Eine japanische Lehrerin, die an ihren Schülern Rache für den Tod ihrer kleinen Tochter nimmt. Das hört sich zunächst nach einem typischen Slasher an, aber das japanische Thriller-Drama hat ganz anderes im Sinn. Das Meisterwerk „Confessions – Geständnisse“ von Tetsuya Nakashima sucht Einblicke in eine zutiefst verstörte und hilflose Gesellschaft. Herausgekommen ist ein grandioser Film.
Am letzten Tag des Schuljahres und ihrem letzten Tag als Klassenlehrerin erzählt Yugo Moriguchi (Takao Matsuo) vom Tod ihrer vierjährigen Tochter. Diese ist vor einigen Monaten im Lehrschwimmbecken der Schule ertrunken. Die alleinerziehende Lehrerin hatte das Mädchen mit in die Schule genommen, wo es während der Lehrerkonferenz in der Krankenstation warten sollte. Der Tod des Mädchens wurde als Unfall behandelt, doch Moriguchi ist sich sicher, dass zwei ihrer Schüler für den Tod ihrer Tochter verantwortlich sind. Da die Schüler erst dreizehn Jahre alt sind und somit noch nicht strafmündig, beschließt die Lehrerin, ihre Vergeltung selbst in die Hand zu nehmen: Sie hat die Milch der beiden vermeintlichen Täter mit HIV-infiziertem Blut versetzt. Nach dieser Offenbarung verlässt Moriguchi ihre Klasse, doch die Geschehnisse beginnen nun erst eine Dynamik zu entwickelt.
Nach den Ferien erscheint einer der beiden Schüler gar nicht erst zum Unterricht, der andere wird mit immer härteren Streichen gemobbt. Eine Mitschülerin, die sich dem Mobbing verweigert, gerät selbst in den Sog der kollektiven Aggression. Der neue Lehrer weiß von all dem nichts und versucht mit naiver, kumpelhafter Pädagogik die Klasse in den Griff zu bekommen.
Mit der Romanadaption „Geständnisse“ (OT: Kokuhaku) ist dem Regisseur Tetsuya Nakashima, der auch das Drehbuch entwickelte, ein außergewöhnliches Werk gelungen. Die Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern wie es der Filmtitel nahelegt, in Form von Geständnissen, die alle Beteiligten im Lauf des Films ablegen. Dabei kreist der Fokus immer wieder um den Tod der vierjährigen Tochter, doch mit jeder Beichte treten auch mehr Aspekte des ominösen Todes zu Tage und gleichzeitig entwickelt sich die Geschichte dramatisch und fatal weiter. Das allein ist sehr kunstvoll und spannend arrangiert.
Hinzu kommt die außergewöhnliche Bildsprache in dem japanischen Drama: Der Dramatik und Tragik der Geschehnisse setzt Regisseur Nakashima hochästhetische Bildwelten entgegen, die so gar nicht zu der Geschichte passen wollen – immer wieder Zeitlupenaufnahmen, ungewohnte Kameraperspektiven und auch immer wieder das inszenierte Idyll einer behüteten Schulzeit. Durch die Verlangsamung werden die Bilder höchst zweideutig und es lässt sich nicht mehr sagen, ob eine Schulhofrangelei blutiger Ernst oder ausgelassener Spaß ist. Auch die beschworenen Blütenmeere und Weichzeichner idealisieren eine ätherische Schönheit, wie sie dem japanischen Idealbild entsprechen mag, dekonstruieren es aber gleichzeitig. Unterlegt ist „Confessions“ mit einem trefflichen Soundtrack, von Bands wie den japanischen Noise-Rockern Boris, klassischen Geigen und Radiohead. Musikalisch kommt es nie zur Eskalation; der aufkeimende Wutausbruch bleibt in verstörender Andeutung stecken und unterstreicht so eindrucksvoll das, was Nakashima an irritiernden Bildern liefert.
Letztlich ist „Geständnisse“ das erschütternde Bild einer durch und durch zerrütteten Gesellschaft, in der die Jugend maßlos und haltlos geworden ist. Pubertäre romantische Todessehnsucht verquickt sich auf ungute Weise mit Popkult. Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit von Eltern bedingen extremes Ringen der Kinder um Aufmerksamkeit, während gleichzeitig Lehrer ihre Schüler nicht mehr erreichen und zu didaktischen und pädagogischen Extremen greifen.
Das alles ist sehr kontrovers und zeichnet kein optimistisches Bild der japanischen Gesellschaft. Die Thematik lässt sich aber auch ohne Probleme in unsere Kultur übertragen und ist insofern auch hierzulande und in anderen Industrienationen relevant. Umso erstaunlicher, dass Nakashimas „Geständnisse“ in Japan so überaus erfolgreich war und zudem bei den japanischen Filmpreisen 2011 voll abräumte. Außerhalb Japans ist der ambitionierte und eigenwillige Regisseur nur eingeweihten Cineasten bekannt, da es kaum einer seiner Filme in die ausländischen Kinos oder Videoverleihe schafft. Seit Anfang der 1980er ist Tetsuya Nakashima im Filmgeschäft tätig und hat inzwischen 13 Filme gedreht. Die wenigsten davon haben einen internationalen Verleih gefunden. Zeit, dass sich das ändert.
Wer den Film als DVD sieht, kann sich zudem auf ein interessantes „Making-Of“ freuen, das beinahe ebenso lang ist wie der Film selbst. Dabei portraitiert und interviewt ein Filmteam nicht nur den Regisseur und die Schauspieler, sondern verwebt dies auf kurzweilige Art mit der Entstehungsgeschichte der Literatur-Verfilmung.
Fazit: Das Thriller-Drama „Confessions – Geständnisse“ ist einer der eigenwilligsten Filme des Jahres. Die Romanadaption verstört und fasziniert zugleich mit einer wahnwitzigen, aber zutiefst ethischen Rache-Story. Das ist ganz großes Kino.
Film-Wertung: (8,5 / 10)
„Geständnisse –Confessions“
OT: Kokuhaku
Genre: Thriller, Drama
Länge: 106 Minuten, J 2010
Regie: Tetsuya Nakashima
Darsteller: Takao Matsuo, Kaoru Fujiwara, Yokito Nishii
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Rapid Eye Movies
Kinostart: 28.07.2011
DVD-& BD-VÖ: 18.11.2011