Ein Film wie ein Gemälde, ein Roman von epischer Weite und ein Sittengemälde des ländlichen Lebens im Polen des 19. Jahrhunderts sorgen dafür, dass „Das Flüstern der Felder“ nach dem Roman „Die Bauern“ zu den außergewöhnlichsten Filmen des Herbstes zählt. Von den Machern von „Loving Vincent“ wurde in vergleichbarer Machart ein Drama verfilmt. Plaion Pictures bringt Polens Oscar-Einreichung „Das Flüstern der Felder“ ab dem 12. September 2024 in die Kinos.
Mitte des 19. Jahrhunderts sind die Verhältnisse in dem polnischen Dorf Lipce im Verwaltungsbezirk Lodz relativ überschaubar. Der reichste Bauer im Dorf ist der sechzigjährige Maciej Boryna (Miroslaw Baka). Dessen Sohn Antek (Robert Gulaczyk) führt eine unglückliche Ehe, weil er unzufrieden ist mit seiner eigenen Landwirtschaft.
Ginge es nach ihm, sollte der Alte endlich abtreten und Platz machen. Doch der Witwer Maciej wirbt um die junge Schönheit des Dorfes. Jagna (Kamilla Urzedowska) hat eigentlich nicht vor schon zu heiraten, aber Reichtum und Wohnstand auch für die alleinstehende Mutter sind überzeugend. Und so feiert das Dorf Hochzeit.
Doch es dauert nicht lange, bis Jagna auch von Antek umworben wirbt. Der Alte bekommt das mit und das Verhältnis zwischen Vater und Sohn wird immer verhasster. Dann wollen die Bauern um Lodz einen Aufstand machen, weil die Steuerlast zu hoch ist, und Antek gerät in Schwierigkeiten.
„Die Liebe kommt und geht.“
Es gäbe Etliches zu berichten und zu diskutieren über „Das Flüstern der Felder“. doch wo beginnen? Vielleicht mit „Loving Vincent“ jenem außergewöhnlichen Kunstfilm, den das Ehepaar DK und Hugh Welchman mit etlichen bildenden Künstlern 2017 fertigstellte. Darin wird eine fiktive Handlung um einen Brief Van Goghs anhand der Lebendigmachung seiner Gemälde erzählt. Technisch aufwändig wurden die Filmszenen nachgemalt.
Eine ähnliche, wenn nicht sogar gleiche, Verfahrensweise wurde auch bei „Das Flüstern der Felder“ angelegt. Zuerst wurde gedreht, dann haben hunderte von bildenden Künstlern den Film in zeitgenössischer Art polnischer Maler des 19. Jahrhunderts überarbeitet. Bisweilen erkennt das Publikum auch unterschiedliche Stile. Im direkten Vergleich ist die „Animation“ hier lebendiger und wirkt durch eine freiere Interpretation der Landschaften und Personen lebendiger und intensiver.
Solch ein Filmvorhaben verlangt nach einer angemessenen Geschichte und „Das Flüstern der Felder“ basiert auf dem Epos „Die Bauern“ (OT: Chlopi) des polnischen Romanciers Wladyslaw Reymont, der in vier jahreszeitlich unterteilten Abschnitten in den Jahren von 1902 bis 1908 entstand. 1912 folgte die erste Übersetzung ins Deutsche und 1924 erhielt Reymont explizit für dieses epochale Sittengemälde einen Literaturnobelpreis.
Für diese Verfilmung wurde die Handlung auf die Liebesgeschichte um Jagna und die Rivalität zwischen Vater und Sohn reduziert. Das 800 Seiten Epos wurden um etliche Nebenhandlungen und Dorfcharaktere entschlackt. Reymonts realistische Zeichnung des ländlichen Lebens ist mehr als nur ein Zeitzeugnis und gilt aus einer der großen polnischen Romane.
„Das Land bleibt.“
Nun gibt es Stimmen, die sich fragen, ob der Film nicht arg und etwas schmonzettenhaft verkürze? Andere fragen, ob dem literarischen Realismus ausgerechnet die pitoreske Umsetzung gerecht werden kann? Beide Aspekte sind durchaus diskutabel. Nun gab es scheinbar bereits 1922 eine Verfilmung von „Cholpi“ und in die 1970ern eine Serien-Verfilmung für das Fernsehen.
Wer derben filmischen Realismus einer Dorfgemeinschaft sehen will, mag auf das finnische Film-Epos „Die Erde ist ein sündiges Lied“ (1973) von Regisseur Rauni Molberg zurückgreifen, das im vergangenen Sommer bei Bildstörung in herausragender Edition aufgelegt wurde.
Aber zurück zu „Das Flüstern der Felder“. Der Film folgt den formalen Aufbau des Romans nach Jahreszeiten und findet immer wieder faszinierende und flirrende Bilder für die Lebensfreude und das soziale Gefüge im Dorf. Da stört die vermeintlich schlichte Handlung nur zu Beginn. Spätestens wenn der Fokus etwas von der Dorfschönen abrückt und auch andere Charaktere intensiver begleitet werden die Bilder umso lebendiger und entfachen ihren eigenen tanzenden Wirbel. Das ist schon sehr schön.
Möglicherweise wird „Das Flüstern der Felder“ als Literaturverfilmung der gewichtigen vorlage „Die Bauern“ von Wladyslaw Reymont nur bedingt gerecht. Aber die Bildgewalt, die die kunstvolle Machart entfacht steht für sich selbst und ist faszinierend anzusehen. Gerad in dieser „animierten“ Annäherung liegt ein ganz eigener Zauber und ein unvergleichlicher Zugang zu vergangenen Zeiten.
Film-Wertung: (8 / 10)
Das Flüstern der Felder
OT: Chlopi, int.: The Peasants
Genre: Drama
Länge: 114 Minuten, PL/SRB/LT, 2023
Regie: DK Welchman, Hugh Welchman
Vorlage: Roman „Chlopi“ (Deutsch: Die Bauern) von Wladyslaw Reymont
Darsteller:innen: Kamilla Urzedowska, Miroslaw Baka, Robert Gulaczyk
FSK: Ab 12 Jahren
Vertrieb: Plaion Pictures
Kinostart: 12.09.2024