Alle reden übers Wetter: Zwischenstühlen

Uni-Dozentin und Doktorantin Clara muss zum Familienfest. Statt Berliner Akademikerkreise geht’s in die Brandenburger Schrebergärten. Dabei offenbaren sich der Karrierefrau Abgründe und Unvereinbarkeiten, aber ebenso die eigene Verwurzelung und Heimatlosigkeit. Filmmacherin Annika Pinske fühlt unterschiedlichen Milieus den Puls in ihrem melancholisch-komischem Porträt einer unabhängigen Frau. Neu im Kino ab 15. September 2022.

Clara (Anna Schäfer) macht in Berlin gerade ihren Doktortitel in Geisteswissenschaften. Die Dozentin hat ein Verhältnis mit einem Studenten, will sich aber nicht weiter einlassen. Clara wohnt in einer WG während ihre pubertierende Tochter beim gut situierten Vater (Roland Zehrfeld) und dessen neuen Familie lebt.

Gelegentlich ruft Claras Mutter Inge (Anne-Katrin Gummich) an, erzählt von ihrem Dorfalltag und fragt, wann die Tochter mal wieder zu Besuch kommt. Claras resolute Doktor-Mutter Margot (Judith Hofmann) drängelt, dass Claras Karriere den nächsten Schritt braucht. Und Claras Tochter Emma mag es überhaupt nicht, wenn die Mutter bei den Treffen so tut, als hätten sich die beiden gerade erst gesehen.

Mutters Geburtstagsfeier

Dann steht Inges 60. Geburtstag an. Clara und Emma fahren einige Tage zu Besuch und helfen bei den Vorbereitungen. Das ist auch ein Wiedersehen mit der eigenen Vergangenheit und mit Marcel (Max Riemelt), der die Dorf-Kneipe vom Vater übernommen hat.

„Alle reden übers Wetter“ lässt sich auf verschiedene Weise sehen. Als Porträt einer scheinbaren Karrierefrau, als Familienfilm über drei Generationen oder auch als Suche nach der eigenen Heimat. Mag sein, dass die bissige Melancholie, die über dem sommerlichen Brandenburg schwebt etwas abgeschmackt wirkt, weil rund 30 Jahre nach der Wende immer noch so viel „Ossi“-tum ins Bild gerückt wird. Mag auch sein, dass das schnöselige Akademiker-Milieu der Hauptstadt andernorts subtiler kritisiert wurde.

Darts and Arts?

Dennoch findet sich in Claras spröder Distanziertheit mehr als nur die Verweigerung von Gefühlen, die Ablehnung einer loyalen gesellschaftlichen Schicht-Zugehörigkeit. Es stellt sich grundsätzlich die Frage, wieviele „Brüche“ und „Widersprüche“ ein Mensch so beinhalten kann, bis er oder sie sich im Dazwischen verliert.

So auch mit der Coverversion der Blaskapelle im Film „Killing in the Name of“, die das ultimative Statement zur Schmelztiegel-Gesellschaft ist. Als der Song in den Neunzigern veröffentlicht wurde war die Band Rage Against the Maschine stolz darauf im Text zu fluchen und so die einflussreiche amerikanischen PMRC-Vereinigung (Parents Music Resource Center) zu vergrätzen: 16 „Fuck You“und ein „Motherfucker“.

Ob eine Akzeptanz des einen, gleichzeitig die Ablehnung des anderen notwendig macht? Ob Clara sich festlegen muss auf bestimmte Ziele und Erwartungen aus ihrer Umwelt? Sicherlich fehlt in der Beziehung mit der eigenen Mutter eben jene Auseinandersetzung über Tiefergehendes, die Clara selbst von ihrer Tochter so nonchalant verweigert wird. Dabei ist alles vielleicht eine Frage der Dosis und der inneren Stärke, die sich auf unterschiedlichste Art und Weise manifestieren kann.

„Wo ist zuhause, Mama?“ (Johnny Cash)

Das Publikum, das mit Maren Ades Filmen („Toni Erndmann“, Den Wald vor lauter Bäumen“) vertraut ist, merkt in „Alle reden übers Wetter“ eine Ähnlichkeit, die sich eher in der Stimmung und der Art des lakonisch-sarkastischen Humors zeigt. Manchmal erinnert der Film auch etwas an Juli Zehs „Unterleuten“. Eventuell ist es auch kein Zufall, das Annika Pinske ihre Geschichte auf das Publikum loslässt, während zeitgleich „Mittagstunde“ nach dem gleichnamigen Roman von Dörte Hansen („Altes Land“) in Norddeutschland ein ähnliches thematisches Feld beackert.

Mag sein, dass ich in dieser Hinsicht aufmerksamer bin, da ich seinerzeit ebenfalls vom Dorf zum Studium in die Stadt gezogen bin. Denkbar wäre aber auch, dass die Frage nach Heimat keine ist, die unbedingt nur räumlich zu beantworten ist. Sondern auch eine geistige und emotionale Zugehörigkeit einschließt, die in unserer Gesellschaft gerade etwas verlustig geht. Letztlich machen zwei Beispiele noch keinen Trend und beide Filme sind auch und zuförderst Ausdruck individueller Geschichten.

In der deutschen Gesellschaftskomödie „Alle reden übers Wetter“ wird erstaunlich selten übers Wetter geredet. Dafür aber häufig aneinander vorbei und übereinander weg. Da sitzen und stehen Menschen nebeneinander, die nicht immer Interesse am Nachbarn haben.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Alle Reden übers Wetter
OT: Alle reden übers Wetter
Genre: Drama, Komödie
Länge: 89 Minuten, D, 2022
Regie: Annika Pinkse
Darsteller:innen: Anne Schäfer, Judith Hofmann, Anne-Katrin Gummich
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Grand Film
Kinostart: 15.09.2022

„Alle reden übers Wetter“ bei Grand film