Possession: Ehe heißt teilen

Nicht wenige Kunstwerke, die heute als solche gelten, waren zu ihren Entstehungszeiten nicht sehr geachtet. So auch „Possession“, der vierte Spielfilm des polnischen Autorenfilmers Andrzey Zulawski. 1981 begaben sich Isabelle Adjani und Sam Neill in eine Beziehungshölle im geteilten Berlin. Nun organisiert Drop out Cinema ab dem 13. März 2025 eine Wiederaufführung des frisch in 4K überarbeiteten, experimentellen Horror-Meisterwerks. Dafür spendierte man auch erstmals eine deutsche Synchronfassung. Aber Vorsicht: „Possession“ ist ebenso verstörend wie fordernd und entzieht sich einer herkömmlichen Erzähllogik.

Familienvater Mark (Sam Neill) kommt nach getaner Agenten-Arbeit zurück nach Berlin. Doch die Ehe mit Anna (Isabella Adjani) ist zerrüttet. Darunter leidet der junge Sohn Ben. Mark gibt seinen Job auf, doch Anna hat sich abgewendet. Nachdem sie ihm erklärt, sie hätte einen Liebhaber, lässt sich Mark wochenlang gehen.

Dann erkennt er ohne Anna nicht leben zu können und will sich auch um Ben kümmern. Mark heuert einen Privatdetektiv an, der Anna beschatten soll, nachdem er Heinrich (Heinz Bennet) zur Rede gestellt hat. Der Esoteriker hat Anna ebenfalls verloren. Nun bewohnt sie eine heruntergekommene Wohnung in Kreuzberg. Der Detektiv stellt fest, dass sie mit einem Oktopus-artigen Monster zusammenlebt, was ihn das Leben kostet. Mark lernt derweil Bobs Lehrerin kennen, die seiner Frau zwillingsgleich ähnelt.

„Ich mag es dich so elend zu sehen. Das ist so beruhigend.“

Wow, es gibt viel zu reden über Andrzey Zulawskis „Possession“, und etliche Ansätze, den Film aufzufassen und auszudeuten. Offensichtlich ist allerdings, dass die Handlung sehr spärlich gehalten ist und es eher um Szenen einer Ehe geht, die gründlich schiefgelaufen ist. Dazu nutzt der Autorenfilmer, der auch das Script mitverfasste, kafkaeske Momente der Ausgeliefertheit und einen kreatürlichen Horror, der symbolisch stehen mag, aber ganz konkret auch blutig und geil mit Anna lebt.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich das Augenmerk auf „die besessene Frau“ richtet. Zunächst steht Mark im Filmfokus. Das erinnert weitgehend an eine bizarre „Kramer gegen Kramer“-Variante. Einige Kritiker meinten auch, Zulawski würde das Ende einer eigenen Beziehung thematisieren. Mark vegetiert in einem Hotelzimmer und dreht durch, ob der Trennung.

Das geteilte Berlin wird eindrücklich als graues Gefängnis inszeniert. Wenn die Kamera dann zu Filmbeginn das Graffito „Die Mauer muss weg“ einfängt, sollte bereits klar sein, dass diese Beziehung ein Gefängnis ist. Die Wohnung liegt direkt neben der überwachten Mauer nach Ostberlin. Der Blick aus dem Fenster ist der eines Gefängnishofs.

In Heinrich, dem vermeidlichen Nebenbuhler, der zugleich ein Leidensgenosse der Leidenschaft ist, finde ich persönlich sehr viel von der charismatischen Persönlichkeit des chilenischen Künstlers und Filmmachers Alejandro Jodorowsky. Zumindest wie ihn Jean Giraud aka Moebius ans Guru und Verführer beschrieben hat (siehe auch „Lust und Glaube“-Gesamtausgabe). Angesichts der Tatsache, dass Zulawski wegen der Zensur Ende der 70er aus Polen nach Frankreich emigriert ist, mögen sich die beiden gekannt haben. Aber was weiß ich. Naheliegend ist die Verbindung vor allem, wenn man sich das spirituell infizierte Frühwerk Jodos anguckt, das bei Bildstörung 2014 remastert aufgelegt wurde.

