Eigentlich sollte die Urlaubszeit der Erholung und Freude dienen, doch oft genug entpuppt sich die Ausnahmesituation dann doch als gewöhnungsbedürftig und konfliktbeladen. So auch in Anna Kazejaks Dramödie „Fucking Bornholm“ in der zwei Paare mit Kindern ihren traditionellen Campingtrip nach Bornholm unternehmen. Neu im Kino ab 1 Juni 2023.
Doch die Vorzeichen sind anders als zuvor, denn Dawid (Grzegorz Damiecki) ist frisch geschieden und nimmt zum ersten Mal seine neue, wesentlich jüngere Partnerin Nina (Jasmina Pollak) mit. Während Kumpel Hubert (Maciej Stuhr) begeistert scheint, ist dessen Frau Maya (Agnieszka Grochowska) eher reserviert. Aber die Kinder freuen sich.
Es klappt dann auch nicht alles wie gewohnt. Der eigentlich gebuchte Platz in den Dünen ist schon belegt und die drei Jungs wollen im Zelt übernachten. Während Maya lieber möchte, dass ihr jüngster im Wohnwagen übernachtet, erlaubt Hubert ihm bei den beiden großen zu pennen.
„Lass uns abreisen. Sofort.“
Als es in der Nacht zu einem Vorfall kommt, stellt Maya ihren Jüngsten zur Rede und es tut sich Erstaunliches und Übergriffiges auf. Daraufhin möchte Maya die Angelegenheit mit den Erwachsenen besprechen, doch das klappt keineswegs so, wie sie sich das vorgestellt hat. Während die Männer den Vorfall verharmlosen, geht Nina in die freipädagogische Gegenposition.
Die Sache scheint nicht dazu angetan, ernsthaft aufgearbeitet und aufgeklärt zu werden. Daran entzündet sich dann der eine oder andere Konflikt, der ohnehin schon in dieser Urlaubskonstellation geschwelt hat. Maya fühlt sich nach Veränderung, nachdem ihre Kids nun alt genug. Hubert will einfach nur eine schöne Zeit wie jeden Sommer und versteht nicht, warum seine Frau so gestresst ist.
Dawid hat Panik, dass er seinen Sohn nicht mehr sehen darf, wenn die Ex von dem Vorfall erfährt, und Nina ist sich gar nicht mehr so sicher, wie souverän und charmant ihr Liebster eigentlich ist. In die Erziehungsangelegenheiten darf sie sich ohnehin nur bedingt einmischen. Maya würde am liebsten auf der Stelle wieder zurückfahren, doch das scheint nicht in Frage zu kommen. Da sind noch Überraschungen möglich.
Wäre da nicht diese leichte an Vivaldi erinnernde Musik, die en sommerlichen Campingausflug umrahmt und untermahlt, das Publikum könnte annahmen in einem klassischen Beziehungsdrama gelandet zu sein. Dabei ist das Inselsettting immer schon ein Zeichen dafür, dass hier eine Reise stattfindet, ein Wandel geschieht, eine außergewöhnliche Situation stattfindet.
„Die Kinder haben doch Spaß.“
„Fucking Bornholm“ ist durchaus komisch, zumeist schwarzhumorig, hat aber auch eine Tiefrgründigkeit, und Ernsthaftigkeit, die eine humoristische Fallhöhe erst ermöglicht. Es ist vor allem Mayas Sicht der Dinge, die den Film strukturiert, und die selbstbewusste Frau steht im Mittelpunkt des Films. Das ist bisweilen ein wenig überspitzt, vor allem in der Hilflosigkeit der Männer, die übertrieben scheint.
Aber genau das scheint eines der Themen der polnischen Filmmacherin zu sein. Ihre Analyse (nicht nur der polnischen Gesellschaft) scheint zu zeigen, dass den starken Frauen heutzutage zu oft schwache Männer gegenüber stehen. Die gelegentlich aufkommende Diskussion mag das bekräftigen. Andererseits sind solche Generalisierungen immer auch differenziert zu betrachten. Während es angehen mag, dass Männer im Familiären, Privaten mit ihrer Geschlechteridentität ringen, ist es im Berufsleben und den Chefetagen wohl immer noch so, dass Frauen dort strukturell im Nachteil sind.
„Ist das euer hygge?“
In einem Interview mit dem NDR erwähnt die polnische Filmmacherin Anna Kazejak, dass sie ihr Projekt lange Jahre nicht finanziert bekommen konnte, weil die Darstellung selbstbewusster Frauen in Polen nicht erwünscht sei. Eventuell entstand daraus die Idee einen Podcast aus der Handlung zu machen, der 2020 veröffentlicht wurde.
Doch die Betrachtung geht schon wieder über das kleinteilige, familiäre Bild in „Fucking Bornholm“ hinaus. Hier trifft Maya in einer Kneipe den schweigsamen Mikkel (Markus Krepper), der einen Gegenpol darzustellen scheint und zumindest anders ist. Und irgendwie ist Maya, die in diesem Film vor allem auf der Suche nach Aufbruch und Ausbruch aus Ritualen und Routinen ist, wie die Insel Bornholm. Zwar gehört die Insel zu Dänemark, ist aber geografisch zwischen Schweden und Polen gelegen, also weitab von der eigenen Krone, ein Außenposten, eine Diaspora.
„Fucking Bornholm“ beschwört keines Wegs eine sommerliche Urlaubsidylle, sondern seziert mit ruhigem Ton, entspannten Bildern und bissigem Humor die emotionale Gemengelage von Paaren im mittleren Alter. Einige würden das wohl Midlife Crisis nennen. Schön sind die Sonnenuntergange über der Ostsee dennoch.
Film-Wertung: (7 / 10)
Fucking Bornholm
OT: Fucking Bornholm
Genre: Drama, Komödie
Länge: 96 Minuten, POL, 2022
Regie: Anna Kazejak
Darsteller:innen:Agnieszka Grochowska, Jasmina Pollak, Grzegorz Damiecki, Maciej Stuhr,
FSK: nicht geprüft
Vertrieb: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 01.06.2023