Es muss schon außerordentlich seltsam sein, wenn man sich selbst gegenübersteht. So ergeht es der Heldin der spannenden und empfehlenswerten Thriller-Serie „Orphan Black“ die gerade bei Polyband erschienen ist. Die BBC beweist, dass auch der amerikanische Ableger feine Unterhaltung abliefern kann. Auf in die „Clone Wars“:
Sarah Manning (Tatiana Maslany) ist ein englisches Waisenkind und inzwischen selbst Mutter, allerdings keine richtig tolle. Die Punklady hat ihre kleine Tochter bei ihrer ehemaligen Pflegemutter untergebracht und sich seit einem Jahr nicht mehr blicken lassen. Jetzt ist Sarah auf der Flucht vor ihrem brutalen Ex-Freund Vic (Michael Mando) und wieder zurück in der Stadt. Doch auf dem Bahnsteig geschieht etwas Seltsames: Eine gutgekleidete Frau, die ihr zum Verwechseln ähnlich sieht, stürzt sich vor einen Zug. Kurzentschlossen klaut Sarah die Handtasche der Selbstmörderin und taucht erstmal bei ihrem Pflegebruder Felix (Jordan Gavaris) ab. Der homosexuelle Künstler weiß nicht so recht, was er von SarahsErscheinen halten soll, aber dann überwiegt die Verbundenheit der gemeinsamen Kindheitsjahre.
„Lose This Skin“
Sarah beschließt derweil, dass ihr die Tote eine perfekte Möglichkeit bieten würde, unterzutauchen. Kurzentschlossen nimmt sie deren Identität an. Doch wer ist Beth Childs überhaupt? Die lebte ziemlich luxuriös, was Sarah dazu verleitet, die Konten abzuräumen und sich vom Acker zu machen. Doch dann taucht Beth’s Freund Paul (Dylan Bruce) auf und auch ein gewisser Art ist gleichfalls ziemlich engagiert hinter ihr her. Es dauert nicht lange und Sarah/Beth findet sich als Polizistin mit einer internen Ermittlung konfrontiert, ihr Partner Art (Kevin Hanchard) schnappt sich Beth‘ Geld und will es nicht wieder herausrücken, bis Beth wieder im Dienst ist. Sarah bleibt keine Wahl, als sich so gut es geht als Polizistin auszugeben.
Das stellt sich allerdings noch lange nicht als ihr größtes Problem heraus. Denn plötzlich wird Sarah mit weiteren Frauen konfrontiert, die ihr auf haarsträubende Weise ähnlich sind. Und eine davon wird ermordet und Sarah muss die Leiche verschwinden lassen. Ist vielleicht doch ganz gut, als Cop unterwegs zu sein, um herauszufinden, was hier los ist.
„Shoud I Stay or Should I Go?“
Die actionreiche TV-Serie „Orphan Black“ braucht nicht lange, um Tempo und Spannung zu erzeugen. Mit dem Urknall der Bahnsteigszene, die für Protagonistin Sarah eine Welt zum Wanken und unglaubliche Geschehnisse ins Rollen bringt, ist gleich ein hoher Adrenalinlevel geschaffen, den die Serie trotz einiger humoristischer Ausflüge im Grunde die gesamte erste Staffel über nicht wieder verlässt. Dabei lassen die Serienmacher John Fawcett, der auch bei vier Folgen die Regie übernahm, und Graeme Mansion die Informationen vergleichsweise spärlich fließen, aber immer so, dass man als Zuschauer fasziniert am Ball bleibt. Das ist vor allem gut geschrieben, und mit vielen unerwarteten Wendungen bestückt. Das Thema „Klonen“ ist dabei politisch ziemlich aktuell, wird aber nicht überspannt, sondern im Rahmen der Handlung beleuchtet. Das hat ganz klar science-fiction-mäßige Züge, aber „Orphan Black“ ist vor allem eine Thriller- und Action-Serie. Und für eine TV-Produktion kann sich das Ergebnis absolut sehen lassen.
„Career Opportunities“
Für Hauptdarstellerin Tatiana Maslany ist „Orphan Black“ ein wahres Schaulaufen und die kanadische Schauspielerin wurde für ihre multiplen Bildschirmpersönlichkeiten absolut folgerichtig für den Golden Globe nominiert. Es gelingt ihr so faszinierend und schillernd in die unterschiedlichen Charaktere der Klone überzuwechseln, dass es beinahe atemberaubend ist. Selbstredend hat auch die Make-Up-Abteilung ihren Anteil an den glaubhaften Verwandlungen, aber Tatiana Maslany rockt die Serie von Beginn an mit beachtlichem Sex-Appeal und ohne jemals einen Deut an Intensität zu verlieren. Das ist auch kein Wunder, immerhin stand die vielbeschäftigte 27-jährige schon mit zwölf vor der Kamera. In der Synchronfassung, die sehr gelungen ist, kommen zwar einige dialektbedingte Feinheiten der vielen Charaktere nicht so zum Zug, aber man kann das schnoddrige Punk-Girl auch so von der braven Vorstadthausfrau, der durchgeknallten religiösen Fanatikerin und der nerdigen Wissenschaftlerin unterscheiden. Wirklich schön, meistens auch witzig und für Tatiana Maslany fordernd, ist es allerdings, wenn ihre Serienfiguren sich gegenseitig vertreten.
„Know Your Rights“
Das alles wären schon genug Gründe, „Orphan Black“ auf keinen Fall zu verpassen, aber die herausragende Serie hat noch deutlich mehr zu bieten. Zum Einen wäre da die stimmig eingebaute englische Vergangenheit und die Vorliebe zu dem Londoner Punk der ersten Stunde, die sowohl Sarah als auch Felix und Pflegemutter Mrs. S. (Maria Doyle Kennedy) teilen und die der Serie einen politisch unkorrekten Erzählton verleiht, zum Anderen wäre da ein sich immer dichter zusammenziehender Verschwörungsplot, der nicht nur handwerklich extraordinär ist. Und dann wäre da noch Felix, der als schwuler Freund und –naja- angehender Künstler immer in den spannungslösenden, absurd-komischen Momenten zu Hochform aufläuft. Sein Auftauchen als „Barkeeper“ beim Nachbarschaftsfest in den Vororten ist ebenso annähernd legendär wie seine geistreich ironischen Kommentare zum Stand der Dinge.
Die von BBC America produzierte Serie „Orphan Black“ macht mächtig Dampf und ist eine der besten Thriller-Serien seit langem. Hauptdarstellerin Tatiana Maslany ist wahnwitzig gut. Sollte mich nicht wundern, wenn die Serie ihren internationalen Durchbruch markiert.
Serien-Wertung (9 / 10)
Orphan Black – ein Klon ist niemals allein – Staffel 1
OT: Orphan Black Season 1
Genre: Serie, Thriller, Sci-Fi, Mystery
Länge: ca. 450 Minuten, 10 Folgen
Idee: Graeme Mansion, John Fawcett,
Regie: John Fawcett, T.J. Scott, et al.
Darsteller: Tatiana Maslany, Dylan Bruce, Jordan Gavaris
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Polyband
DVD- & BD-VÖ: 29.05.2014
(PS: Zwischentitel und Headline zitieren Songtitel von The Clash)