Corto Maltese – 9: Abenteuer einer Jugend

Was soll man über „Corto Maltese“ und seiner Erschaffer Hugo Pratt noch schreiben, was nicht an anderer Stelle und aus berufenerem Munde schon hervorgekramt wäre? Für eine Comic-Figur hat es der ewig junge Weltenbummler Corto zu ikonischem Ruhm gebracht. Sein Autor und Zeichner Hugo Pratt war selbst eine Legende. Die Neuauflage der „Corto Maltese“ Gesamtausgabe die hierzulande bei Schreiber & Leser erscheint, begann 2015 zum 20. Todestag von Pratt. Inzwischen liegen fast alle Titel jeweils als klassische Schwarz-Weiß-Ausgabe und koloriert vor und mit Band 9 „Abenteuer einer Jugend“ brachte Pratt etwas Licht in die Anfänge einer einzigartigen Weltenbummler-Karriere.

Irgendwann im Jahr 1905 irgendwo in der Mandschurei nach Monaten des Russisch-Japanischen-Kriegs ertönt an der Front ein folgenschwerer Pfiff, der das Kriegsende anzeigt. Allerdings traut nicht jeder dem Frieden und ein junger russischer Soldat namens Rasputin erschießt befehlsverweigernd einen Offizier und desertiert. Er trifft zufällig auf den amerikanischen Kriegsbeobachter Jack London, der selbst in ein Duell mit einem japanischen Offizier verwickelt wird und findet in ihm einen Helfer bei der Flucht. Die Hoffnung, aus dem Frontgebiet abzuhauen liegen auf einem jungen Reisenden, den London kennengelernt hat: Corto Maltese.

In „Abenteuer einer Jugend“ begab sich der italienische Comic-Zeichner und –Autor Hugo Pratt 1981 bis 1982 auf eine Zeitreise zu den Anfängen seiner legendären Abenteurer-Figur Corto Maltese. Corto hatte seinen ersten Auftritt in dem Comic-Abenteuer „Südsee-Ballade“ (1967-69) und war zum Zeitpunkt dieses Jugend-Abenteuers bereits eine Berühmtheit unter den Comic-Helden. So wie es der Sammelband der Gesamtausgabe nahelegt, plante Pratt einen weit umfassenderen Handlungsbogen als nur dieses erstes Treffen von Maltese und Rasputin zu vergegenwärtigen. Streitigkeiten mit der veröffentlichenden Zeitung verhinderten das allerdings.

Kendo mit Corto

So bleibt „Abenteuer einer Jugend“ ein Solitär in Pratts „Corto Maltese“–Werk, dem ein kleines bisschen die Unfertigkeit anheftet. Diese chronologisch nachträglich geschriebene Geschichte hat nicht die ganz große erzählerische Eloquenz der besten Corto Maltese Abenteuer. Es ist wie man heute sagen würde ein Prequel, noch dazu eines, das zu einer eigene Fortsetzungsreihe ausgeweitet werden sollte. Wie so etwas bei beispielsweise „Star Wars“ aussieht, wissen wohl die meisten. Und dennoch ist „Abenteuer einer Jugend“ nicht nur für hartnäckige „Maltese“-Fans ein Kleinod, sondern auch ein möglicher Einstieg für Neuleser. Immerhin hat der Band mit Rasputin und Jack London zweit historische Figuren der Zeit zu bieten, die den Weg des fiktiven Weltenbummlers Corto Maltese begleiten.

Die Geschichte ist und bleibt eine klassische Abenteuer-Erzählung, die weniger auf Action setzt, denn auf sorgfältig recherchiertes Zeitkolorit und ein aufregendes zeitliches Setting. Auch wenn der Russische-Japanische Krieg von 1904-05 heute kaum noch historische Beachtung erfährt, so kündet er doch schon vom Fin de Siecle, vom Untergang jener Imperien, die sich in der Zeitenwende des Ersten Weltkriegs gegenseitig den industrialisierten Garaus machen.

