Aus dem Nebelmeer taucht eine Tannenwaldinsel auf und tief in diesem Wald haust eine eremitische Gestalt mit mystischem Anliegen. So zumindest verbinden sich die Coverwelten von Coltaines Debüt Album „Forgotten Ways“. Im weitesten Sinne würde ich das musikalische Schaffen des Quartetts aus Karlsruhe als Post Doom Metal einsortieren. Erstaunlicher Weise (oder auch nicht) erscheint „Forgotten Ways“ am 6. September 2024 in allen Formaten beim niederländischen Label Lay Bare Recordings.
Die Band aus dem Badischen bezieht ihr musikalisches Schaffen auf die (vergessene?) Mystik des nahegelegenen Schwarzwalds. Wobei ich für den keltisch anmutenden Bandnamen „Coltaine“ nur einen Rollenspiel-Charakter ausmachen konnte. Außerdem sei noch erwähnt, dass Sängerin Julia Frasch, Gitarrist Moritz Berg und sein bassender Bruder Benedikt sowie wohl auch Schlagzeuger Amin Bouzeghaia bereits seit längerem zusammen musikzieren.
Je nachdem aus welcher Heavy Metal Ecke die Journaille stammt wird da auch gerne von Umbenennung gesprochen. Das mag stimmen, der Band Coltaine mag gleichwohl zugestanden sein, dass „Forgotten Ways“ eine Art Neuanfang ist, nachdem Teile der Belegschaft unter dem ironisch gemeinten Namen „Witchfucker“ jene Musik für sich als auserzählt betrachten.
Die Basis allen Lärmens bei Coltaine ist derber Doom Metal mit weiblichem Gesang und Growls, die genauso gut von einem der Kerle stammen mögen. Das Ganze wird angereichert mit instrumentalen Passagen, die sich im Ambient und bei folkloristischen Sounds bedienen. Im Black Metal ist sowas seit geraumer Zeit Welle und nennt sich dann progressive Black Metal oder Post Metal. hier verhält es sich analog, nur dass gedoomt wird.
Druiden und Barden des Waldes
Coltaine liefern auf „Forgotten Ways“ neun Songs in 44 Minuten, die von unterschiedlicher Intensität sind. Da sind kurze Heavy-Rocker dabei, epische Doom-Schlachten und sphärische Instrumentals. Das ist insgesamt schon beachtlich und kommt bisweilen innovativ und intensiv rüber. Aber ehrlich gesagt, zum Autofahren ist „Forgotten Ways“ nur bedingt oder für geübte Doom Fans geeignet.
Das Album beginnt mit „Mogila“, was im polnischen eine Grabstätte bezeichnet, und nach einleitenden Schlurf-Gitarren, die einen Trauerzug begleiten, kommt es nach etwas zweieinhalb Minuten zu einem Anheben des Rocklevels; und zu Growls und Schreien, die definitiv nicht von Sängerin Julia stammen. Elegische Gitarrenläufe trauern sich in Breaks und der Chor der Klageweiber klagt sich dem Ende entgegen. Acht höchst intensive Minuten, die einen bockstarken Opener markieren.
„Himmelwärts“ geht die Reise weiter und wer ein Konzept erahnt, mag möglicherweise nicht komplett danebenliegen. Dreieinhalb ätherisch hallende Minuten ohne hörbare Fixpunkte mag eine gelungene Untermalung einer Passage, eines Übergangs sein, aber mir ist das in dieser Länge zu aussagelos. Halb so lang wäre schon ein zu ausuferndes Zwischenspiel gewesen. Einen Song mag ich das nicht nennen.
Die neue Welt
„Dans un nouveau monde“ beginnt mit klaren melodischen Gitarren und schweren Schlägen langsam und mit hallendem Gesang entwickelt sich der Song zu einem vertrackten Doom Metal, der am Ende ruhig ausklingt. Ob tatsächlich französisch gesungen wird, kann ich so nicht ausmachen, scheint aber auch nebensächlich. Es schließen sich aufbrandende Winde an, durch die der sirenenhafte Gesang sich den Weg feuchte Nebel klar singt. „Cloud Forest“ ist mir mit 4:40 Minuten ebenfalls wieder zu lang und zu gleichförmig, wenngleich ich hier ein Lied erkenne.
