Das meisterhafte filmische Portrait des einflussreichen britischen Landschaftsmalers William Turner erfordert vor allem Sitzfleisch. Rund 150 Minuten nimmt sich Filmmacher Mike Leigh Zeit, um den älteren Künstler in seiner Zeit und seinem Werk zu portraitieren. 2014 kam das biografische Drama hierzulande in die Kinos.
Regelmäßig besucht der Landschaftsmaler Joseph Mallord William Turner (Timothy Spall) in ausgedehnte Reisen den europäischen Kontinent. Hier sucht und findet er Inspiration. Sein früher Ruhmgründet sich vor allem auf sein Können als topografischer Skizzierer.Inzwischen allerdings hat sich Turner vor allem dem Licht als bildnerisches Motiv in der Landschaft zugewandt.
Nach jeder Reise kehrt der angesehene Maler in seinen Londoner Haushalt zurück. Der Vater, ein ehemaliger Barbier führt das Haus, Turners Nichte Hanah Danby (Dorothy Atkinson) ist nicht nur Hausangestellte, sondern sorgt auch auf andere Weise für das leibliche Wohl des Meisters.
Skizzen von Wegesrand
Während seiner Reisen durch England lernt Turner dann die Wirtin Sophia Booth (Marion Bailey) kennen, mit der er ein Verhältnis beginnt, nachdem ihr Lebensgefährte verstorben ist. Turners eigener Haushalt verfällt nach dem Tod des Vaters zusehends. Vor allem nachdem sich Turner mit seiner Gefährtin eine Häuschen auf dem Lande gesucht hat.
Auch mit der Londoner Kunstszene hat sich der eigenwillige William Turner inzwischen angelegt. Einigen gilt er zwar als Innovator, den meisten aber als Querulant. In der jährlichen Ausstellung der Royal Academy hat er, anders als sein großer Rivale als Landschaftsmaler, John Constable, schon längst keinen prominenten Ausstellungsplatz im inneren Zirkel mehr.
Doch anders als viele Kollegen erkennt Turner den Wandel der Zeit und setzt sich auf die ein oder andere Weise mit ihm auseinander: Dampfschiffe und Züge sind gegen Mitte des 18. Jahrhunderts noch keine geläufigen Motive und eher reserviert, aber mit analytischer Klarsicht lässt der Maler eine Daguerreotypie von sich machen.
Timothy Spall ist William Turner
Filmmacher Mike Leigh („Happy-go-Lucky“) setzt dem berühmten englischen Maler William Turner ein einzigartiges filmisches Denkmal. Er rückt seinen Turner direkt in den Mittelpunkt des Films und findet in Timothy Spall einen kongenialen Darsteller, der sich den wortkargen, häufig missgelaunten Meister mehr als angeeignet hat.
Im englischen Original ist sein Schnaufen und Grunzen kaum als Sprache zu erkennen. So wenig der Film einer Dramaturgie im eigentlichen Sinne folgt, so wenig hat es Turner nötig, sich zu etablieren, weder gesellschaftlich noch als Filmcharakter: Er ist; und er ist dermaßen diesseitig, dass der Kontrast zu seiner Malerei einen direkt anspringt.
Das Licht einfangen
Wen interessiert‘s, wenn Turner, auf die Leinwand rotzt um den perfekten Lichtmoment einzufangen? Mike Leighs Portrait fließt ohne künstliche Beschleunigung wie das Leben selbst und entwickelt aus eben jener inneren Ruhe seine Faszination.
Auch charakterlich erweist sich der Landschaftsmaler als eher unsympathisch. Seine niedere Herkunft wird durch Bildung und vorhandene Umgangsformen aufgemotzt. Doch er erkennt seine uneheliche Tochter nicht an, und im Haushalt ist der Maler ein egozentrischer Despot. So wirkt die Ambiguität zwischen Künstler und Werk am Ende des Films, wenn der dahinsiechende, beleibte William Turner das diesseits verlässt.
Die Kamera in „Mr. Turner“ bedient Leighs langjähriger Weggefährte Dick Pope. Auf meisterliche Weise fängt er den Maler bei seinen Landschaftsstudien ein. Gleichzeitig aber wird die fast klaustrophobe Enge des britischen Kunstbetriebes detailliert und unaufdringlich gezeigt. Das ist auch ein Verdienst der Set-Designerin Suzie Davis, der es gelingt, diese Epoche zum Leben zu erwecken,
Es sind die Kleinigkeiten die „Mr. Turner“ so groß machen und die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen sind das Sahnehäubchen eines absolut sehenswerten Kunstmarathons. Kunstinteressierten ist der Film, der keiner herkömmlichen Biografien-Dramaturgie folgt absolut zu empfehlen. Erstaunlich bleibt vor allem der Kontrast zwischen Künstler und Werk, grandios dargeboten von einem Oscar-würdigen Timothy Spall.
Film-Wertung: (8 / 10)
Mr. Turner – Meister des Lichts
OT: Mr. Turner
Genre: Drama, Biopic,
Länge: 150 Minuten, UK, 2014
Regie: Mike Leigh
Darsteller:innen: Timothy Spall, Dorothy Atkins, Marion Bailey
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Prokino, Studiocanal
Kinostart: 06.11.2014
DVD- & BD-VÖ (neu): 01.04.2021