Mein Festival Auftakt beginnt musikalisch, sowohl „The Child Prodigy“ als auch „This Movie is Broken“ drehen sich explizit um Musik. Und dass ich so fleißig war, wurde mit zwei weiteren sehenswerten europäischen Produktionen belohnt: „Oldboys“ und „Das Labyrinth der Wörter“. Der isländische Film „December“ konnte der Papierform nicht ganz gerecht werden. Aber der Reihe nach.
Wie schon in den vergangenen Jahren für andere Publikationen berichte ich dieses Mal an dieser Stelle von meinen Eindrücken zum Hamburger Filmfest unter „Franks Filmmer-Fest“. Und nach fünf Filmen flackert die Retina auch von allein weiter. Aber der Auftakttag war absolut gelungen. Es gibt auch wieder die ganz persönliche Festival-Top 5, täglich aktualisiert, um am Ende meinen besten Film des Festival herauszufinden.
Daher freut es mich, dass „Frozen River“, mein persönlicher Favorit von 2008, nun endlich auch hierzulande auf DVD erschienen ist. Ein großartiger Film, der seinerzeit für zwei Oscars nominiert war und auch den Preis der Hamburger Filmkritik einheimsen konnte.
Kein Zähneputzen im Auftaktfilm
Aber zu den aktuellen Filmen. Irgendwie war Zähneputzen ein Motto des Tages: In drei der Filme gab es – jeweils vollkommen unterschiedliche – Szenen über Mundhygiene. Dafür wurde andernorts mächtig geraucht und gesoffen. Nämlich in meinem Auftaktfilm.
„The Child Prodigy“ ist ein eindringliches Bio-Pic über den kanadischen Ausnahmepianisten André Mathieu, der schon im Kindesalter herausragend Klavier spielte und komponierte. Doch die Gabe stellt sich auch als Fluch heraus. Unter dem Einfluss der ambitionierten Eltern ernährt André mit seinem Talent schon früh die Familie. Später verzweifelt er zunehmend an der versagten Anerkennung als Komponist und stürzt sich in den Alkoholismus. Mit 39 verstirbt Mathieu.
Der kanadische Regisseur Luc Dionne ist selbst Musiker und schafft es mit beeindruckenden Schauspielern, dokumentarischen Stadtimpressionen der Zeit (1929 – 1969) und intimer Kameraführung ein berührendes Drama zu entwickeln. „The Child Prodigy“ ist ein sehenswerter Film mit berührender Musik (7/10). Vorstellungen am 03. und 04. Oktober.
Charmante Altmeister am Werk
Mit „Das Labyrinth der Wörter“ (OT: „La tete en friche“) erlebe ich die erste positive Überraschung des Tages. Der Film startet am 6. Januar auch in Deutschland. Der renommierte französische Regisseur Jean Becker inszeniert Gerard Depardieu als herzensguten Arbeiter Germain, der kaum lesen und schreiben kann. Eines Tages lernt er im Park Margueritte kennen, eine belesene alte Dame, die ihn nach und nach in die Welt der Bücher führt.
Das hört sich zunächst nach einer schlichten Geschichte an, ist aber lebendig, warmherzig und mit tollen Schauspielern inszeniert. Becker gelingt es immer wieder, den Zuschauer mit Kleinigkeiten zu überraschen – so die bildlich dargestellte rege Fantasie des Germain. „Das Labyrinth der Wörter“ ist ein schöner Film und keinesfalls ein routiniertes Alterswerk. Depardieu besitzt nach wie vor eine erstaunliche Leinwandpräsenz (8/10). Vorstellungen am 2. und 6. Oktober.
