Es scheint etwas dran zu sein an der Behauptung, dass der kanadische Autor Douglas Coupland anders tickt: Der Mann, der uns einst die „Generation X“ (1991) näherbrachte ist inzwischen bei der „Generation A“ (2009, deutsch 2010) angekommen. Zwischenzeitlich war im rückwärtsalphabetischen Countdown auch mal das J dran: „JPod“ heißt der Roman, der sich mit der Befindlichkeit einer Handvoll Computerspieldesigner beschäftigt, die zwischen enervierend stupidem Arbeitsalltag und Freizeitexzessen pendeln. In Kanada, wo der Roman 2006 erschien hat man aus der Satire sogar eine TV-Serie gemacht. Nun kommt auch der deutschsprachige Leser in den Genuss dieser wahnwitzigen und großartigen Story.
Eigentlich sollte es ein Skateboard-Game werden, dass die Firma für Gamesdesign, in der Ethan Jarlowski, der Erzähler, arbeitet auf den Markt bringen will; ein Selbstgänger für die auf dem Sektor erfolgreiche Firma. Doch dann kommt einer vom Marketing auf die Idee unbedingt eine Schildkröte in das Spiel zu integrieren und der Entwicklungsprozess wird zur Arbeitshölle, in der sich Ethan Jarlowski, der Erzähler, und seine fünf direkten Abteilungskollegen, winden. Der einzige Grund warum das Sextett eine Abteilung bildet, scheint zu sein, dass es jemand aus der Human Resources Abteilung es witzig fand, dass alle Nachnahmen mit J beginnen. Daher auch der Spitzname des Arbeitsplatzes: JPod.
…Pause
Während sich Ethan und seine Kollegen alle erdenkliche Mühe geben, die bekloppte Schildkröte aus dem Game zu verscheuchen, vertrödeln die JPodder ihren Arbeitstag mit unsinnigen Pseudobiographien, nerdigen Pi-Ratespielen und ähnlich unproduktiven Tätigkeiten. Irgendwie sind die Kollegen schon schräg drauf und jeder kultiviert so seine Macken, während es darum geht, möglichst viel Arbeitszeit zu vertrödeln. Die Schildkröte bleibt auch nicht die einzige Neuerung in der Spielentwicklung.
Ethans äußerst ereignisarmer Arbeitsalltag wird dabei von absurden Turbulenzen in seinem Privatleben überschattet: Seine Mutter baut Gras an und muss einen Dealer beseitigen, sein Vater versucht in einer zweiten Karriere als Schauspieler endlich eine Sprechrolle zu ergattern und sein Bruder, der Immobilienmakler, hat sich mit chinesischen Schleusern eingelassen. Probleme, die alle immer irgendwie bei Ethan landen, der in einer Mischung aus phlegmatischer Gelassenheit und paralysierender Panik versucht, sein Leben weiter so normal wie möglich laufen zu lassen.
…warte auf den Neustart
In Couplands Roman „JPod“ geht es ebenso um die Absurdität moderner Arbeitswelten, die von den Protagonisten mit exzessivem Privatleben kompensiert werden, wie um die Globalisierung des Irrsinns. Dysfunktionale Familien mit einer Elterngeneration, die so sehr mit der Selbstverwirklichung beschäftigt ist, dass sie keine Zeit hat, sich um den Nachwuchs zu kümmern, prägen das Bild einer Gesellschaft, die jegliche Erdung verloren hat. Die Dreißigjährigen sind mal wieder dabei, herauszufinden, wer sie eigentlich sind, soweit schon seit „Generation X“ eines von Couplands Lieblingsthemen. Doch diese Dreißigjährigen unterscheiden sich von ihren Vorgängern, auch von der in „Micro-Sklaven“ (OT: „Mircroservs“,1995) portraitierten ersten Generation von Computer-Nerds.
Die JPod-Bewohner leiden unter ihrer grenzenlosen Freiheit, die gleichzeitig auch die Verpflichtung zum Glücklichsein enthält. Sie sind auf sich selbst gestellt und wo Erziehungsberechtigte ihrer Verantwortung zur Anleitung, zur Führung im positiven Sinne, zur Erziehung nicht nachgekommen sind, entwickeln sich eigene Rollenmodelle und Versuche, die sich häufig genug im schrägen Macken zeigen. Damit nicht genug, Ethan muss sich auch noch um seine Eltern kümmern, das familiäre Rollenbild wird auf den Kopf gestellt. Erstaunlicherweise funktioniert das für fast alle Beteiligten mit großer Selbstverständlichkeit.
Tetris Challenge
Ebenjene Selbstverständlichkeit, mit der in Couplands Roman absurdeste Verwicklungen hingenommen und wie Alltäglichkeiten behandelt werden, ist es, die „JPod“ so faszinierend macht. Als Autor will Douglas Coupland unterhalten. Was denn sonst?, ist man angesichts der global ausufernden Entertainment-Branche versucht zu fragen. Er taucht dabei aber so distanzlos in die Welt seiner Protagonisten ein, dass dem Leser erst später (wenn überhaupt) aufgeht, welche Absurditäten hier als Normalität geschildert werden. Die Suche nach immer neuen, stärkeren Unterhaltungsreizen führt sich selbst ad Absurdum.
Stilistisch zieht Coupland dabei alle Register, haut dem Leser seitenweise Zahlenkolonnen, Aufzählungen und Internet-Werbeslogans und die Ohren, spielt mit Schrifttypen und Größen, lässt Raum für abstrakte Ausführungen und popkulturelle Anspielungen, die längst ihre massentaugliche Relevanz verloren haben. Während Ethan als vertrauenswürdiger Erzähler den Leser eher rational und analytisch durch die Handlung lotst, hat der Autor Coupland keine Skrupel den Erzähler zu kompromittieren, indem er sich selbst zur Romanfigur macht, die einigen Einfluss auf die Handlung ausübt. Der Roman selbst wirkt teilweise wie ein Computerspiel. Wem soll man da noch glauben? Ist das wichtig? Noch einmal Spielen?
Fazit: Auch wenn „JPod“ in der Übersetzung erst einige Jahre nach der Originalausgabe erscheint, hat Douglas Couplands moderne und virulente Gesellschafts- und Unterhaltungssatire nichts von ihrem überquellenden Charme verloren und als origineller Interpret des Zeitgeistes ist Douglas Coupland ohnehin beispiellos.
Roman-Wertung: (8 / 10)
Douglas Coupland: JPod
OT: „JPod“ (2006)
Übersetzung: Clara Drechsel & Harald Hellmann
Genre: Roman, Satire,
Verlag: Tropen Verlag, 2011, 520 Seiten, gebunden.
ISBN: 978-3-608-50103-2
VÖ: September 2011
Weiterführende Links:
Buchseite mit Leseprobe beim Tropen-Verlag
Douglas Coupland HomepageDeutscher Wikipedia-Eintrag zum Autor
Englischer Wikipedia-Eintrag zum Autor