
„Amrum“ läuft noch im Kino und ich bin neulich auf diese Filmvorstellung eines früheren Films von Filmmacher Fatih Akin gestoßen. „The Cut“ von 2014. Kein leichtes Thema gesucht: Es geht hintergründig auch um den Völkermord der Türken an den Armeniern im Jahr 1915. Der wird in der Türkei noch von vielem Menschen nicht als solcher angesehen. Die epische Odyssee eines armenischen Schusters stellt aber eine persönliche Geschichte in den Mittelpunkt und so sind es Kleinigkeiten des Cinemascope-Dramas die den Unterschied machen.
Der armenische Schuster Nazareth Manoogian (Tahar Rahim) lebt mit im Jahr 1915 mit seiner Frau und seinen Zwillingstöchtern in Mardin im Süden des osmanischen Reiches an der Grenze zu Syrien. Die Türken waren um das Osmanische Reich aufrecht zu erhalten an der Seite von Österreich und dem Deutschen Reich in den Krieg gezogen. Seither verschlechtert sich die Stimmung zwischen den muslimischen Türken und der armenischen, christlichen Bevölkerung.
Es dauert nicht lange und Nazareth wird wie die anderen Männer Mardins zum Kriegsdienst herangezogen. Diese stellt sich allerdings schnell als Sklavenarbeit an den Straßen der wüstenhaften Landschaft heraus. Armenier gelten als Feinde des Reiches und werden entweder hingerichtet oder in Lager getrieben. Immer wieder ziehen Trupps von gefangenen Armeniern an den Zwangsarbeitern vorbei; und dann werden auch die Straßenarbeiter exekutiert.
Feindes des Osmanischen Reiches
Nazareth überlebt mit Hilfe jenes Türken, der zwangsrekrutiert wurde um ihn hinzurichten. Allerdings hat die Verletzung, der er sein Leben verdankt, ihm die Stimme genommen. Die beiden schließen sich einer Gruppe Deserteure an. Und obwohl berichtet wird, das Mardin zerstört wurde, hofft der stumme Schuster auf Nachrichten von seiner Familie. Schließlich macht er sich selbst auf die Suche. Im Gefangenenlager Ras-al-Ain stößt er auf seine Schwägerin, die ihm erzählt, dass seine Familie tot ist. Nazareth schlägt sich nach Aleppo in Syrien durch, wo Armeniern Zuflucht gewährt wird.
Jahre später trifft er dort seinen ehemaligen Lehrling, der ihm erzählt, dass Nazareths Töchter überlebt haben. Er macht sich auf die abenteuerliche Suche nach seinen Lieben, die ihn von Syrien in den Libanon, nach Cuba und von dort schließlich nach Amerika führt.
Filmmacher Fatih Akin („Soul Kitchen“) versteht „The Cut“ nach „Gegen die Wand“ (2004) und „Auf der anderen Seite“ (2007) als Abschluss seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie, die sich mit den existentialistischen Elementen des menschlichen Lebens beschäftigen. Dass dabei auch immer türkische Befindlichkeiten behandelt werden, liegt in der Biographie des Regisseurs begründet.
Eine Irrfahrt
Das Drehbuch, an dem Akin jahrelang arbeitete, entstand letztlich unter Mithilfe der Filmautorenlegende Mardik Martin. Der hat selbst armenische Wurzeln. Er arbeitete mit an Martin Scorseses „Hexenkessel“ und „Wie ein wilder Stier“. Martin hat Akins ausufernde Drehbuch drastisch zusammengestutzt. Und so verwundert es nicht, dass „The Cut“ jenseits seiner Spätwestern-Optik, erzählerisch einen sehr amerikanischen Touch hat.

Höchst klassisch und in vollem Bewusstsein der Filmgeschichte beginnt „The Cut“ mit den Worten „Es war einmal“ (Once upon a Time) und rollt sein episches Drama in gleißend hellen Wüstenbildern und Zeitsprüngen auf. Immer wieder auch bezieht Fatih Akin die Filmgeschichte aktiv in sein Epos ein. Nicht nur in der Sequenz, als in Aleppo in einem Hinterhof ein Chaplin-Film auf eine Häuserwand projiziert wird, was auch an Akins „Solino“ (2002) erinnert. Einiges wirkt optisch direkt aus “Ben Hur“ entsprungen oder aus einem Sergio-Leone-Western.
Das Personalisieren, das Herunterbrechen eines komplexen historischen Ereignisses auf eine beinahe simple Familiengeschichte ist ein gängiges und probates Mittel, um zusammenhänge erlebbar zu machen. Im ersten Teil des Films gelingt das fulminant und eindringlich. Erstaunlich wie innerhalb von wenigen Drehbuchsätzen und Filmminuten aus den Armeniern zunächst Soldaten, dann Zwangsarbeiter und schließlich Volksfeinde werden. Während die Betroffenen scheinbar sinnlos eine Straße durch die Felsen der Gebirgsödnis schlagen. Eindringlich sind auch die Bilder aus dem Lager, die zwar stilisiert sind, aber ihre Wirkung nicht verfehlen, ohne das die Gewalt in „The Cut“ jemals explizit zu sehen wäre; eine große Stärke des Films.
Neustart in Amerika
Der französische Hauptdarsteller Tahir Raheem („Ein Prophet“, „Black Gold“) tragt den Film über weite Strecken mit großer Präsenz und wirkt dennoch wie ein durchschnittlicher Mann, nicht wie ein stilisierter Held. Dass Nazareth seine Stimme verliert, macht es nicht eben leichter, auf der Leinwand zu bestehen. Dem sprachlichen Konzept des Films, in dem die Armenier englisch reden, alle anderen in ihrer Sprache, kommt das sicher entgegen. Und als Genozidüberlebender ohne Blessuren davongekommen zu sein, wäre nicht glaubhaft und auch dramaturgisch absurd gewesen.
Wenn sich Nazareth auf die Suche nach seinen Töchtern macht, wird „The Cut“ dramaturgisch absehbarer und auch ein wenig schwächer. Andererseits ist diese abenteuerliche Reise eines liebenden Vaters auch sehr zugängliches Kino und zeigt exemplarisch, wohin es die überlebenden Armenier des Osmanischen Reiches verschlagen hat. Und – das mag Kalül sein oder aber einfach referenziell – dadurch ermöglicht „The Cut“ auch den amerikanischen Zuschauern einen Bezug zu seinem inhaltlich wichtigen Film.
„The Cut“ mag nicht Fatih Akins stärkster und intensivster Film sein, einer seiner zugänglichsten ist er trotz des brisanten und schwierigen Themas in jedem Fall. Und das ist keineswegs despektierlich zu verstehen.
The Cut
OT: The Cut
Genre: Drama, Historie
Länge: 138 Minuten, D/, 2014
Regie: Fatih Akin
Schauspiel: Tahar Rahim, Hindi Zarah, Simon Abkarian,
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Pandora/ Alive
Kinostart: 16.10.2014
DVD- & BD-VÖ: 30.04.2015



