Bezahlbarer Wohnraum wird seit Jahrzehnten nicht nur in deutschen Großstädten immer knapper. Inzwischen haben die Mietpreise vielerorts ein Niveau erreicht, das viele Menschen nicht mehr bezahlen können. Das hat Gründe und es sorgt für soziale Verwerfungen. Die „Doku von unten“ „Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wird“ betrachtet das Phänomen Wohnungsmarkt in zwei zusammenhängenden, aber auch einzeln wirkenden Filmen mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. „Sold City“ ist großteils durch Crowdfunding entstanden und versteht sich ausdrücklich als Aktivismus. Das ist grundsätzlich gut und wichtig so. Ab 6.6.2024 im Kino.
In Berlin regt sich Protest gegen Wuchermieten, gegen Entmietungen und gegen die zum Teil unbezahlbaren Mieterhöhungen großer Wohnungsbau-Konzerne. Die Lage auf dem Wohnungsmarkt ist angespannt und der erste Teil der zweiteiligen Doku „Sold City“ zeigt Beispiele von Menschen, die ihre Wohnsituation nicht mehr aufrecht halten können oder darum zu kämpfen haben.
Die Filmmacher:innen Leslie Franke und Herdolor Lorenz leben selbst in Hamburg St. Georg und haben bereits einige engagierte Dokus gefilmt. „Die Kinder von St. Georg“ ebenso wie die hochgelobten Filme „Der marktgerechte Mensch“ und „Der marktgerechte Patient“. Im Prinzip ist „Sold City“ der Abschluss dieser Trilogie, also „Der marktgerechte Mieter“.
Sold City 1: Eigentum statt Menschenrecht
Als Langzeitbeobachtungen begleiten die Filmmacherinnen viele der Protagonisten in „Sold City“ über mehrere Jahre. Vor allem die Berliner Situation steht im Fokus, was auch damit zusammenhängt, dass hier eine Volksinitiative zur Enteignung von Wohnungsbaukonzernen aktiv ist. Aber dazu mehr im zweiten Film. Das Filmteam mischt sich auch in Veranstaltungen von Aktivisten und begleitet Betroffene bei der Suche nach einem persönlichen Gespräch mit den Vermietern.
Die vorgestellten Beispiele sind nicht einfach anzuschauen, der Film weckt die Empörung und Hilflosigkeit und appelliert an die Solidarität. Neben der Mieter-Situation in Berlin macht der Film Station in London, wo seit der Thatcher-Regierung Kommunale Wohnsiedlungen privatisiert wurden, erzählt aus St. Georg und blickt nach gegen Ende nach Wien, wo der Wohnungsmarkt anders organisiert ist.
Sold City 2: Enteignen statt Miete für Rendite
Im zweiten Teil „Enteignen statt Miete für Rendite“ verlagert sich die Betrachtung eher hin zu der den Strategien der großen Wohnbau-Konzerne. Die sind als Wirtschaftsunternehmen vor allem daran interessiert, hohe Renditen für die Kapitalanleger zu erwirtschaften. Auch hier wieder steht die Berliner Situation im Brennpunkt.
Der Milliardär und Gründer der Akelius GmbH etwa sagt, dass in Berlin den letzten Jahrzehnten die Immobilienpreise um 200 bis 300 % angestiegen sind, die Einkommen aber nur um 20 bis 30 %. Das müsse zwangsläufig zu sozialen Verwerfungen führen, unabhängig von seinem Konzern. Aktuell fließen vielerorts etwa die Hälfte der Mieten in die Rendite der großen Wohnbaukonzerne. Die Vonovia Gesellschaft macht auch keinen Hehl daraus, dass sie mit ihren Mietswohnungen Gewinne erwirtschaften will.
Möglich wurden diese Renditen auf dem Wohnungsmarkt, weil kurz vor der deutschen Einheit die zuvor gesetzlich vorgeschriebene Gemeinnützigkeitsbindung im Sozialen Wohnungsbau aufgehoben wurde. Nach der Finanzkrise von 2008 suchte das enorme freigesetzte globale Kapital nach neuen Gewinn versprechenden Anlagemöglichkeiten und entdeckten die Wohnungsmärkte.
Kann es anders funktionieren?
2018 hat sich in Berlin die Bürgerinitiative „Deutsche Wohnen und & Co enteignen“ gegründet, mit dem Ziel, dass die Stadt Berlin den Wohnungsbestand aufkauft und wieder in kommunale Wohnungen überführt, die günstig zu mieten sind. Die Initiative war erfolgreich doch die Politik bleibt skeptisch.