Der Titelsong „Forgotten Ways“ ist das zweite Highlight des Albums. Wieder beginnt es ruhig mit gitarrentönen und einem schweren fast Black Sabbath artigen Groove, möglicherweise fällt mir auch klassischer Achtziger Doom Metal der Sorte Candlemass oder Saint Vitus ein. Zumindest bis der deutsche Sprechgesang einsetzt. Selbstgespräch mit der Stimme im Kopf. Die Feststellung „Niemand lebt für immer“ dann geschriehen und rausgelitten bis zur Erschöpfung. Die Gitarre läutet verzweifelt neuen Lebensmut ein und mit Variationen in Tempo und Riffing knackt der Song die Acht-Minuten-Marke.
„Ableben“ schließt sich an, hat arpeggierte Akkorde zu bieten und trist melancholische Trauer, die über fast drei Minuten instrumental bleiben. Auch dies ist mir wieder zu sehr in der Stagnation und Motiv-Reiterei feststeckend. Ja, es ist Doom und alles geht langsamer und dauert länger, aber wo keine Spannung ist, streunt der Geist umher.
„Grace“ ist ähnlich ruhig und mit klaren weiblichen Vocals, das könnte auch beinahe von der Neptune Power Federation stammen. Na ja, die sind schon räudiger. „Grace“ zieht in der Liedmitte mal an, ist dann aber vom Kurzsprint erschöpft. Nach meinem Dafürhalten der rockigste Song auf „Forgotten Ways“.
Südlich des Himmels
Und dann gibt es noch „Tales of The Southern Lands“ und „Aren“. Auf meiner Bemusterungs-CD sind beide in einem Song vereint. Bei Bandcamp spielt „Tales“ über drei Minuten und “Aren“ über 74 Sekunden. „Tales beginnt erneut ruhig mit klarem Gesang von Julia und nimmt zur Mitte hin Fahrt und Verzerrung auf. Eigentlich ein gelungener Song.
Wobei ich mich schon frage, wie die Band auf die Idee kommt ausgerechnet einen Dreiminüter mit „Geschichten…“ zu betiteln. Da steck ich nicht drin. „Aren“ ist eine Art Outro, in das hinein- und wieder hinausgeblendet wird. Einen Zusammenhang mit „Tales“ mache ich eigentlich nicht aus. Aber eventuell bin ich inzwischen auch zu verkopft beim Versuch Kontext herzustellen.
So bleibt ein zwiespältiger Eindruck von „Coltaine“. die Band wird wissen was sie tut und wie sie klingen will. Als Album ist mit „Forgotten Ways“ zu lang und zu unausgegoren. Als EP mit drei geilen Songs und einigen Zwischenspielen käme der Tonträger bei mir deutlich besser an. Dennoch sehr spannende Ansätze. Da geht noch was. und für jene, die in den nächsten Tagen und Wochen Ausschau halten, gibt es eine Tour auf hoffentlich nicht vergessenen Straßen. Daten auf der Bandseite.
Immer wenn sich Coltaine langsam und wuchtig zur Katharsis riffen, springt bei mir der Funke über. Es gibt auch andere genialische Momente auf dem Album, aber die sphärischen Nummern erschließen sich mir ebenso wenig wie die konzeptionellen Finessen des Album-Aufbaus. Aber das mag jede:r selbst hören. Zwei epische Knallersongs muss eine Band erstmal raushauen.
Album-Wertung: (6 / 10)
Coltaine: Forgotten Ways
Genre: Doom Metal, Progressive Post Metal,
Länge: 44 Minuten, 9 Songs, D, 2024
Interpret: Coltaine
Format: Vinyl, digital, CD
Label: Lay Bare Recordings
VÖ: 06.09.2024
Coltaine bei Bandcamp
Instagram mit coltaine
Bandseite mit tourdaten
Coltaine Besetzung:
Julia Frasch — vocals
Moritz Berg — guitar
Amin Bouzeghaia — drums
Benedikt Berg — bass