Vom Warten auf das Kriegsende ist Mutter Hille noch weit entfernt. Sehr zum Leidwesen von Sohn Nanning. Dabei ist das Ende abzusehen, nicht unsonst ist die Familie raus aus Hamburg. „Amrum“ basiert auf der Lebensgeschichte und Kindheitserinnerung des Filmmacher Hark Bohm. Der wollte den Film eigentlich selbst drehen, hat aber altersbedingt Fatih Akin machen lassen. Zu sehen ab dem 9.Oktober im Kino.
Da steht die Bäuerin Tessa Bendixen (Diana Krüger) mit ihren Landarbeitern auf dem Acker und guckt ungerührt den näher kommenden Bombern zu. Die sind auf dem Rückweg und lassen höchsten mal Restmunition detonieren. Auf den Inseln ist man sicher. Der 12jährige Nanning und seine Familie sind aus Hamburg zurück nach Amrum, wo die Familie zu den alteingesessenen Walfänger-Dynastien gehört. So hat sich die schwangere Mutter Hille (Laura Tonke) mit den drei Kindern bei der Schwester (Lisa Hagemeister) eingerichtet, bis der Gatte aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt.
Für Hille ist klar, der Endsieg ist nahe. Als dann Flüchtlinge aus den Ostgebieten bei Tessa angekarrt werden, bemerkt die Bäuerin, der Krieg wäre eh bald vorbei. Nanning kommt mit Kartoffeln von der Feldarbeit nach Hause. Morgen soll es als Lohn Butter geben.
Doch auf die unbedarfte Frage des Zwölfjährigen, ob der Vater nun bald zurückkommt, wird Hille inquisitorisch, und meldet das „wehrzersetzende Gerede“ und Nanning ist seine Arbeit los und die Familie das Essen. Doch als Hille eine Tochter entbindet während die Kapitulation bekannt wird, verweigert sie die Nahrungsaufnahme. Aber sie hätte so Appetit auf ein Weißbrot mit Butter und Honig. Nanning macht sich ans Organisieren, tauscht und handelt und versucht seiner Mutter den Wunsch zu erfüllen.
„Hauptsache, es ist weiß.“
Als die Flüchtlingskinder zur Schule wollen, verstellen die Einheimischen Kids den Weg. Sie wollen die Fremden nicht. Nanning kommt dazu und macht ebenfalls eine abfällige Bemerkung. Zu seiner Überraschung wird er von dem Amrumern weggestoßen, er komme ja auch aus Haamburg. Hille kann ihren Erstgeborenen beruhigen, er stamme in neunter Generation von Amrumer Walfängern ab. Voller Stolz erzählt Nanning das seinem Freund Herman (Kian Köppke). Derr antwortet lapidar: „Scheißegal“.
„Amrum“ ist ebenso Heimatfilm wie Zeitzeugnis, eine zeitlose Erzählung von Herkunft und Wanderschaft und die Geschichte eines Erwachsen Werdens. Die Motive und die Verortung satammen aus Hark Bohms eigener Kindheit. Der Filmmacher und emeritierte Professor Hark Bohm hat die Lebensphase auch in einem Buch veröffentlicht, das quasi parallel zum Drehbuch entstand, aber bereits veröffentlicht wurde.
Filmmacher Fatih Akin legt sein historisches Drama sehr klassisch an und bisweilen fühlt sich der Erzählton an wie etwas bei Siegfried Lenz‘ „Deutschstunde“ oder ähnlichen literarischen Beschäftigungen mit der Zeit der Kapitulation und der „Stunde Null“ in Deutschland. Und die Norddeutschen Filmmacher Detlef Buck, Jan Georg Schütte und Lars Jessen zollen dem Bohm mit ihrem Mitwirken ebenfalls Tribut.
Gelegentlich fühlte ich mich auch an Dörthe Hansens Bücher und Verfilmungen erinnert. Die Autorin stammt aus Nordfriesland und ihre Milieus in „Altes Land“, „Zur See“ und „Mittagstunde“ sind ähnlich und die Sprache, der Regionale Dialekt spielt eine große Rolle. So auch in „Amrum“ wo die Inselbewohner über weite Strecken ihr Öömrang sprechen. (Das ist dankenswerter Weise untertitelt, trägt aber zur Authentizität bei).
„Du lügst!“ „War aber so.“
Doch auch Wolfgang Herndorfs „Tschik“ schimert ebenso durch wie „Nordsee ist Mordsee“. Vieles in Akins Film ist angelehnt an Bildsprache und Erzählhaltung Bohms. Und die Insel bietet auch Herausforderungen der elementaren Art. Das Motiv etwas zu töten, was man essen will, ist möglicherweise etwas zu sperrig ausgestellt, aber ein jüngeres Publikum mag daraus die Notwendigkeit von Survival Skills ableiten.
Nanning ist ein aufgeweckter Junge, aber die Mutter eine Linientreue Nationalsozialistin. Dem jungen wird es schwer gemacht, die eigene Familiengeschichte und die Inselzugehörigkeit zu durchdringen. Und dennoch steht Nanning aufgeweckt vor den Abenteuern und Herausforderungen, die das Leben bietet. Ein bisschen ähnelt die Erzählung in „Amrum“ einem traurigen „Hans im Glück“, der sein Wertvollstes immer weiter eintauscht. Aber das mag jede:r selbst sehen.
Für Inselträume kann Nordfriesland nur bedingt herhalten. Sylt, Föhr, Pellworm und Amrum liegen mitten im Watt und bieten raue Schönheit und herbes Küstenflair. Da ist sonst nich viel. Weshalb echte Amrumer auch weggehen und wiederkommen. „Amrum“ der Film hat das Zeug zu einem modernen Klassiker.
Amrum
OT: Amrum
Genre: Drama, Biografie
Länge: 93 Minuten, D, 2025
Regie: Fatih Akin
„Vorlage“ & Drehbuch: Erinnerungen „Amrum“ von Hark Bohm
Schauspiel: Jasper Billerbek, Kian Köppke, Laura Tonke, Diana Krüger,
FSK: ab 12 Jahren
Verleih: Warner Bos
Kinostart: 09.10.2025