Als Rom noch nicht Antike war: Verzicht auf eine Dummensteuer

Im Herbst 2023 ging in den Sozialen Medien eine Theorie steil, nach der Männer drei Mal pro Woche an das Alte Rom denken. Eine geneigte Leserschaft sollte dem neuen Werk von Rom-Experte Karl-Wilhelm Weeber also gegeben sein. Mit der Kultur- und Alltagsgeschichte „Als Rom noch nicht Antike war“ gelingt dem Autor ein kurzweiliger und sehr lesenswerter Streifzug durch die Gesellschaft des antiken Rom. Das empfehlenswerte Sachbuch ist im April im Galiani Verlag erschienen.

In Rom waren Griechen als Sklaven und Angestellte begehrt, aber als Mitmenschen mit Migrationshintergrund nicht immer gerne gesehen. Römer waren sich schon bewusst, was sie von den „hochkulturellen“ Helenen übernommen haben, aber die Zeitgenossen vom Peloponnes wurden gerne mal als „Griechlein“ verspottet.
Karl-Wilhelm Weebers „Reise in die Römerzeit“ beschäftigt sich mit der Kulturgeschichte in den ersten beiden Jahrhunderten nach Christi. In übersichtlichen Kapiteln und lesefreundlichen Untereinheiten werden 15 Aspekte Römischen Lebens beleuchtet soweit Quellenmaterial vorhanden ist.

„Arme Schlucker mit Lizenz zum Prügeln“

Dabei mit der Sklaverei zu beginnen, die auch noch den größten Abschnitt des rund 400seitigen Buches ausmacht, ist ebenso sinnvoll wie stimmig. Denn einerseits ist die Quellenlage umfangreicher als in vielen anderen Lebensbereichen, da sie von Edelleuten thematisiert wurden und zu deren Lebensstil gehörten. Andererseits machten Sklaven rund 30 % der Bevölkerung aus ihre Arbeit findet sich in jedem Lebensbereich wieder.

Sei es in der Erziehung und Medizin, der Arbeit auf dem Land oder im dem Handwerk oder in der Unterhaltung und Prostitution. Aber das mag jede:r selbst lesen. Darüber hinaus zeigt uns Weeber unter anderem wie es war in Rom ein Kind zu sein, wie Handwerker in Vereinen Stolz auf ihren Beruf entwickelten, wie das Verhältnis zu Haustier und Nutzvieh war und ob das Umweltbewusstsein ausgeprägt war.

Das geschieht in einer nachvollziehbaren und leicht verständlichen Sprache und immer im Abgleich mit der Gegenwart. Da kommen „Wutbürger“ und „Stricher“, Migration und Ausgrenzung vor. Das alles ist sehr interessant. In einigen Bereichen naheliegend und durchaus vergleichbar mit unserer gegenwärtigen westeuropäischen Gesellschaft, in anderen Bereichen schon sehr unterschiedlich und bisweilen auch schwer nachvollziehzbar.

Ein Staat ohne Schutzpolizei

Überrascht hat mich, da ich gerade ein Doku über Frauenfußball gesehen habe („Copa 71“), dass auch in Rom Mädchen der Sport im Freien nicht gestattet war. Möglicherweise hängt das zusammen mit dem traditionellen Vorbehalt der Römer gegenüber der Griechischen „Levitas“, einer Leichtigkeit des Seins“ und „Lebensfreude“.

Heute hat Handwerk sprichwörtlich „goldenen Boden“, in Rom war die unfreie körperliche Tätigkeit schlecht angesehen (von Adeligen). Es gab keinen modernen Sozialstaat, aber Vorläufer von Berufsverbänden. In Sachen Migration gab es auch damals jene, die Straßen zu überfüllt mit Zugezogenen waren, obwohl es der Stadt und dem Reich nur guttat, „die Welt nach Rom zu holen“.

An altsprachlichen Gymnasien wird noch Latein unterrichtet und an klassischen Texten der Oberschicht exerziert. Mediziner und Naturwissenschaftler bauchen die alte, längst nicht vergessene Sprache zur Benennung von Flora, Fauna und ihren Degenerationen. Auch sonst sind Verweise auf die antike Weltmacht immer wieder zu finden. Unser Rechtssystem beispielsweise soll in weiten Teilen auf dem Römischen beruhen.

Der Comic „Asterix“ hat schon viele – vermeintlich schlichte – Einblicke in Römisches Leben gegeben. Und moderne Sandalenfilme wie „Gladiator“ und jüngst „Gladiator2“ ziehen ein zahlreiches Publikum an und fordern (auch selbsternannte) Experten zu Kritik an Darstellung und Verlebendigung heraus.

„Frauen mit und ohne Schamgefühl“

Tatsächlich zieht sich durch die in Westeuropa und Deutschland verbreitete Geschichtsschreibung und –vermittlung eine Sichtwiese, die auf Herrschaftsverhältnisse, Machthaber:innen und Konflikte ausgerichtet ist. Die Beleuchtung eines historischen Alltags ist dabei kaum vorgesehen. Und im Fall lange zurückliegender Epochen auch schwer darzustellen.

Der Kultur und Alltagsgeschichte kommt daher eine ebenso mühselige wie wichtige Aufgabe zu. Herauszufinden wie der Alltag der Menschen ausgesehen hat. Das tut der Philologe und Althistoriker Dr. Karl-Wilhelm Weeber seit Jahrzehnten und zumeist auf kurzweilige und unterhaltsame Art und Weise („Smog über Attika“ – Umweltverhalten im Altertum, „Musen am Telefon“).

Das mag der eine oder die andere nun für populärwissenschaftlich halten, aber es ist von volksnaher Wichtigkeit, den Menschen der Gegenwart zu vermitteln, dass es auch in früheren Zeiten Leute wie sie gab und die Geschichte nicht nur von und über Herrschende und Eliten geschrieben wird.

Bis hin zu den sexuellen Themen, dem Anderssein und den körperlichen Verrichtungen, die uns alle gleich machen untersucht Karl-Wilhelm Weeber das Leben im alten Rom so detailgenau wie es die Quellen zulassen. Tatsächlich wirkt „Als Rom noch nicht Antike war“ wie ein umfassender Blick auf das damalige Leben der einfachen Leute. Das ließe sich auch Häppchen- bzw. Abschnittweise als Kompendium und Nachschlagewerk nutzen. Und es ist herausragend zusammengetragen und sehr unterhaltsam vorgestellt.

Bewertung: 9 von 10.

Als Rom noch nicht Antike war – Reise in die Römerzeit
Autor: Karl-Wilhelm Weeber
Genre: Sachbuch, Historie
ISBN: 978-3-86971-206-2
Verlag: Galiani Verlag, gebunden, 432 Seiten

Verlagsseite mit Leseprobe
Focus Artikel „Warum Männer drei mal pro Woche ans Alte Rom denken“
Gespräch mit Karl-Wilhelm Weeber auf Radio3

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