Was bei uns aktuell als Kriegs- beziehungsweise Antikriegsfilm auf den Markt kommt, ist vor allem von Action und der Verheißung computeranimierter Effekte geprägt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit bewaffneten Konflikten findet in der seit mehr als 70 Jahren befriedeten Zone Westeuropa und der US-amerikanischen Traumfabrik Hollywood kaum noch statt. Ganz anders sah das 1930 aus, als Kriegsfilme in Deutschland gerade sehr beliebt waren und Georg Wilhelm Pabst mit „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ ein nachgerade schockierendes Bildnis des ersten Weltkrieges auf das verstörte Publikum losließ. Im April wurde „Westfront 1918“ von Atlas Film in restaurierter Fassung und sorgfältiger Ausstattung als Mediabook mit DVD und Blu-ray neu aufgelegt.
Georg Wilhelm Pabst, auch als G.W.Pabst bekannt, gilt als einer der wichtigsten deutschen Regisseure überhaupt. Der 1885 in Böhmen geborene und 1967 in Wien verstorbene Pabst kam über das Theater zum Film und feierte in der Stummfilmzeit große Erfolge. „Die freudlose Gasse“ (1925) mit Greta Garbo und Asta Nielsen und „Die Büchse der Pandora“ gelten als seine besten Filme der Stummfilm-Ära.
Ausgerechnet mit einem Kriegsfilm feiert G.W.Pabst seinen Einstieg in das „neue“ Medium Tonfilm. Seit Alan Croslands „The Jazz Singer“ 1927 in die Kinos kam, der heute gemeinhin als erster Tonfilm in Spielfilmqualität gilt, erfreute sich das Medium immer größerer Beliebtheit. Für Darsteller und Filmschaffende stellte es aber auch eine Herausforderung dar, die akustische Ebene des visuellen Geschehens einzufangen. Um auf „Westfront 1918“ zurückzukommen: Der Film bestach durch seine realistische Kriegsschilderung. Viele Zuschauer stieß das ab oder verstörte sie geradezu. Immerhin ist das Ende des Ersten Weltkrieges 1930 gerade einmal ein dutzend Jahre her und den Publikumsgeschmack trafen eher heroisierende Geschichten.
Sogar der Filmkritiker Siegfried Krakauer fand die realistische Kriegsschilderung drastisch. Ein wesentlicher Aspekt dieses Realismus liegt allerdings in der Tonspur, die von Geschossen, Granaten und Explosionen ebenso vereinnahmt wird wie vom Ausdruck des individuellen Leidens. Mit der Einlieferung des kriegstraumatisierten Lieutenants in ein Lazarett erreichen die verstörenden Sounds ihren Höhepunkt. Der Offizier kann nur noch die stimmliche Imitation der Geschosse von sich geben, die auch heute noch erschreckend echt und erschreckend eindringlich wirkt.
Mit Heroismus auf dem Schlachtfeld hat das freilich wenig zu tun und G.W. Pabst versteht sein Drama nach dem Roman „Vier von der Infanterie“ vom Autor Ernst Johannsen als pazifistisches Bekenntnis. Die E-Book-Version des Romans ist 2014 übrigens bei der Media Net-Edition erschienen. 1930, im Erscheinungsjahr von „Westfront 1918“, kommt mit der Verfilmung des Remarque-Romans „Im Westen nichts Neues“ auch ein amerikanischer Antikriegsfilm in den deutschen Kinos. Den Nationalsozialisten, die 1933 an die Macht kommen und in das Horn einer zunehmenden Militarisierung Deutschlands stoßen, ist das zuviel „Wehrzersetzung“ und „Westfront 1918“ wird verboten. Ein Abschnitt aus der Zensurentscheidung lautet: „Der Bildstreifen vermeide es peinlich die heroische Seite des Krieges zu zeigen, er zerstöre den Wehrwillen und werde dem Opfergeist der Heimat nicht gerecht. Er wirke defätistisch und untergrabe den Verteidigungswillen des Volkes.“
Aus heutiger Sicht und nach etlichen Jahrzehnten cinematografischer Entwicklung wirkt Pabsts „Westfront 1918“ freilich nicht mehr derart verstörend. Die Story von den vier Infanteriekameraden, die sich in einer Gefechtspause in einem französischen Wirtshaus erholen, dann aber wieder in den Schmutz des Grabenkrieges zurück müssen, hat dramaturgisch einige Durchhänger. Zwar gibt es auch einige großartige und dramaturgisch intensive Szenen, die nicht nur an der Front spielen, sondern auch im Heimaturlaub des Soldaten Karl, aber die Bildsprache, die Länge der Sequenzen und auch die Figurenzeichnung haben scheinbar so gar nichts mit heutigen Filmen gemein. Die Sichtung von „Westfront 1918“ ist eher aus filmhistorischen Gesichtspunkten interessant. Eben wegen der oftmals erwähnten filmischen Qualitäten von G.W.Pabst und auch weil er einer der wenigen deutschen Regisseure ist, die offen politische Standpunkte beziehen. Auch in dem ebenfalls in restaurierter Fassung als Mediabook erschienenen Drama „Kameradschaft“ (1931) wird das ganz deutlich.
Mit den nationalsozialistischen Machthabern muss sich der Regisseur arrangieren. Zunächst dreht er im besetzen Paris, geht dann kurz nach Hollywood, wo er aber wegen ausbleibenden Erfolgs nicht verweilt, und verpasst dann in Österreich den Absprung vor Kriegsausbruch. So muss G.W. Pabst während des Krieges in Deutschland Unterhaltungsfilme drehen und kann auch nach Kriegsende nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. „Westfront 1918“ wurde im Nachkriegsfernsehen der Bundesrepublik Deutschland erstmals 1970 gezeigt.
Das bei Atlas Film erschienenen Media-Book „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ enthält die DVD und die Blu-ray mit der restaurierten Filmfassung. Diese entstand 2014 in Zusammenarbeit mit der deutschen Kinemathek. Das 24-seitige Booklet enthält biografische und filmische Informationen, zeitgenössische Dokumente und weitere lesenswerte Infos über Film und Regisseur. Sowohl „Westfront 1918“ als auch „Kameraden“ bilden den Auftakt einer Edition mit deutschen Filmklassikern, die ursprünglich bei Nero-Film produziert wurden. Cineasten dürfen gespannt sein, was an da noch an filmischen Kleinoden kommen mag.
„Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ von dem deutschen Meisterregisseur Georg Wilhelm Pabst ist zwar kein zeitloser Filmklassiker, aber genau darin liegt sein Reiz und seine Bedeutung. Selten wurde die historische Bedeutung des seinerzeit schockierenden Antikriegsfilmes in einer Edition so vorbildlich herausgearbeitet.
Film-Wertung: (7 / 10)
„Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“
Genre: Kriegsfilm, Drama,
Länge. 96 Minuten, DD, 1930
Regie: Georg Wilhelm Pabst
Romanvorlage: „Vier von der Infanterie“ von Ernst Johanssen
Darsteller: Fritz Kampers, Gustav Diessl, Hans Joachim Moebis, Gustav Püttjer, Jackie Monnier
FSK: ab 16 Jahren
Erstverleih: Vereinigte Star-Film GmbH (Berlin)
Vertrieb: Atlas Film, Nero-Film, Alive
Kinostart: 23.05.1930
DVD- & BD-VÖ: 13.04.2018
„Westfront 1918“ bei Wikipedia
Georg Wilhelm Pabst bei Wikipedia
„Westfront 1918“ beim filmportal des Deutschen Filminstituts