Landläufig nennt man ja weite Teile des organisierten Verbrechens „Mafia“, wobei es da durchaus Unterscheidungen gibt, die familiäre Struktur eines Clans aber oft wesentlich ist. In der spanischen Thriller-Drama-Serie „Gigantes“ baut der Clan der Guerreros seinen Drogenhandel in Madrid über Jahrzehnte aus. Die TV-Serie wird hierzulande bei MagentaTV ausgestrahlt und erschien Mitte September auch auf DVD und Blu-ray fürs das Home-Entertainment. Anlass für einen vorsichtigen Blick in den bluttriefenden Haushalt der Guerreros.
Bereits die Einzeltitel der sechs Episoden der ersten Staffel von „Gigantes“ weisen die Richtung der Handlung: Zerstörung, Familie, Zusammenflüsse, Narben, Verlust, Paradies. Wem bei dem Familiennamen Guerrero (spanisch für Krieger) noch nicht klar war, dass es in der spanischen Mafiaserie archaisch zugeht, dem sollte dies spätestens jetzt aufgegangen sein. Vielleicht ist genau das auch das größte Problem des aufwändig produzierten spanischen TV-Formats: Es ist zu plakativ! Unter dem gleißenden Licht Andalusiens ist kein Platz für Schatten und Schattierungen. Unbarmherzig wird ans Licht gezerrt, was an Brutalität, Machtgier und Härte notwendig ist, um ein Imperium aufzubauen und an der Macht zu halten. Das ist schon erheblich alttestamentarisch geprägt.
Wozu, Abraham, Wozu?, möchte man dem Stammvater der Guerreros gleich zu Beginn zurufen, wenn in wenigen knappen Szenen der Kindheit und Jugend seiner drei mutterlos aufwachsenden Söhne eine Erniedrigung der nächsten folgt, wenn Befehl und Bestrafung sich mit maschinengewehrartigem Stakkato abwechseln. Wozu, Abraham? Und bei dieser rabiaten Art und Weise, Männer heranzuziehen und keine Memmen, freut sich der Alte doch tatsächlich, dass da auch Aufbegehren, Revolte und Protest unter seinem Dach wachsen. Allein, gerade zu Serienbeginn sind alle Charakterzüge so unausgewogen brachial, zeigt sich kaum eine der Figuren mehrdeutig, ambivalent, vielleicht sogar undurchsichtig.
Doch Stammvater Abraham, der in den Achtziger Jahren das Imperium mit roher Gewalt und der Vertreibung eines rivalisierenden Roma-Clans begründete, kann auch nicht anders als seinen aufbegehrenden Erstgeborenen Daniel (Isaac Férriz) als Rivalen zu begreifen und nicht als Thronfolger. Mit hündischem Beißreflex verteidigt der Alte sein Revier, schickt die eigene Brut in die Gosse. Nur um dann doch unabwendbar auf dem Altenteil zu landen. Zurück bleibt der Zweitgeborene, Tomas (Daniel Grao), der schon immer nur die Notlösung war und daher das Privileg erhielt, nutzlos zu studieren, anstatt beim Umschichten der Drogen helfen zu müssen wie seine Brüder.
Die Härte und Schwere, die Tyrannei des Status Quo wird in „Gigantes“ quasi kongenial in Szenen, Kulissen, Beleuchtung und Perspektiven gewandelt, aber auch hierbei fehlt Dynamik. Es fehlt auch formal jenes Wasser, das den Stein zu formen versteht. Aktion beschwört Reaktion, Schuld verlangt Strafe, Leid verleidet Freiheit und alles ist unausweichlich als stünde es tatsächlich geschrieben. Genauso wie die rivalisierenden Roma selbstredend immer Zigeuner waren, sind und bleiben. Es hätte auch verwundert, wenn in dieser Welt kein Feindbild, kein verhasstes Vorurteil notwendig wäre, um Einheit zu beschwören.
Jahre später dann – mit der zweiten Folge setzt „Gigantes“ erst richtig ein – entfaltet sich das machtbesessene Panorama eines Bruderkampfes. Auch hier wieder die Frage: Warum die Rivalität? Wieso kann der aus dem Knast kommende Daniel nicht akzeptieren, mit dem smarten Tomas zusammen die Geschäfte zu leiten. Nein, in diesem Haus der Krieger ist Führung nicht teilbar. Macht ebenso Teil der Persönlichkeit wie Unterwerfung. Das ist ebenso archaisch wie überkommen. Der Zweitgeborene weiß darum, erkennt die Mechanismen von Macht, Wirtschaft und Reichtum – und somit auch die unzeitgemäße Vergeudung von Kraft und Ressourcen. Doch alle sind gefangen in der Familientradition, so schicksalhaft wie absehbar.
Die erste Staffel der spanischen Gangster-Serie „Gigantes“ erzählt von einem kriminellen Familienclan. Die Bilder sind aufwändig produziert und mit einer gehörigen Milieu-üblichen Portion Brutalität angereichert. Spannung kommt in der epischen Erzählung selten auf, auch weil fast alle Charaktere wie in Stein gemeißelt wirken und daher sehr vorhersehbar agieren. Ein paar überraschende Wendungen hätten dem stilsicheren archaischen Epos nicht geschadet.
Serien-Wertung (5 / 10)
Gigantes Staffel 1
OT: Gigantes – Temporada 1
Genre: TV-Serie, Krimi, Drama
Länge: 324 Minuten (6 x 54 Minuten), E, 2018
Idee: Manuel Gancedo
Regie: Jorge Dorado, Enrique Urbizu
Darsteller: Isaac Férriz, Nene, Yolanda Torosio, Jose Coronado, Daniel Grao
FSK: ab 16 Jahren
Vertrieb: Justbridge Entertainment
DVD- & BD-VÖ: 20.09.2019