„Glaubst du an Gott?“

Und dann wäre da noch das Creature Horror Element, das ganz im Zeichen der Zeit aus dem klassischen Horror-Genre hinauswächst. Seit „Alien“ ist das faszinierendes Filmelement entfesselt. Und nicht nur David Cronenberg experimentiert Ende der 70er/Anfang der 80er in „Brood“, „Scanners“ und Videodrome“ mit der Ausweitung und Metamorphose der Körperlichkeit. So findet auch „Possession“ sein „künstlerischen“ Ausdruck für Veränderung und Leiden.

Blieben noch zwei künstlerisch herausragende Aspekte zu erwähnen und dem Publikum an die Hand zu geben. Die Kameraarbeit und die Darstellung. Kameramann Bruno Nuytten gelingt es eine außergewöhnlich bizarre Atmosphäre zu schaffen. Allein die Kamerafahrt bei Marks Treffen mit den Auftraggebern ist befremdlich, später dann eine wahnwitzige Motorradtour und immer wieder diese Mauer als Knast, als Lager. Die vier Auftraggeber übrigens, die im Filmverlauf wie die Reiter der Apokalypse wieder auftauchen, tragen ihren eigenen Teil Kafkaeskes bei.

„Ich kann nicht. Er ist in mir. Nimm mich.“

Während der Rest des wenige Charaktere umfassenden Ensembles weitgehend realistisch und nur leicht schräg spielt, geben sich Sam Neill und Isabella Adjani dem expressiven Überspielen hin und tanzen in ihrer „Besessenheit“ umeinander herum. Immer wieder ineinander gespiegelt und umgekrempelt und sich an der eigenen Monstrosität abarbeitend. Das ist schon arg verzerrt und zugleich wahrhaftig und mutig.

Bild und Sound können sich nach der 4K Überarbeitung locker sehen lassen und die deutsche Synchronfassung sollte diesem eigenwilligen Filmkunstwerk hoffentlich einige zusätzliche Zuschauer:innen verschaffen. Seinerzeit war die französich deutshce Koproduktion selten bis gar nicht im Kino zu sehen. IMDB behauptet sogar, es hätte keinen offiziellen Kinostart gegeben. 2009 kam bei Bildstörung aber eine OmU-Home-Entertainment Premiere auf den Markt. Ich kann das nun nicht gerade jedermann und jederfrau empfehlen, aber wer sich für bizarre und experimentelle Filmkunst interessiert, sollte gerne mal reinschauen.

Es gibt viel zu schauen und zu interpretieren in „Possession“. Immerhin war der Regisseur in Cannes für eine Goldene Palme nominiert und Isabelle Adjani heimste dort einen Darstellrinnen-Preis ein. Dessen ungeachtet, bleibt es schwierig sich der diskontinuierlich erzählten und eruptiv gewalttätigen Dreiecksbeziehung zu nähern. Wer wie der Rezensent mit dem Filmschaffen und dem Werk Alejandro Jodorowskys herausgefordert fühlt, oder mit dem 80er Body-Horror von David Cronenberg, wird in „Possession“ ein anspielungsreiche und faszinierende Besessenheit erleben. Alle anderen sollten für ihre abseitige Neugier Geduld mitbringen. Die Überarbeitung und die Synchro sind sehr gelungen.

Filmwertung fällt irgendwie aus.

Possession
OT: Possession
Genre: Horror, Experimental, Drama
Länge: 124 Minuten, F/D, 1981
Regie: Andrzej Zulawski
Schauspiel: Isabell Adjani, Margit Carstensen, Heinz Bennet, Sam Neill,
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: drop out cinema
Kinostart: nicht in Deutschland
DVD-VÖ: 2009 bei Bildstörung
Wiederaufführung: 13.03.2025

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