Kafkas Der Bau: Cocooning im Wohnsilo

Anlässlich des Kinostarts von „Stiller“ habe ich die Kritik zu „Kafkas Der Bau“ ausgegraben, die ich 2015 zum Kinostart verfasst habe. Mangelnden Mut kann man Filmmacher Jochen Alexander Freydank bei seiner ambitionierten Literaturverfilmung wahrlich nicht unterstellen. In Kafkas Erzählung „Der Bau“ allerdings eine Metapher auf das heute verbreitete Phänomen Cocooning zu sehen, greift irgendwie zu kurz. So wie auch einige andere Aspekte dieser Produktion. Aber der Film, mit dem sich Oscargewinner Freydank seit zehn Jahren beschäftigt, riskiert einiges und mutet dem Zuschauer auch einiges zu.

Franz (Axel Prahl) zieht mit seiner Familie in eine moderne Wohnung. Der rot aus dem Stadtbild ragende Betonbau ist eine in sich abgeschlossene Welt. Eine Welt, in der Sicherheitskräfte und ein Empfang für geregeltes und sicheres Wohnen sorgen sollen. Doch die Wohnanlage verfällt zusehends, während Franz sich immer weiter in eine Art Verfolgungswahn steigert. Er entwickelt ein immer größeres Sicherheitsbedürfnis. Das hat auch Auswirkungen auf sein Familienleben und seine Arbeit als Angestellter.

Bald nehmen der Hausmeister (Joseph Hader) und auch der Wachmann (Robert Stadtlober) ihre Aufgaben kaum mehr wahr. Und der Nachbar (Roeland Wiesnekker) beginnt eine empfindliche Störung darzustellen. Der Hof der Wohnanlage wir immer mehr zu einer vermüllten Brachfläche, immer mehr Bewohner ziehen aus der Anlage aus.

Verwohntes neues Bauen

„Der Bau“ ist eine längere, wahrscheinlich unvollendete Erzählung von Franz Kafka (1883 bis 1924), die erst posthum veröffentlicht wurde. Darin wird aus der Ich-Perspektive beschrieben, wie ein Wesen in einem unterirdischen Bau lebt. In Form eines inneren Monologs kreisen die Gedanken des Protagonisten in immer enger werdenden Kreisen um das Lebenswerk. Die Errichtung jenes labyrinthischen Baus, der kaum verlassen wird. Ein störendes Geräusch gibt Anlass über die eigene Bedrohung nachzudenken.

Schon formal ist es eine große Herausforderung die verinnerlichte Perspektive der Erzählung in ein anderes Medium zu übertragen. Jochen Alexander Freydanks („Zorn“, „Der Barcelona-Krimi“) Film behilft sich trefflich mit einer Videokamera. Die führt Protagonist Franz immer bei sich und mit der redet er auch. Allerdings lässt sich diese Perspektive ebenso wenig aufrechterhalten wie das Sprachniveau der Erzählung. Sobald Franz mit der Außenwelt agiert und auch in seinen Gedanken und Selbstgesprächen wird immer wieder der Gegensatz zwischen Kafkas Sprache und den dialogischen und gedanklichen Hinzufügungen deutlich. Vielleicht wäre es stringenter gewesen deutlich mehr auf Off-Texte zu setzen, statt Axel Prahl in bühnenhafter Weise rezitieren zu lassen.

Interpretation eines Labyrinths

Freydank füttert schon sein Script mit allerlei Interpretation der literarischen Vorlage und entsprechendem in unsere Tage übertragenem Handlungsbeiwerk. Das ist legitim und auch wünschenswert, gerade bei einer so vielfältig deutbaren Vorlage, muss aber nicht immer gelingen oder auf Gegenliebe stoßen. Man kann sich schon streiten, ob überhaupt die menschliche Perspektive angemessen ist. Aber das einmal dahingestellt, ist es vor allem das Arbeitsleben von Franz, das schon zum Kafka-Klischee gerät. Und so die psychologische Deutung ebenso wie die Namensgebung (wobei der Protagonist im Film namenlos bleibt) quasi in das Gehirn des Autors verlegt.

Auch ist Axel Prahl (Tatort-Kommissar Thiel aus dem Münster-Tatort) gerade als Anzug tragender Sachbearbeiter nicht eben glaubwürdig. Alle anderen Aspekte des Films meistert der kantige Typen allerdings bravourös. Ein Vergleich mit Jack Nicholson in Stanley Kubriks „Shining“ flackert flüchtig auf. Und als würde der Film seine zerstörerische Grundstimmung selbst nicht aushalten, gibt es noch eine überflüssige Sequenz mit einigen Slapstick-Einlagen als es Franz wieder etwas besser zu gehen scheint. Es reicht nicht zu behaupten, man sei kein Handwerker, man muss auch sehen, dass der Regalbausatz nicht zu montieren ist.

Die Paranoia nimmt rapide in beunruhigendem Maße zu und entsprechend verschlechtern sich im Film auch die äußeren Umstände. Penner suchen in dem betonkargen Treppenhaus der roten Immobilie Zuflucht, der Parkplatz wird zum vermüllten Eldorado und die Wachmänner beginnen ihre Aufsicht zu vernachlässigen und beginnen die Obdachlosen zu malträtieren. Mittendrin Franz, der verzweifelt versucht sich vor den Verfall und der Invasion zu schützen.

Verfolgungswahn deluxe

Das alles malt Jochen Alexander Freydank mit düsteren Farben, verstörenden, häufig wechselnden Perspektiven und allerlei visuellen Effekten und zeitlichen Versatzstücken, untermalt von finsteren, atmosphärischen Elektroklängen. Für einen düsteren Endzeit- oder einen Horrorfilm durchaus geeignet, für dieses gesellschaftskritische Psychogramm deutlich zu dick aufgetragen. Und wie Freydank (nach eigenen Aussage) in Kafkas Geschichte eine Parabel auf das Cocooning zu sehen und dies dergestalt apokalyptisch zu visualisieren ist irgendwie auch als würde man mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Am Ende bleibt „Kafkas Der Bau“ in etlicher Hinsicht eine zermürbende Angelegenheit, die auch mit dem gelungenen, fast dekorativen Set und den sehenswerten CGI-Effekten des Verfalls nicht zu einer stimmigen Gesamtangelegenheit zusammenfügen will. Vieles in „Der Bau“ ist wagemutig und das allein ist schon mehr wert, als etliche Beiträge zur lauen Unterhaltungskultur zu der das Medium Film häufig genug benutz wird.

Freydanks düstere Vision von Kafkas „Der Bau“ bietet einigen Stoff zur Diskussion und hat auch einige großartige Schauwerte zu bieten, sowohl was das dekorativ Zugemüllte als auch die verfallene Stadt angeht, letztlich ist die psychologische Verwandlung der Hauptfigur allerdings nicht tragend genug, um den Film auch wirklich zu tragen. Aber lieber glorreich scheitern, als ein laues Filmchen abzuliefern.

Bewertung: 4 von 10.

Kafkas Der Bau
OT: Kafkas Der Bau
Genre: Drama, Thriller
Länge: 114 Minuten, D, 2014
Regie: Jochen Alexander Freydank
VorlagE: Erzählung „Der Bau“ von Franz Kafka
Schauspiel: Axel Prahl, Kristina Klebe, Joseph Hader
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Indigo / Good Movies
Kinostart: 09.07.2015
DVD-VÖ: 15.01.2016

Schreibe einen Kommentar