Corto Maltese ist da, wo er immer ist, zunächst beobachtend am Rand, dann immer tiefer in die Ereignisse verstrickt und schließlich der Kristallisationspunkt im Auge des Hurrikans. Als Zeichner weiß Hugo Pratt seine Szenarien und seine Charaktere mit wenigen kunstvollen Strichen zu fassen, versteht –da er im Original auf Farbgebung verzichtete – meisterhaft mit dem Schatten zu arbeiten und kommt als grafischer Erzähler ausschließlich mit Sprechblasen, also Dialogen, aus. Das ist und bleibt immer die hohe Comic-Kunst, auf erklärende Sätze verzichten zu können.

Die Sprechblasen in „Abenteuer einer Jugend“ nehmen allerdings mit wenig deutschem Text innerhalb der Panels unästhetisch viel Raum ein, aber das mag ein Dilemma von Übersetzung und Schriftgröße beim Lettering sein. Inhaltlich gibt‘s an Resl Rebierschs Übersetzung eh nichts zu meckern; wie immer eigentlich.

Etwas Farbe in der Weltreise

Noch ein paar Worte zur Kolorierung der „Corto Maltese“-Geschichten. Bereits in den 1980er Jahren, gründete Hugo Pratt die Firma „Cong Sa“, die alle seine Werke verwalten sollte. Bereits zu dieser Zeit arbetete Hugo Pratt mit der Künstlerin und Koloristin Patrizia Zanotti zusammen, die für die Farbgebung der „Corto Maltese“-Abenteuer verantwortlich ist. Man kann also davon ausgehen, dass der „Meister“ das Bunte der Bilder abgesegnet hat oder hätte. Ich für meinen Teil empfinde es als Bereicherung der großartigen Panels und Seiten. Bei nachkolorierten Schwarz-Weiß-Filmen liegt der Fall anders, dort regiert allzu häufig die Unnatürlichkeit der Farbgebung, wohingegen Patrizia Zanotti die Atmosphäre der Zeichnungen häufig kongenial unterstreicht.

Heute nennt man „Corto Maltese“ so elaboriert „Graphic Novel“, also „Bilder-Roman“, und redet von Kunst und Literatur. Das Vorwort der Neuausgabe der „Südsee-Ballade“ etwa stammt von Umberto Eco, Seines Zeichens Professor und Autor. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass „Corto Malteses“-Abenteuer anfangs als Fortsetzungs-Geschichten in der Tagespresse und in Magazinen erschienen sind, genau wie viele der großartigen Romane von Charles Dickens.

Hierzulande wurde die Südseeballade allerdings erstmals in den 1970ern im Zack –Magazin veröffentlicht, das kunterbunt franko-belgische Comics zusammenwürfelte und für jugendliche Leser aufmachte. Abgesehen davon, dass die Ballade seinerzeit auch nicht vollständig abgedruckt wurde, machte die Weltenbummler-Geschichte auch kaum Eindruck auf den neugierigen Rezensenten, der die Hefte einige Jahre später in die Finger bekam. Ich gesteht, ich habe „Corto Maltese“ tatsächlich erst nach Geographie-Studium und deutlich jenseits der Dreißig zu würdigen gewusst. Erwachsene Leser tun sich hierzulande mit dem Medium Comic auch heute noch oft extrem schwer, sofern sie nicht frühzeitig damit sozialisiert wurden. Wie also soll man dem erwachsenen deutschen Neuleser Hugo Pratts Werk nahebringen?

Vielleicht sollte man „Corto Maltese“ in den bildungsbürgerlichen erwachsenen Literaturkanon aufnehmen, so wie „Asterix“ ja auch für den Lateinunterricht verwendet wird. Wahrscheinlich aber würde sich der unabhängige Abenteurer und Freigeist „Corto Maltese“ eingepfercht in eine staubige Liste nicht sonderlich wohlfühlen.

Corto Maltese – 9: Abenteuer einer Jugend
OT: Corto Maltese – La Giovinezza,
Zeichnung & Szenario: Hugo Pratt
Farben: Patrizia Zanotti
Übersetzung: Resl Rebiersch
Verlag: Schreiber & Leser , gebunden, 96 Seiten
ISBN: 978-3-943808-70-4
VÖ: 04.12.2018


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