Aus dem Archiv: „Kaddisch für einen Freund“ von 2012. Vorab soviel: Die Filmvorstellung wurde zum Kinostart geschrieben. Die Lage in Palästina war seinerzeit bei weitem nicht so dramatisch eskaliert wie aktuell. In einem Berliner Sozialghetto spielt sich der Nahostkonflikt zwischen Iraelis und Palästinensern stellvertretend zwischen einem alten Mann und einem Jungen ab. In seinem Spielfilmdeut erzählt Regisseur und Drehbuchautor Leo Khasin eine anrührende und kluge Parabel, die mit kleinen Gesten ziemlich großes Kino macht.
Der junge Palästinenser Ali (Neil Belakhdar) musste als Kind mit seiner Familie nach Deutschland flüchten. Jetzt zieht die fünfköpfige Familie in eine neue Wohnung und zufällig lernt Ali dort den Nachbar Alexander (Ryszard Ronczewski, „Am Ende kommen Touristen“) kennen. Die Waschmaschine des alten Mannes hat seine Wohnung geflutet und nun tropft es bei Alis Familie. Erst beim Gehen bemerkt Ali, dass Alexander Jude ist.
Als Ali dann Anschluss an die Gleichaltrigen in der Nachbarschaft sucht, bringt ihn sein Cousin in Verbindung mit einer Gang. Als Mutprobe soll Ali in die Wohnung des alten Juden einbrechen, wo die Kids zu vandalieren beginnen. Obwohl Ali eher zusieht als mitmacht, erwischt ihn Alexander doch beinahe und zeigt ihn an.
Das Kaddisch ist eines der wichtigsten Gebete im Judentum.
Alis Familie wird in Deutschland nur geduldet und es droht die Abschiebung, während Alis Mutter mit dem vierten Kind schwanger ist. Sie bittet Alexander die Anzeige zurückzuziehen und Ali soll stattdessen die Wohnung renovieren. Irgendwann beginnen der Palästinenser und der Jude miteinander zu reden.
Es ist ein Heiligungsgebet und im Wesentlichen eine Lobpreisung Gottes.
Es gelingt „Kaddisch für einen Freund“ mit wenigen Mitteln und einer ernüchternden Schnörkellosigkeit die ärmlichen Lebensumstände der Menschen zu zeigen. Das Filmdebüt von Regisseur Leo Kashin („Das Unwort“, Blackout bei den Wellmanns“) inszeniert seine beiden Protagonisten schnörkellos. Eigentlich hätten Alexander und Ali viele Gemeinsamkeiten, aber die ideologische Verbohrtheit verhindert einen Dialog. Obwohl Alexander ein russischer Jude ist, hat er im Nahost-Konflikt seinen Sohn verloren, Ali hat seine Heimat verloren.
Mit der Zeit entwickelten sich Assoziationen mit Tod und Trauer.
Beide begegnen sich nun in den deutschen Sozialbauten und ihnen droht ein ähnliches Schicksal. Ali droht die Abschiebung, während Alexander sich mit dem Sozialamt streitet, ob er nicht ins Altersheim muss, weil er nicht mehr allein für sich sorgen kann. Irgendwann kommt es zwischen dem Jungen und dem alten Mann tatsächlich zu einem Gespräch und einer Freundschaft.
Diese Begriffe selbst tauchen im Gebet aber nicht auf.
Die Geschichte von „Kaddisch für einen Freund“ weiß emotional zu überzeugen und ist klug komponiert. Die beiden Hauptdarsteller schaffen es die Konflikte ihrer Figuren mit viel Emotionalität auf die Leinwand zu bringen. Auch wenn es gegen Ende des Films ein wenig melodramatisch wird, so bleibt „Kaddisch für einen Freund“ immer glaubwürdig. Am Ende muss Ali seinen Freund beerdigen, doch es gibt Hoffnung. Während der junge Mann die Straße hinabläuft, ist im Hintergrund zu Lesen „Willkommen auf dem Pfad der Visionäre“.
Mit seinem Spielfilmdebut „Kaddisch für einen Freund“ gelingt es Leo Kashin einen globalen Konflikt glaubwürdig auf einer individuellen und persönlichen Ebene abzubilden und dem Zuschauer direkt vor die Haustür zu tragen. Das ist den Gang ins Kino allemal wert.
Film-Wertung: (7 / 10)

Kaddisch für einen Freund
OT: Kaddisch für einen Freund
Genre: Drama
Länge: 104 Minuten, D, 2012
Regie: Leo Kashin
Schauspiel: Neil Belakhdar, Ryszard Ronczewski
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Farbfilm, Eurovideo
Kinostart: 15.03.2012
DVD-VÖ: 11.10.2012