Zombie Child: Besessene Träume

Zuschauer:innen sollten sich bei den Titel nicht in die Irreführen lassen: Bertrand Bonellos aktueller Film ist kein Horror-Streifen, sondern ein Drama über das Erwachsenwerden, aber ebenso ein Ausflug in die Haitianische Voodoo-Kultur. 2019 feierte das Drama seine Weltpremiere bei den Festspielen in Cannes, nun bringt Grandfilm die sehenswerte Beobachtung einer Mädchenclique im Elite-Internat hierzulande in die Kinos.

Die junge Fanny (Louise Labeque) besucht ein Elite-Internat in der Nähe von Paris, in das nur Töchter von Personen aufgenommen werden, die mit dem französischen Verdienstorden ausgezeichnet wurden. Fanny ist Mitglied einer Literatur-Gang und schreibt fleißig Liebesbriefe. Die Klasse bekommt Zuwachs von der Haitianerin Mélissa (Wislanda Luimat) und Fanny ist fasziniert von der ruhigen Farbigen.

Die Literatur-Gang nimmt Mélissa auf, das Initiationsritual besteht darin, ein persönliches Geheimnis zu erzählen. Mélissa erzählt, dass sie die Enkelin eines Zombies ist. Ihr Großvater Clairvicius Narcisse starb und wurde als Zombie wiedererweckt, um auf einer Plantage als Arbeitssklave zu schuften. Später überwand er den Fluch und gründete eine Familie.

Als Fannys Freund die Beziehung beendet wendet sich das Mädchen an Mélissas Tante, die eine Voodoo-Priesterin ist. Nach anfänglichen Protesten willigt diese ein, mit Fanny ein Ritual durchzuführen, während zur selben Zeit auf Haiti ein Ritual zum Gedenken an Mélissas Großvater durchgeführt wird. Im Internat halten die Mädchen von Lesezirkel die Neue indes für besessen.

Der unbekannte Haitianer läuft zu Beginn von „Zombie Child“ buchstäblich in den Schuhen eines Toten. Er selbst wird dann verzaubert und findet sich als Arbeitssklave auf einer Plantage wieder. Ohne Dialoge erzählt Regisseur Bertrand Bonello, der auch das Drehbuch schrieb, diese Episode aus der jüngeren Vergangenheit.

Unkommentiert stehen die Ereignisse auf Haiti neben dem Schulalltag von Fanny und Mélissa, die gerade in einem Alter sind, in dem Schwärmereien, Fantastereien und große Gefühle an der Tagesordnung sind. Während Mélissa als Neue, die zu8dem noch aus einer anderen Kultur kommt, versucht, sich in das neue Leben in Frankreich, im Internat einzufinden, ist Fanny eher damit beschäftigt ihre Identität zu finden. Zwischen den beiden Mädchen ist durchaus eine sexuelle Anziehung zu spüren, selbst wenn Fanny sich in einer Beziehung befindet.

Es dauert ein wenig, bis sich der Rhythmus von „Zombie Child“ entfaltet, bis die beiden Leitmotive Voodoo-Fluch und Elite-Internat nebeneinander etabliert sind und sich dann zu einem erzählerischen Amalgam verbinden. Lange Zeit ist nicht recht klar, was die Erzählebene miteinander zu tun haben und welche Folgen sich für die Mädchen aus der Exotik und der magischen Fantasterei ergeben.

Bertrand Bonello („Nocturama“, Saint Laurent“, „Haus der Sünde“) spielt gekonnt mit der Poetik des Erwachsenwerdens. In ruhigen Bildern begleitet die Kamera den Schulalltag der Mädchen und Fannys Gedanken, die auch aus dem Off in vorgetragenen Briefen nachvollziehbar gemacht werden. Der erzählerische Schwerpunkt liegt eindeutig auf dieser Handlungsebene.

Dennoch kommt mit dem haitianischen Voodoo-Kult mehr als eine weitere Ebene in das stille Drama. Das Private wird politisch, Die Gegenwart wird eine Verantwortung für die Vergangenheit und das Fremde wird ein Teil des Alltäglichen. Beinahe in einem Nebensatz erwähnt Mélissa, dass ihre Eltern bei einem Erdbeben in Haiti umgekommen sind. Bilder des großen Bebens von 2010 gingen seinerzeit ebenso um die Welt wie die prominenten Spenden- und Hilfsaktionen. Das Mediale Echo verhallte jedoch bald, wie so oft, und heute weiß aus dem Stehgreif kaum jemand wie es um Haiti, eines der ärmsten Länder der Welt, bestellt ist.

Dann wäre da noch der Zombie, einer der nicht wie im Horror-Film umherstolpert um seine Fänge in harmlose Passanten zu schlagen, gleichermaßen um sich zu ernähren wie um sich zu vermehren. Der Fall des Clairvicius Narcisse ist insofern real, als dass der 1994 gestorbene Haitianer von sich behauptet hat, als Zombie auf einer Plantage geschuftet zu haben. In wie weit es sich dabei um einen Voodoo-Fluch handelte, bleibt der Fantasie und dem Glauben jeder einzelnen Zuschauer:in überlassen.

Das Motiv des gedungenen, beherrschten, willenlos getriebenen Menschen bleibt ein großer Einfluss auf die nachfolgenden Generationen und auch ein Gedankenspiel und Symbol für den Kolonialismus. Haiti war bis 1804 französische Kolonie und dass Mélissa nun auf ein elite-Internat gehen darf, spiegelt in „Zombie Child“ auch ein bisschen das koloniale Erbe Frankreichs. Wobei es Bertrand Bonello nicht um einen historisch-politischen Diskurs oder gar erhobenen Zeigefinger geht, sondern eher um eine emotionale Bereicherung des Szenarios.

„Zombie Child“ von Bertrand Bonello ist ein ruhige Coming of Age Drama, das von seinem ruhigen kräftigen Erzählstrom lebt und von den klaren aber dennoch poetischen Bildern. So bleibt Raum für eigenes Kopfkino. Eine filmische Qualität die in der Geschäftigkeit unserer Zeit immer häufiger auf der Strecke bleibt.

Film-Wertung: 7 out of 10 stars (7 / 10)

Zombie Child
OT: Zombie Child
Genre: Drama
Länge: 103 Minuten, F, 2019
Regie: Bertrand Bonello
Darsteller: Louise Labeque, Mackenson Bijou, Katiana Milford, Wislanda Luimat
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Grand Film
Kinostart: 08.10.2020

„Zombie Child“ bei Grandfilm

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