Von wegen: Frohe Weihnacht
Die isländische Produktion „Dezember“ wurde als schwarzhumorig angekündigt und gehörte zu meinen Pflichtterminen. Der junge Musiker Jonni kehrt nach Jahren zurück nach Island. Neue Songs im Gepäck, die er mit den alten Bandkollegen einspielen will. Doch aus der vermeintlichen Wiedersehensfreude und dem anstehenden harmonischen Weihnachtsfest wird irgendwie nichts. Schnell stellt sich raus, dass Jonnis Familie von der Fürsorge lebt, die Schwester ein Alkoholproblem hat, und die alten Kumpel alles andere als begeistert sind von Jonnis Rückkehr. Das hat seine schwarzhumorigen Momente, geht aber eher in Richtung Sozialdrama. „Dezember“ ist solide gefilmt, läuft aber in zu ausgetretenen Bahnen, um wirklich zu überzeugen. Niveauvolle TV-Unterhaltung (5/10). Vorstellung am 6. Oktober.
Nach einer dringend notwendigen Erholungspause geht’s erst am Abend in den Publikumsvorstellungen weiter. Das ist immer komplett anders und macht eigentlich mehr Spaß, weil man etwas vom Festival-Flair mitbekommt. Die erste schwere Entscheidung des Festivals habe ich nun auch getroffen. Julian Schnabels „Miral“ entfällt für mich, inklusive der Verleihung des „Douglas Sirk Preises“. Das hat zwei Gründe, ich will den neuen Bruce McDonald unbedingt sehen und die Preisverleihung ist nun auch nicht so spannend, wenn feststeht, wer ausgezeichnet wird.
Filme statt Reden
„Oldboys“ist dänische Komödie wie sie sein soll. Eine dänische Hobbyfußballmannschaft von Altherren fährt zu einem Spiel gegen schwedische Polizisten. An einer Tankstelle vergisst die Truppe dann ihren Torwart Vagn (Kristian Halken). Der lässt sich von dem vermeintlichen Tankwart ein Stück mitnehmen, um seine Kumpel einzuholen.
Allerdings stellt sich der Tankwart als Kleinkrimineller heraus und irgendwie bleiben die beiden aneinander kleben. Heraus kommt ein warmherziges und lustiges Roadmovie. Das in Dänemark für gefüllte Kinos sorgte und auch hierzulande viele Fans finden sollte. Einen deutschen Starttermin gibt es allerdings noch nicht.
Nikolai Steen, Paprikas jüngerer Bruder, überzeugt mit seinem Regiedebüt „Oldboys“ in typisch dänischer Manier und gewinnt die Zuschauer mit einer guten Story, einer schrulligen Altherrentruppe und einem melancholischen Hauptdarsteller (7/10). Nochmals zu sehen am 3. Oktober.
Musik, Liebe und Verwirrung
Zum Tagesabschluss der Film, auf den ich mich so gefreut habe: „This Movie is Broken“. Zuvor gibt es noch einen Kurzfilm „Kaffee und Kippen“, der das Publikum nett einstimmt.
„This Movie is Broken“ ist eine Mischung aus Konzertfilm der kanadischen Band Broken Social Scene und einer Romanze zwischen Caroline und Bruno. Die kennen sich seit Kindheitstagen. Caroline wird am nächsten Tag nach Paris aufbrechen und ausgerechnet jetzt schlafen die beiden miteinander. Wie geht Bruno mit der Situation um? Zumindest das Konzert am Abend wollen die beiden zusammen erleben.
Bruce McDonald („Hard Core Logo“) verquickt Musik, Konzert und fiktionale Handlung zu einem stimmigen und überraschenden Amalgam, das Brunos emotionale Verwirrung ziemlich genau auf den Punkt bringt. Der Film wechselt häufig Perspektive und Stilmittel und schafft es dennoch, den Faden nicht zu verlieren. Die Musik der Band ist der rote Faden des Films.
„This Movie is Broken“ hat mich ziemlich gut unterhalten und ist für Fans von Musikfilmen absolut empfehlenswert (7/10).Am 3. Oktober wird der Film noch einmal gezeigt. Broken Social Scene, die ich bis dato vernachlässigt habe, sollte ich beizeiten nochmal ein Ohr gönnen.
Das war der Freitag. Eine Top 5 aus fünf Filmen zu bilden, ist ziemlich unnütz. Aber der heutige Überraschungssieger heißt eindeutig „Das Labyrinth der Wörter“.
Bis morgen.
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