Der neue Roman der finnischen Autorin Johanna Sinisalo, die unter anderem auch für die Story des finnischen Kult-Sci-Fi-Film „Iron Sky“ verantwortlich zeichnet, ist eine auf den ersten Blick seltsame Mischung aus Feminismus und Science-Fiction, Dystopie und Drogenrausch. Also voran in ein krudes Finnland, in dem jeder Spaß abhanden gekommen ist .
Finnland hat eine andere Entwicklung genommen als der Rest Europas: Während in die hedonistischen Nachbarstaaten gesellschaftliche Missstände und gesellschaftliche Unzufriedenheit an der Tagesordnung sind, läuft in Finnland alles glücklich und zufrieden. Zumindest an der Oberfläche. Grund dafür ist eine rigorose Herrschaft der Gesundheitsbehörde, die einerseits jegliche Droge verboten hat, und andererseits herausgefunden hat, wie die Gesellschaft am besten funktioniert. Nämlich in dem man die Frauen züchtet wie man das auch bei Haustieren macht.
Die gezüchtete Hausfrau
Seit Jahrzehnten werden blonde Mädchen bevorzugt und gefördert, die ausgesprochen weibliche und hausfrauliche Neigungen an den Tag legen. Ihr einziger Daseinszweck ist es, dem Gatten zu gefallen, dem seinerseits werden deutlich mehr Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten zugestanden. Diese folgsamen Mädchen werden auf Eloi-Schulen zusätzlich noch ausgebildet und mit niedlichen Namen versehen, während alle anderen als Morlock-Frauen ein gesellschaftlich geächtetes Randdasein führen und für den Fortpflanzungsmarkt nicht zur Verfügung stehen.
In dieses Finnland geraten die Schwestern Vera – neu benannt Vanna- und ihre jüngere Schwester Manna nachdem ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen und sie bei ihrer Großmutter im ländlichen Norden Finnlands aufwachsen. Vanna gibt nur vor, eine Eloi zu sein, um nicht von der Schwester getrennt zu werden, und die Großmutter hilft ihr dabei, trotzdem ihrer tatsächlichen Neigung nachzugehen. Der junge Landtechniker Jare, der auf dem Hof ein Praktikum macht, wird später, als Vanna in die Stadt zieht, zu ihrem Vertrauten.
Die beiden haben ein einträgliches Drogengeschäft am Laufen. Denn irgendjemand hat herausgefunden, dass man auch von Chili-Schoten high werden kann – durch den Schmerz zur Endorphinauschüttung zum Rausch (grob vereinfacht ausgedrückt). Selbstverständlich hat inzwischen auch die Gesundheitsbehörde davon Wind bekommen. Und durch den zufälligen Kontakt zu einer Sekte, die die Muttererde Gaia anbetet, kommt Vanna an den guten Stoff.
Erzählung als Rückblende und Brief
Vera / Vanna erzählt ihre Geschichte im ersten Teil in einer Art Rückblende, die in Briefen an die inzwischen verschwundene und für tot erklärte jüngere Schwester ausformuliert wird. Daneben reihen sich noch offizielle Schriften zur Staatshygiene, um die finnische Befindlichkeit zu umreißen. Das liest sich bisweilen ein wenig bruchstückhaft, fragmentarisch und will nicht recht in Fluss kommen. Im zweiten Teil dann geht Vera/Vanna zu einem prosaischen Erzählen der Jetztzeit über und der Roman gewinnt an Erzählfluss und Spannung.
Vieles aus dem dystopisch konstruierten Finnland des Romans ist aus der Literatur entlehnt, etwa die Bezeichnungen Eloi und Morlock, die aus H.G. Wells „Die Zeitmaschine“ stammen. Auch fallen einem sofort Klassiker wie Orwells „1984“ und Huxleys „Schöne neue Welt“ ein und nicht zuletzt Margret Atwells „Report der Magd“. Und mit ein bisschen Fantasie erkennt man am Ende der Geschichte auch durchaus Parallelen zu Molly Blooms Bewusstseinsstrom in Joyce’s „Ulysses“.
Daneben kommt aber eine eindeutig feministische Perspektive ins Spiel, die mit dem Frauenbild, das zwischen Barbie-Puppe und Übermutter pendelt und die vollbusige, schamrasierte Blondine als Idealtypus der Frau hinstellt, ganz krass aufräumt. Johanna Sinisalo schreibt modern, schnörkellos und mit viel Humor, der sich zwischen den Zeilen und schon in der Grundkonstruktion dieses Handy-losen Finnland versteckt. Das steht durchaus in der Tradition feministischer Science-Fiction wie sie beispielsweise Marge Piercy 1976 mit „Die Frau am Abgrund der Zeit“ geschrieben hat.
Trotz Startschwierigkeiten aufgrund des bewusst fragmentarischen Beginns und der etwas plakativen Eloi-Zeichnung, legt die finnische Autorin Johanna Sinisalo mit „Finnisches Feuer“ einen sehr lesenswerten Roman vor. Der richtet sich beileibe nicht nur an junge Frauen.
Buch-Wertung: (7 / 10)
Finnisches Feuer
OT: Aurinogon Ydin
Autorin: Johanna Sinilalo
Übersetzung: Stefan Moster
ISBN: 978-3-608-50144-5
Verlag: Tropen Verlag, gebunden, 314 Seiten
VÖ: 18.07.2014