls des Zornes über den Rassismus und die eigene Hilflosigkeit und endet mit dem grenzenlosen Optimismus, dass die Zukunft besser wird und wir bis dahin Trost in der Mitmenschlichkeit finden.
Buch-Wertung: (7,5 / 10)
Harry Belafonte mit Michael Shnayerson: My Song – Die Autobiographie
OT: My Song: A Memoir, 2011
Genre: Autobiographie
Übersetzung: Kristian Lutze, Silvia Morawetz, Werner Schmitz,
ISBN: 978-3-462-04408-9
Verlag: Kiepenheuer & Wisch, 624 Seiten, gebunden
VÖ: 22.03.2012
Weiterführende Links
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Harry Belafonte in der englischen & deutschen Wikipedia
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