Auch andernorts regt sich Wiederstand gegen die Strategien der Wohnkonzerne, um Wohnraum zu verteuern. Häufig sind Sanierungen und Modernisierungen angesetzt, die einerseits später zu höheren Mieten führen andererseits oft dazu führen, dass Bestandsmieter notgedrungen abwandern, weil die Wohnzustände während der Maßnahmen schwierig sind.
Auch im zweiten „Sold City“-Film kommt das Beispiel Wien wieder zur Erwähnung, dieses Mal ausführlicher, denn es scheint so, als hätte die kommunale Verwaltung zumindest eine Alternative anzubieten. Die Doku sucht nach weiteren Beispielen, wie es Wohnungsmarkt anders organisiert sein könnte und porträtiert die Stadtplanung im Stadtstaat Singapur.
Das mag unkommentiert etwas kritisch sein, weil der Stadtsaat einer der größten Finanzplätze der Welt ist und das politische Regime äußerst rigoros. Aber die Dokumentarfilmer:innen kommentierten bislang auch nicht. Außerdem sollte die antikapitalistische Haltung der Dokus längst klar sein und es geht im Wesentlichen darum, Alternativen zum marktwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarkt aufzuzeigen.
Kein Infotainment sondern Dokumentieren von Zuständen
Die beiden Filme „Sold Out“ haben es in sich. Das Thema ist bei aller Wertschöpfung hochemotional, gerade weil so viele Menschen davon betroffen sind, was auf den Wohnungsmärkten der Welt passiert. Ob die Entwicklung unaufhörlich turbokapitalistisch entfesselt weitergeht, hängt auch davon ab, wie die beteiligten Akteure agieren. Der Ruf nach einer ordnenden Hand der Politik ist berechtigt, immerhin soll eine Regierung ihrer Bevölkerung in gewisser Weise dienen. Doch es gibt kaum einfache, schnelle Lösungen. Enteignung von Wohnungsbaukonzernen radikal erscheinen, eröffnet aber zumindest Denkansätze. Oder auch: Wann ging das Soziale in „Soziale Marktwirtschaft“ verloren und wie bekommen wir es zurück?
Den Macher:innen geht es nicht um cineastische Belange und auch nicht um Film-Ästhetik sondern um das Aufzeigen von Missständen und Möglichkeiten der Einflussnahme. Das Film-Material mag ausufernd und kaum editiert wirken. Aber das hat durchaus Methode und Berechtigung angesichts des avisierten, selbst betroffenen Publikums. Wohnen müssen wir schließlich alle, sagt der Wiener Bürgermeister zurecht.
Darum zwei Filme
Das Statement der Filmemacher:innen bringt „Sold City“ so auf den Punkt:
„Darum zwei Filme: Wir haben über drei Jahre und z.T. noch länger fünf Protagonisten und Familien begleitet, die sich des Systems der optimalen Rendite erwehren. Dies ist in Kürze nur schwer so darzustellen, dass Wut, Hoffnung und Perspektiven angemessen abgebildet werden. Eine weitere Ebene ist verbunden mit den Fragen, woher Wohnungsverlust, die so enormen Mietpreissteigerungen kommen, wem sie nützen und welch realistischen Alternativen es gibt.“
Die „Sold out“-Dokus „Eigentum vor Menschenrecht“ und „Enteignung statt Miete für Rendite“ sind durchaus anstrengen zu gucken. Filmisch wäre einiges sicher übersichtlicher zu präsentieren gewesen, aber das verkennt komplett den Impuls der Dokus. Die Beispiele aus dem Leben scheinen so himmelschreiend ungerecht und fordern emotionale Anteilnahme. Dennoch gelingt es den Filmen zumindest Lösungsansätze oder Alternativen anzubieten: Die sind nun – wie das Thema an sich – nicht gerade neu, aber werden dadurch nicht weniger wichtig. Möge es zur Diskussion und gesellschaftlichen Veränderung nutzen.
Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wird
Teil 1: Eigentum vor Menschenrecht
Teil 2: Enteignung statt Miete für Rendite
Länge: Jeweils 102 Minuten, D, 2024
Regie und Idee: Leslie Franke und Herdolor Lorenz
FSK: ?
Vertrieb: Edition Salzgeber
Kinostart: 06.06.2024
offizielle Filmseite
Initiative „Deutshce Wohnen & Co enteignen
Film und Termine bei EditionSalzgeber
Weltpremiere (beide Teile) in Kooperation mit dem Berliner Mietergemeinschaft
am 02. Juni 2024 im Kino Babylon Kreuzberg