Bahnhof Motte – Zeit Fressen: Album Review

Art Punk ist so ein Musiklabel, das mir lange nicht mehr untergekommen ist und früher mal so Bands wie Talking Heads, Television und Devo bezeichnet hat. Von denen sind die Desdener „Bahnhof Motto“ aber Epochen entfernt. „Zeit Fressen“ heißt das zweite Album der Band und ins Ende Oktober als Vinyl und in digitaler Form bei Tonzonen Records erscheinen. Bahnhof Motte machen genresprengende energetische Musik. Einzelheiten klären wir unterwegs. Das ist auf keinen Fall etwas für eingefahrene Geschmäcker.

Eckdaten, die dann doch weniger sind als die Summe des Ganzen. Bahnhof Motte musizieren als Quartett mit konstanter Besetzung seit 2019. Ich mutmaße, dass Sänger, Saxofonist und Synth-Spieler Georg Fleischfresser einen Künstlernahmen benutzt. Wäre aber auch gleichgültig, wenngleich es ins Konzept passen würde.

Es wird schon mit nervöser Energie musiziert und es gibt harte Gitarren, neben 80er Synthies, Zappaesque Kakofonien und bluesige Doom-Sequenzen. Der Beipackzettel zum Album und zur Band erzählt von Schnittmenge und akustischem Erlebnisraum zwischen Einstürzenden Neubauten und Ton Steine Scherben. Je nach eigenen musikalischen Vorlieben und Erfahrungen lassen sich wohl noch andere Inspirationen ausmachen. Allein, nicht die Vorbilder zählen, sondern das eigenständige Ergebnis.

„Kaltheißer Schweiß lässt meine Nähte platzen“

Das quecksilbrige Amalgam unterschiedlichster Stile wird mit deutschen Texten vorgetragen, die tatsächlich mal einen eigenen Charakter haben. Die grundsätzliche Nähe zum Punk im Sinne einer weltwütenden Grundhaltung ist nicht zu verleugnen. Ebensowenig das Konzept „Zeitbegriff“ in den Texten und Liedern auf diesem zweiten Album.

Die Mehlmotte als Vorratsschädling frisst sich genüsslich durch vorhandene Lebensmittel, Bahnhof Motte fräsen sich genüsslich in das Hirn der geneigten Hörerschaft. Und mühlenartig braucht es auch ein paar Durchläufe um mit dem musikalischen Konstrukt vertraut zu werden. So etwas erschließt sich nicht bei durchzappen. Mensch soll ja nicht anderweitig vorführen, aber der Kollege im Rock Hard hielt die Musik für „bestimmt gut als Pausen-Band auf Vernissagen von irgendwelchen Hype-Künstler:innen in Berlin-Mitte“. Hard Rocker eben, wertkonservativ, beschäftigt.

Mensch muss da spezifischer sein: Eindeutig mehr Friedrichshain als Prenzelberg. Wer also sollte sich ernsthafter und langwieriger mit dieser Art von Musik auseinandersetzen? Doch nur, wer neu Erfahrungen und Sounds willkommen heißt, oder in den Genuss kam, das Auftritts-Erlebnis für hörenswert befunden zu haben.

So heavy mit „Zentimeter“ einzusteigen, nur um den Song dann unterwegs zu dekonstruieren, ist schon eine Ansage. Überhaupt gehts selten einmal ohne tempo-Stimmungs-und Stil-Wechsel vonstatten. King Gizzard lassen grüßen. Das ist schon auch nervös. Hektisch punkig geht’s in Zeit fressen“ weiter und mi kommen Utopia LTD in den Sinn, vielleicht auch Isoscope. Bahnhof Motte komme aber immer wieder auf den Punkt und die Band ist einfach tight eingespielt.

„Großkontinetales Derivat“

So flott es in „Zeit Fressen“ von konkret dadaistischer Prosa zu Yachtrock mit 70er Steigerungsdynamik und weiter zu Saxofon-Wirbelwind geht, so schwer fällt es mir hier tatsächlich Schubladen auf und zu zumachen. Der musikalische Springteufel guckt schon wieder aus einer anderen Lücke hervor. Das ist nicht unanstrengend; aber auch sehr belohnend, wenn der Hirnschmalz erst mal wieder liquide wird. Definitiv ist „Zeit fressen“ keine Hintergrundmusik. Gut so.

Es gibt an Bahnhof Motte, etliches, was nicht zu meinen Vorlieben gehört. Ich mag diesen Chorus-Sound an der Gitarre nicht, ich kann die NDW-Sythies nicht ausstehen, der Sprechgesang kommt bisweilen arg monoton rüber und die Stimme von Georg ist nun auch nicht per se charismatisch und einnehmend. Auch sind Songlängen von jenseits der 5 Minuten Marke nicht unbedingt Punk, Wohl aber Art und Prog und Kraut und Rüben. Und so fügt sich beim x-mal Deutschland’schen Durchlauf auch alles zu einem hinreißenden, eigenwilligen und eigenständigen und furiosen Ganzen.

Ich wollte zu Ende denken. Nun bin ich fertig. Bahnhof Motte sind heißer Scheiß für Leute, die neben ihren Rios Protestlyrik und Blixas Gehämmer noch Raum für die Deutsch-Rap haben. Monotonie und Ausbruch bis hin zu fusion-jazzigen Instrumentalläufen der Sorte Universal Congress Of. Und jetzt alle – noch ne Karnevalsdhymne: Da simmer dabei! Dat is Priima! Viva…

Bewertung: 9 von 10.

Bahnhof Motte – Zeit Fressen
Genre: Art Punk
Länge: 44 Minuten, 8 Songs, D, 2025
Interpret: Bahnhof Motte
Label: Tonzonen Records
Vertrieb: Cargo
Format: Vinyl, Digital,
VÖ: 31.10.2025

Bandseite

Bahnhof Motte bei Tonzonen Records

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