Der Friedhof in Prag: Im Herzen der Verschwörung

Eco-Friedhof-Hanser-pre2Ein neuer Roman von Umberto Eco ist, zumindest hierzulande, immer ein literarisches Ereignis. Nicht umsonst hat sich auch sein jüngstes Werk „Der Friedhof in Prag“ schnurstracks in den Bestsellerlisten eingenistet. Der Roman über die verschwörerischen Machenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist selbstredend ein kluges Buch geworden, das mit großer Fabulierkunst den Kampf gegen die Dummheit aufnimmt. Allerdings überzeugt „Der Friedhof in Prag“ als Roman nicht auf ganzer Linie.

Simone Simonini ist ein Meisterfälscher, zu dessen Broterwerb nicht nur das Ausstellen gefälschter notarieller Bescheinigungen gehört, sondern in Verlauf seines Berufslebens zunehmend auch die Herstellung von erdachten Pamphleten, die verschiedene gesellschaftliche, meist im verdeckten auftauchende Gruppen mehr oder minder in Misskredit bringen. Um seine Werke auch an den Mann zu bringen, sucht Simonini den Kontakt zu Geheimdiensten und bietet sich als Informant an. Das bringt ihn mitten hinein in die politischen Aktivitäten seiner Zeit. Zunächst in die italienischen Auseinandersetzungen um Garibaldi, dann später in die Geheimaktivitäten der Freimauer und in die jüdische Weltverschwörung. Auch die Affäre Dreyfuß hat direkt mit Simonini und seinen Fälschungen zu tun.

Der Fälscher und die Geheimdienste

Das erstaunliche an Ecos „Der Friedhof in Prag“ ist, dass außer der Hauptperson alle Figuren tatsächlich existiert haben. Auch die verschwörerischen Dokumente, Schriften und Pamphlete, die im Laufe des Romans auftauchen und kursieren sind historisch belegt, außer denen die Simonini, der Urheber allen Übels, verfasst hat. Erzählt wird die Lebensgeschichte des Meisterfälschers anhand seines Tagebuches, dass ein Erzähler präsentiert und kommentiert.

Hinzu kommt innerhalb des Tagebuchs noch eine weitere Erzählperspektive, die von einem ominösen Geistlichen herrührt, der auf irgendeine Weise mit Simonini verbunden ist und sich anmaßt, sich innerhalb des Tagesbuches zu Wort zu melden. Der Erzähler versucht die Tagebucheintragungen für den Leser aufzubereiten und fasst einige der unverständlichen oder unwichtigeren Passagen einfach zusammen, ansonsten aber wird Simonini das Feld des Erzählens überlassen. Simonini leidet wie schon der Held in Ecos letztem Roman „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“ an Gedächtnisverlust und nun versucht er seine Lebensgeschichte zu rekonstruieren.

Eco-friedhof-hörbuch„Der Friedhof in Prag“ ist ein kluges Buch, das versucht, den Verschwörungstheorien und vor allem dem moderneren Antisemitismus auf die Spur zu kommen. Die sagenumwobenen Protokolle der Weisen von Zion“ werden zwar nicht namentlich erwähnt, aber der nachweislich gefälschte Masterplan zur jüdischen Weltherrschaft spielt eine zentrale Rolle in Ecos Roman und Simonini erweist sich als Quelle dieses verschwörerischen Mumpitz. Konsequenterweise gibt es in dem Roman keinen einzigen Sympathieträger. Die Geheimdienst-Akteure sind komplett dem Überwachungswahn verfallen und es ist ihnen komplett gleichgültig, ob die ihnen zugetragenen Informationen tatsächlich der Realität entsprechen, Hauptsache es gibt etwas zu vermelden und zu beobachten.

Pickepacke volles Panoptikum

Die Informanten und vermeintlichen Verschwörer ihrerseits, sind eigentlich an literarischem Ruhm interessiert, schreiben munter voneinander ab und haben nur ihre eigenen Interessen im Sinn. Gesellschaftsgefährdend wirken ihre esoterischen und satanistischen Machenschaften nicht gerade. Das Herumspielen mit Sprengstoff ist häufig genug von den Geheimdiensten selbst veranlasst, um ihre ersponnenen Theorien zu beweisen.  Kein Wunder, dass Simonini und Konsorten da noch  etwas nachhelfen müssen, damit der Rubel rollt. Das Informationsspielchen funktioniert, weil alle wollen, dass es funktioniert. Dass Eintauchen in unterschiedliche Rollen führt denn auch zu Identitätsverlust, wie im Fall Simoninis. Rational lässt sich das nicht gänzlich erfassen und so verwundert auch nicht, dass selbst Freund und andere Psychologen als Randfiguren in „Der Friedhof in Prag“ auftauchen.

Eco-Friedhof-Hanser-pre1So meisterlich Umberto Eco auch zu fabulieren weiß und so gründlich recherchiert auch dieser historische Roman ist, er hat Mängel in der Erzählung. Der umständliche, wortreiche, zeittypische Erzählstil der Epoche zählt nicht dazu. Wohl aber die Perspektive des Erzählers, die weniger besorgt als jovial erscheint und selbst nicht weiß, ob das vorliegende Tagebuch ein Hirngespinst ist. Der Dünkel des Erzählers mündet allerdings nicht in erzählerische Spannung sondern in ironische Neugier.

„Ich gestehe, ich habe es nichtgelesen“

Die Handlung selbst umspannt ein halbes Jahrhundert, in Italien beginnend und in Paris endend, und kompensiert ein enormes Wissen um die Verschwörungstheorien. Leider wird nicht alles auch überzeugend in die Handlung überführt, und gerade in der zweiten Hälfte des 520 Seiten starken Romans lesen sich lange Passagen wir Aufzählungen, die nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden müssen. Das mag vielleicht einer populärwissenschaftlichen Abhandlung zur Zierde gereichen, in einem Roman ist das ermüdend, vor allem wenn den Leser schon zuvor das Gefühl beschleicht, der Autor komme nicht auf den Punkt, was angesichts des Themas selbstredend auch Methode hat.

Da wünscht man als an Robert Wilsons „Illuminati“ gestählter, an Eisners „Protokolle der Weisen von Zion““ zeichnerisch aufgeklärter, an Dan Brown verweifelnder, an Fletchers Visione“ leidender und am Foucault’schen Pendel berauschter Leser, der Autor hätte sich an das gehalten, was Monsieur de Lagrange auf die Frage, worum es denn gehe ,über eines der Verschwörungswerke zu Simonini sagt: „Ich gestehe ich habe es nicht gelesen, es sind über 500 Seiten – ein Missgriff des Autors, denn ein diffamierendes Pamphlet muss sich in einer halben Stunde lesen lassen.“ (Seite 202)

Umberto Ecos „Der Friedhof in Prag“ ist ein historischer Verschwörungsroman, der weniger aufgrund seiner Erzählkunst überzeugt als aufgrund der wirklich großartigen Konstruktion der Handlung und der wirklich überzeugenden Einbindung in den realen historischen Kontext. Literaturbegeisterte Paranoiker werden vieles wiedererkennen.

Roman-Wertung: 6 out of 10 stars (6 / 10)

Eco-Friedhof-HanserUmberto Eco: „Der Friedhof in Prag“
OT: „Il Cimiterio di Praga“
Übersetzung: Burkhart Kroeber
Genre: Historischer Roman,
Länge:  520 Seiten
ISBN: 978-3-446-23736-0
Verlag: Carl Hanser Verlag, München.
VÖ: 8.10.2011

Deutsche Verlags-Hompage von Umberto Eco mit Leseprobe
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