Der Geburtstag von Familienvater Markus steht an und auch Karens Schwester mit Familie kommt zum Feiern vorbei. Aber in der Familie hängt nicht nur der Haussegen schief. Die Schweizer Film-Zwillinge Ramon (Regie) und Silvan (Produktion) Zürcher erzählen in „Der Spatz im Kamin“ von einer dysfunktionalen Familie. Edition Salzgeber veröffentlicht das Drama mit Maren Eggert in der Hauptrolle am 10. Oktober 2024 in den Kinos.
Die Gäste sind im Anmarsch. Zumindest macht Sohn und Koch Leon (Ilja Bultmann) seine abwesend starrende Mutter Karen (Maren Eggert) darauf aufmerksam, dass noch einiges zu erledigen ist. Wortlos stehen dann beide vor dem Kamin, in dem sich ein Spatz verfangen hat. Der ist schnell frei gelassen, aber der wenige Ruß auf dem Parkett bleibt dann doch den ganzen Film über nur notdürftig zusammengefegt.
Karen ist mit ihrer Familie vor Jahren wieder in ihr idyllisch liegendes Elternhaus gezogen. Doch zu Leon hat sie ebenso wenig eine Verbindung wie zu ihrer älteren Tochter Johanna (Lea Zoë Voss), die giftet mitten in der Pubertät ordentlich rum. Vater Markus (Andreas Döhler), der seinen Geburtstag feiert, glänzt eher durch Abwesenheit. Und die älteste Tochter Christina ist zum Studieren längst ausgezogen und verspätet sich auch, weil sie den Flug verpasst hat.
„Manchmal kann ich sie spüren.“
Dafür ist Marens Schwester Jule (Britta Hammelstein) mit Mann Jurek (Milan Zerzawy) und Tochter Edda und dem Baby schon einen Tag früher da, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Jurek werkelt auf der Terrasse und wir von seiner Nichte Johanna angebaggert, und Leon ist zunehmend genervt von seiner Mutter. Die hat wenig Bindung zum Fest und wirkt in sich gekehrt und keineswegs feierlaunig. Schließlich kommt noch die Nachbarin Liv (Louise Heyer) vorbei, und bietet sich als Babysitter an.
Kormorane sind nicht unbedingt schöne Vögel. Die gänsegroßen Uferbewohner sind hungrige Fischvertilger, die seit einigen Jahrzehnten unter Naturschutz stehen. Nicht unbedingt zu Freude von Fischern und Landwirten. Denn die Kormorane brüten in Kolonien und sind ebenso wie Krähen schon eine sehr spezielle Nachbarschaft.
In „Der Spatz im Kamin“ liegt das Elternhaus von Karen und Jule in der Nähe eines Waldsees. Früher konnte man dort zu einer kleinen Insel mit Bäumen schwimmen, heute brüten dort Kormorane und die Bäume sind kaum mehr als Totholz. Das ist insofern von Bedeutung, weil die Kormoran-Insel auch symbolisch für das Elternhaus steht, das mit seinen Familiengeheimnissen und Dramen nicht unbedingt ein lebensfroher Ort ist, sondern ein sehr spezielles Habitat.
Nicht nur Karens Kinder fragen sich, ob es eine gute Idee war, wieder hierher zu ziehen. Jule wäre freiwillig nicht zurückgekehrt, erinnert sie doch ihre Kindheit als unglücklich. Karen wiederum sagt, manchmal spüre sie die Anwesenheit der Mutter. Nach allem, was das Publikum so hört, ist das nicht unbedingt eine positive Präsenz.
„Als würde sie mir zuschauen durch einen Türspalt.“
Und bevor Jule überhaupt richtig angekommen ist, hat sie ihrer großen Schwester schon eine Rivalität aufgebürdet, indem sie spitzzüngig die Kette der Mutter bemerkt, die Karen trägt. Und so zickt sich alles, was in der Haus so herumläuft gegenseitig an, oder ignoriert sich nach Kräften. Es dauert ein wenig, bis das Publikum alles Ebenen und Konfliktlinien markieren kann.
Das ist allerdings von Ramon Zürcher so gewollt. Ebenso die Familienkonstellation, die quasi ausschließlich von Frauen getragen wird. Bisweilen wirkt das etwas überzogen und auch ins Psychohorror-Mäßige ausufernd. Fängt sich dann aber wieder und hat stets flickernde Figurenkonstellationen zu bieten. Zwar wird viel hin- und her-gegangen und aneinander vorbei, aber dann kommt es doch zum Austausch von Nettigkeiten.
„Der Spatz im Kamin“ ist nach Willen der Filmmacher der Abschluss der „Tier-Trilogie“ die eigentlich vor allem so heißt, weil es drei Filme mit Tieren in eigenwilligen Titeln und in der Handlung gibt. Mehr als einen losen Zusammenhang bilden die drei in sich abgeschlossenen Filme wohl nicht. Weshalb das an dieser Stelle auch nicht weiter ausgeführt wird.
Bisweilen wirkt „Der Spatz im Kamin“ wie eine psychologische Versuchsaufstellung, dann wieder wie magische Realismus mit eigenwilligen Traum-Sequenzen. Und dennoch sind es weniger die bissigen Dialoge, die dem Familiendrama Tiefgang verleihen, als vielmehr die unausgesprochenen Konflikte. Das ist schon eigenartig faszinierend.
Film-Wertung: (7 / 10)
Der Spatz im Kamin
OT: Der Spatz im Kamin
Genre: Drama
Länge: 117 Minuten, CH, 2024
Regie: Ramon Zürcher
Darsteller:innen: Maren Eggert, Britta Hammelstein, Ilja Bultmann, Lea Zoë Voss
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 10.10.2024