#Zeitgeist: Bildschirmzeit

Am Puls der Zeit im Sommerkino mit #Zewitgeist von 2014. Der Untertitel von Jason Reitmans Film von 2014 verspricht „von digitaler Nähe und analoger Entfremdung“ zu erzählen. Doch das trifft das Phänomen nicht so ganz, ebenso wenig wie der peppige mit Hashtag versehene deutsche Titel. Zeitgeist gibt es als Wort auch in der englischen Sprache. Im Original heißt der Film allerdings schlicht „Men, Women and Children“ genau wie die literarische Vorlage von Chad Kultgen. Was der Regisseur von „Juno“ und „Up in the Air“ allerdings durchaus abliefert sind diverse Beziehungsbefindlichkeiten von Erwachsenen und Teenagern.

Das Personalkarussell von „#Zeitgeist“ ist ziemlich voll. Die einzige Gemeinsamkeit der Menschen im Film ist, dass die Kids auf dieselbe Schule gehen. In einem Vorort von Austin, Texas. Während Don (Adam Sandler) und Helen Truby (Rosemary DeWitt) sich in ihrer Ehe entfremdet haben, entdeckt der fünfzehnjährige Sohn Chris (Travis Tope) gerade seine Sexualität. So wie auch Hannah Clint (Olivia Crocicchia). Sie träumt von einer Schauspielkarriere und wird von ihrer alleinerziehenden Mutter Donna (Judy Greer) unterstützt.

Währenddessen geht Tim Mooney (Ansel Esgort), dem Star des Footballteams, der Sinn seines Sports flöten. Sein Vater Kent (Dean Norris) findet keinen Zugang mehr zu seinem pubertierenden Sohn. Zugang zu ihrer Tochter Brandy (Kaitlyn Dever) hat auch Lehrerin Patricia Beltmeyer (Jennifer Garner) nicht, macht sich aber umso mehr Sorgen. Auch Allisons Vater (J.K. Simmons) sorgt sich zunehmend um den Schlankheitswahn seiner Tochter (Elena Kampouris). Die ist heimlich in einen Jungen aus dem Football-Team verknallt.

Das Film-Personal

In den guten alten (analogen) Zeiten hatten sich all diese Leute „in Echt“ miteinander auseinandergesetzt. Doch heute bestimmen Internet und Smartphones, Chatrooms und MMORPG (Massive Multiplayer Online Role-Playing Games) die Lebewelten vor allem junger Leute. Während die älteren hoffnungslos in der schönen neuen Welt verloren sind. Und überall Sex! So zumindest das Klischee, welches „#Zeitgeist“ zum Teil auch bedient.

Allerdings treibt das Potpourri modernen (Beziehungs-)Lebens seltsame Blüten. Die sind weder genderspezifisch noch altersgerecht. Von Emma Thompson wird der Reigen als Off-Erzählerin gelenkt und in einen großen kosmischen Kontext gepackt. So entdeckt Vater Truby nur deshalbdie Pornos auf Sohnes Rechner, weil er den Computer notgedrungen selbst zum Masturbieren nimmt. Auch Ehefrau Helen ist bei Kontaktbösen auf der Suche nach sexuellen Abenteuern. Sohnemann Chris aber tut sich nach dem ganzen virtuellen Pornozeug schwer, das erste Mal in der Realität hinzubekommen.

Dabei ist Hannah eigentlich sein Typ. Und Hannah hat auch einen Haufen aufreizender Fotos auf ihrer Internetseite. Die hat ihre Mutter naiver Weise hochgeladen, um die Karriere ihrer Tochter in Schwung zu bringen. Andere Teenager sind eher gezwungen sich in die analoge Welt zu flüchten. So wie Brandy, deren Übermutter wahnhaft die Kommunikation ihrer Tochter überwacht. Doch dass Brandy was mit Ex-Footballer Tim anfängt, bleibt ihr verborgen. Da mutet die Geschichte von Allison, die einfach nur modeldürr sein will, damit der Football-Star sie liebt, schon fast klassisch und ebenso naiv an.

Während Chad Kultgens Romane hierzulande zum Kinostart nicht veröffentlicht waren, hat der Autor in den USA seine Anhänger (wie Jason Reitman) und auch seine Gegner. Unabhängig davon hat der Film „#Zeitgeist“ durchaus seine gelungenen Szenen. Oft weiß das Publikum nicht, ob einem das Lachen nicht im Halse stecken bleiben sollte. Das ist von den Schauspielern auch durchaus sehenswert dargeboten und man nimmt Anteil am Schicksal der Menschen. Allein, die detailverliebte Beobachtung entbehrt der Aufarbeitung. „Ich weiß nicht, wie es soweit kommen konnte?“ heißt es an mehreren Stellen des Films, vorgetragen sinniger Weise von erwachsenen Charakteren. Da pendelt Reitmans Film dann zwischen Fatalismus und stakeligen Versuchen, einfach etwas anders zu machen.

Das Virtuelle und das Reale

Etwas überstrapaziert ist vor allem der erzählerische Rahmen des Films. Es beginnt mit Bildern der Voyager. Die wurde zur Erforschung des äußeren Planetensystems 1977 auf den Weg geschickt und sendete dann ein Bild von unserer Erde. Das wiederum veranlasste den amerikanischen Astrophysiker Carls Sagan zu seinen metaphysischen Überlegungen. Überlegungen zu diesem „kleinen blauen Punkt“, den wir Erde nennen, die den Film beschließen. Zu sehen und zu hören auch in einem kurzen youtube-Video, das im Film ebenfalls erwähnt wird.

Dieser erzählerische Bogen, der die kosmische Sinnlosigkeit unserer Existenz mit dem gelebten Menschsein in Beziehung setzt, wirkt ebenso willkürlich wie die Verortung der Handlung nach Texas. Es könnte überall in der westlichen Hemisphäre sein. Wobei das Pornothema schon auch typisch amerikanisch ist bzw. war. Nicht umsonst kommen (immer noch) mehr als 90% aller pornografischen Internetinhalte aus den USA. Sicher, man kann die Befindlichkeiten und Herausforderungen moderner Kommunikationstechnik und modernen Zusammenlebens als typisch amerikanisch abtun. Mensch täuscht sich jedoch, würde mensch denken, dass es hierzulande nicht genauso zugehen würde.

„#Zeitgeist“ ist sicher nicht Jason Reitmans stärkster Film, und das weit gefasste Thema offenbart auch einige cineastische Mängel. Aber als leicht humorig verpackte Pulsmessung der Gesellschaft ist „#Zeitgeist“ leidlich gelungen und durchaus unterhaltsam.

Bewertung: 6 von 10.

#Zeitgeist
OT: Men, Women & Children
Genre: Drama, Komödie
Länge: 119 Minuten, USA, 2014
Regie: Jason Reitman
Vorlage: gleichnamiger Roman von Chad Kultgen
Schauspiel: Adam Sandler, Jennifer Garner, Ansel Esgort, J. K. Simmons
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Paramount (Universal)
Kinostart: 11.12.2014
DVD-VÖ: 30.05.2015

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