Another Day of Life: Afrika erwacht

Mit der Literaturverfilmung “Another Day of Life” erscheint dieser Tage bei Pandora einer der stärksten Filme des Jahres für das Home Entertainment. Dabei hätte die Angelegenheit auch ganz furchtbar daneben gehen können: Die Umsetzung einer „Kriegsreportage“ aus dem Angola der 1970er Jahre als Animation – angereichert mit dokumentarischen Sequenzen – scheint nicht gerade dazu angetan, Zuschauern einen neuen Blick auf die Welt zu ermöglichen. Doch gerade das gelingt „Another Day of Life“ mit Bravour.

Im Jahr 1975 ist der polnische Reporter Ryszard Kapuściński in Angola. Dort entscheidet sich gerade die Zukunft des Landes: Nachdem die Kolonialmacht Portugal angekündigt hat, Angola am 11. November 1975 in die Unabhängigkeit zu entlassen, machen unterschiedliche Gruppierungen ihren Herrschaftsanspruch mit Gewalt deutlich. Es entbrennt ein Konflikt, der im Hintergrund auch von den beiden Weltmächten Sowjetunion und USA befeuert wird.

Während „Polens einziger Auslandskorrespondent“, der für ganz Afrika zuständig ist, in Angolas Hauptstadt Luanda darauf wartet, einen Passierschein zur südlichen Front zu bekommen, bleiben die blutigen Auseinandersetzungen vor allem Gerüchte. Schließlich gelingt es Kapuściński, sich zusammen mit einem einheimischen Reporter-Kollegen auf den Weg zur Front zu machen.

Angolas Kampf um die Unabhängigkeit

Rein optisch und ebenso in seiner biografischen und geschichtlichen Ausprägung erinnert „Another Day of Life“ zunächst an den ebenfalls hochgelobten und empfehlenswerten israelischen Animationsfilm „Waltz with Bashir“. Der spanische Regisseur Raúl de la Fuente hat sich aus zwei Gründen gerade für diese Reportage-Geschichte von Kapuściński entschieden: Sie gilt als eine der persönlichsten des Autors und sie faszinierte den Filmmacher bereits seit langem.

Die Umsetzung der 1976 veröffentlichten Reportage setzt auf klassischen Zeichenstil der frankobelgischen Schule wie etwa Hergés „Tim & Struppi“. Dahinter steckt jedoch eine aufwändige Motion Capture Technik (wie bei „Herr der Ringe“ oder „Planet der Affen“), mit welcher der polnische Ko-Regisseur Damian Nenow die Mimik und Gesten der Charaktere so trefflich eingefangen hat. Zusammen mit der detailgetreuen Szenerie ergibt sich daraus eine schillernde Optik. Diese wird jedoch immer wieder gebrochen, wenn die realen Doku-Fragmente dieses Road Movies eingespielt werden.

Das Filmteam vollzieht Kapuścińskis beschriebene Reise nach und befragt Zeitzeugen und Weggefährten nach ihren Erinnerungen. Dadurch wird die historische Situation dessen, was Kapuściński 1976 zeitnah niederschrieb, lebendig und eindringlich. Der Beginn des Angolanischen Bürgerkriegs, der noch bis 2002 andauern soll, ist durchaus exemplarisch und symbolisch für die Entwicklung des Kontinents Afrika, für Phasen des Kolonialismus, Neokolonialismus und aufkommenden Diktaturen. Im Anschluss finden sich unter diesem Text noch erste weiterführende Links über Angola und Kapuściński.

Kapuścińskis Reportage-Roman

An dieser Stelle sollte man erwähnen, dass Kapuścińskis Reportage-Romane zwar vielgelesen und häufig hochgelobt wurden, aber eben nicht notwendigerweise nur journalistisch zu erfassen sind. Nach dem Tod des polnischen „Reporters des Jahrhunderts“ 2007 gab es Diskussionen um dessen politische Standpunkte, seine Informantentätigkeit – und den Wahrheitsgehalt seiner Reportagen. Was aus literarischer Sicht mit brillanter Stilistik gefällt, muss nicht notwendigerweise der tatsächlichen Realität entsprechen.

In dem ebenso mitreißenden wie ambitionierten Animationsfilm „Another Day of Life“ befindet sich Kapuściński als erzählende Hauptfigur an der Schwelle zwischen Journalismus und Literatur, oft genug abwägend zwischen Fakten und literarischer Wahrhaftigkeit. Immer wieder fällt der Protagonist dabei in quasi magischem Realismus (ein Kollege nannte das treffend „magischen Journalismus“) in Situationen, in denen sich die Welt um ihn herum auflöst. Dinge und Menschen fragmentieren, versinken wie unter Wasser und bilden submerse Erinnerungslandschaften von komplexer, surrealer Schönheit und betörender Bildhaftigkeit.

Man kann den höchst empfehlenswerten Animationsfilm „Another Day of Life“ auf unterschiedlichste Weisen und unter verschiedensten Blickwinkeln anschauen und wird doch immer wieder überrascht wie vielfältig und letztlich aktuell die Themen in Kapuścińskis Werk und auch im Film heute noch sind. Ganz großes Kino!

Movie Rating: 9 out of 10 stars (9 / 10)

Another Day of Life
OT: Another Day of Life
Länge: 85 Minuten, Bonus: ca. 4:30 Min., Polen/Spanien/Belgien/Deutschland, 2018
Genre: Doku, Animation, Zeitgeschehen,
Regie: Raúl de la Fuente, Damian Nenow
Nach dem Roman „Another Day of Life” OT: “Jeszcze dzień życia”(1976) von Ryszard Kapuściński
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Pandora, Alive,
Kinostart: 04.04.2019
DVD-VÖ: 06.09.2019

WikipediaEintrag zum Bürgerkrieg in Angola
Wikipedia-Eintrag zu Ryszard Kapuscinski