Bei dem Bandnamen „Plattenbau“ und der Tatsache, dass die Band einen Proberaum im ehemaligen Stasi-Zentrale bespielte, möchte man an eine vertonte DDR Sozialisierung denken, doch weit gefehlt. Das inzwischen (seit 2016) zum Quartett gewachsenen Outfit internationaler Herkunft hat sich wavigen Sounds der Achtziger Jahre verschrieben. Die geneigte Hörerschaft mag das genremäßig differenzierter betrachten als der Rezensent, wichtig aber bleibt, dass die Band keineswegs klingt als wäre sie von gestern. Das aktuelle Album „Net Prophets“ wurde allerdings schon vor einigen Stadtteilspaziergängen veröffentlicht. Also zu den 10 Betonfertigteilen auf „Net Prophets“.
Um nochmal beim Thema Abhören zu bleiben: Der Album-Opener „Lichtenberg-Monologue“ rockt mit knarzigem Bass und monotonem Beat, während Samples einer Frau am Telefon zu hören sind, deren Gesprächspartner sich nicht regt. Irgendwo zwischen schrägem Telefonstreich und Überwachungsparanoia verläuft die Tanzbarkeit im „Net Prophets“-Opener. Eigenwillig, verhalten, latent aggressiv. Oder auch „Manchmal schreie ich im Schlaf“.
Das musikalische Inszenieren des gesprochenen Wortes wiederholt sich im letzten Song des Albums „Stadtgrenze“. Darin wieder eine weibliche Stimme, die zu wavigen, basslastigen Beats und kernigen Riffs Floskeln zur Stadtentwicklung zum Besten gibt, wie sie immer wieder von Politikern und aus Wirtschaftskreisen zu hören sind. Die Grenzen des (urbanen) Wachstums verlaufen anders als der menschliche Maßstab der gelebten Umwelt, aber das ist eine andere Architekturdoku.
„Ich kann Sie nicht hören.“
Stadt ist scheinbar ein Thema bei Plattenbau und liefert eine thematische Klammer für den musikalischen Begegnungsraum. Wobei mir immer wieder „Monotonie und Alltag“ einfällt in Anlehnung an einen Fehlfarben-Albumtitel („Monarchie und Alltag“). Es gibt auf „Net Prophets“ durchaus rockige und punkige Elemente, und der Bass, zumeist arg verzerrt vorgetragen, ist das Gerüst dieser Musik. Darin finden sich allerdings immer auch dominierende Sound und Klangwelten elektronischer Art.
Gründungsmitglied und Sänger Lewis Lloyd wechselte instrumental vom Bass zum Synthie, seit das Trio ein Quartett geworden ist. Dadurch ist der Sound einerseits voller geworden, andererseits waren (sofern das kurze Vergleichshören mit älterem Material standhält) Plattenbau noch nie so Achtziger wie auf ihrem dritten Album. Und es steht der Band gut zu Gesicht.
Falls sich der eine oder die andere wundern sollte, Lewis Lloyd bedient auch bei der ebenfalls international besetzten Berliner Band Publik Display of Affection (P.D.O.A.) den Bass. Gitarrist Jesper Munk ist gleichermaßen in beiden Formationen unterwegs. In direkten Vergleich sind P.D.O.A. verkopfter und künstlerischer, während Plattenbau sich in ähnlichen musikalischen Parametern tanzbarer, körperlicher geben.
Das mag auch daran liegen, das das dritte Album live im Studio eingespielt wurde. Ich zumindest bilde mir ein jene Spontan-Energie hören zu können. Und gelegentlich auch einige Ecken und Kanten, die eine weitergehende Produktion sicherlich ausgeglichen hätte. So hat etwas Song #5 „Departed“ für meinen Geschmack deutlich zuviel Hall und das Gitarrensolo ist arg schrill, aber live käme das sicher gut.
„Wir brauchen eine wirtschaftsfreundliche Politik.“
Auch Song # 8 „We got time“ hat so seine Macken auf Tonträger. Der einleitende Teil mit monotonem Schlagzeug und Gesang ist mit 2 Minuten schon ausufernd bevor weitere Klänge dazukommen und sich das Ganze schließlich zu einem Inferno entwickelt. Im Live-Kontext wäre das ganz sicher großartig, auf Konserve wirkt es etwas überstrapaziert. Wobei der Rezensent auch klar bekennen muss, dass er sich üblicherweise nicht ausufernd und vertiefend in den musikalischen Gefilden verlustiert, die Plattenbau beackern.
Und dennoch spricht die internationale Kooperation bei Plattenbau auch für sich und für die lebendige Szene in einer Stadt. Ich mag nun nicht so weit gehen wie ein Kollege, der solch Musizieren nur in Berlin für möglich hält, aber das multinationale Flair wird in Deutschland tatsächlich am alltäglichsten in Berlin gelebt. Darin ist die Hauptstadt schon globale Metropole. Aber der Sound hätte auch aus London oder Tokio stammen können.
Ich schweife ab. Lewis Lloyd ist seit 2009 in Berlin, 2011 wurde Plattenbau gegründet. Von den Gründern ist nur Lewis noch am Start. 2016 folgte das selbstbetitelte Debutalbum. Dann folgten weitere Besetzungswechsel und 2022 erblickte das zweite Album „Shape/ Shifting“ das Licht der Welt. Im Herbst darauf folgte dann eine mutiges Remix-Album dazu und im Herbst 2023 markiert „Net Prophets“ das bislang konsequenteste Schaffen der Band.
Anspieltipps sind meiner Ansicht nach das abstrakt distanzierte „Lichtenberg-Monologue“, die wabernder melodische Ballade „Purgatory“ und das Bass-brazzende, schwere „A New Dawn“. Das als Video-Single ausgekoppelte Lied „Celebration“ hat schon eine n gewissen Underground-Hitcharakter, aber das mag jede:r selbst hören.
Mit ihrem dritten Album „Net Prophets“ hat die internationale berliner Dark Wave Band „Plattenbau“ ihr bislang reifstes Album vorgelegt. So konsequent angelehnt an die wavigen Sounds der frühen Post Punk Ära zeigen Plattenbau, das in diesen Klängen viel Modernität steckt. Ein eindrucksvolles, raues Album mit einigen Schönheitsfehlern.
Album-Wertung: (7 / 10)
Plattenbau- Net Prophets
Genre: Dark Wave, Goth Punk
Länge: 36 Minuten, (10 Songs), D, 2023
Interpret: Plattenbau
Label: Destranged
Format: Vinyl, Digital,
VÖ: 08.09.2023