Fernsehkrimis sind des deutschen TV-Zuschauers liebstes Kind. Das war schon vor Jahrzehnten so und hat sich auch heute nicht geändert. Es gibt haufenweise markige KommissarInnen und ErmittlerInnen und viele Charakterdarsteller waren sich nicht zu schade, einen TV-Kommissar zu spielen. Joachim Król hat sogar drei Serienermittler auf seinem Konto Donna Leons Commissario Brunetti, den Frankfurter Tatort-Kommissar Frank Steirer und das Essener Ruhrpott-Gewächs Lutter. Bei Pandastorm ist nun für den Hausgebrauch eine Gesamtedition der sechs spielfilmlangen Lutter-Krimis erschienen, die das ZDF von 2007 bis 2010 produzierte und ausstrahlte. Das Wiedersehen mit „Lutter“ war überraschend unterhaltsam.
Kriminalkommissar Lutter (Joachim Król) ist in Essen geboren und aufgewachsen und seine Heimatstadt liegt dem Polizisten mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn sehr am Herzen. Wenn Lutter nicht gerade in seiner Stammkneipe Höckenrath, über der er wohnt, mit Wirt Höcki (Timo Dierkes) und bestem Kumpel Sunny (Jochen Nickel) beim Bierchen über das Leben an sich palavert oder mit dem beiden Kollegen in der Altherrenmannschaft von Rot-Weiß auf dem Fußballplatz steht, ist er auf der Suche nach Mördern oder anderen Schwerverbrechern. Seine Beziehung zur türkisch-stämmigen Staatsanwältin Jale Deniz (Sascha Laura Soydan) ist da nicht immer nur förderlich. Und auch wenn es oft nicht so wirkt, auf seinem schnöseligen Mitarbeiter Bergmann (Lukas Gregorowitz) kann sich Lutter verlassen.
Für Joachim Król ist „Lutter“ ein reines Schaulaufen. Der in Herne geborene Schauspieler, der seinen Durchbruch mit den beiden Komödienrollen in Detlef Bucks „Wir können auch anders“(1993) und Doris Dörries „Der bewegte Mann“ (1994) hatte, gehört seither zum festen Inventar der deutschen Fernsehlandschaft, ist aber auch immer mal wieder auf der Kinoleinwand zu sehen („Lola rennt“). In Paul Schraders ambitionierter Literaturverfilmung „Adam Hundesohn – Ein Leben für ein Leben“ nach dem Roman von Yoram Kaniuk war Król auch in einer internationalen Produktion zu sehen. Aber zurück nach Essen. Wer nicht aus der Gegend kommt, verirrt sich auch nicht zufällig dorthin. Zeche Zollverein und Grugahalle sind den meisten deutschen zwar ein Begriff, aber das war es dann auch schon. Sportlich spielen weder die Kicker von Rot-Weiß essen seit den Tagen Hellmuth Rahns eine Rolle, noch die Handballer von TUSEM Essen, die 2013 nach einigen Erfolgen aus der Bundeliga abgestiegen sind.
Im Grunde wirken die sechs TV-Krimis aus der „Lutter“-Reihe nicht so, als wären sie von Anfang an als Krimi-Serie konzipiert gewesen. Einerseits macht das auch den Charme der ziemlich souverän gestrickten Krimis aus, andererseits fallen Figuren und Schauspieler einfach unbegründet und unerwähnt aus der Reihe heraus und die persönlichen Schicksalsschläge der beiden Kumpel Höcki und Sunny werden in späteren Fällen ebenso wenig wieder aufgegriffen wie Lutters Familie, von der zumindest Mutti noch für das eine oder andere Telefonat gebraucht wird.
Auch wird Assistent Bergmann nach dem zweiten Fall durch einen neuen Mitarbeiter ersetzt. Michael Engels (Matthias Koerberlin) bringt eine völlig andere Dynamik in die Ermittlungen, denn der werdende und später junge Vater hat mehr damit zu tun, seine Frau zu beruhigen als Lutter zuzuarbeiten. Aber nach Anfangsschwierigkeiten, arbeiten die beiden doch ganz erfolgreich zusammen. Ebenfalls verschwindet des Kommissars Love Interest, wenn man das mal so neudeutsch ausdrücken mag, nach dem vierten Falls spurlos und Lutters Interesse wendet sich der attraktive Pathologin Sina Kaschinski (Sandra Borgmann) zu.
Davon abgesehen aber bieten die sechs TV-Krimis humorvolle Milieustudien, die es im Krimi-Kontext durchaus mit Adolf Winkelmanns Ruhrpott-Filmen („Junges Licht“) aufnehmen können. Das bezieht sich nicht nur auf die Kneipenszenen in Lutters zweitem Wohnzimmer, die Fußballversessenheit und das Kumpelhafte, sondern auch auf ein eher gediegenes Politikverständnis, einen soliden Arbeiterklasse-Charme und eine Underdog-Mentalität, die sich oft und gerne (und manchmal auch vorschnell) mit dem kleinen Mann auf der Straße solidarisiert.
Das Niveau der sechs Fälle ist ausgeglichen hoch und die sorgfältigen Drehbücher und die namhafte Besetzung abseits der Hauptfiguren machen „Lutter“ zu einem sehenswerten Krimi-Vergnügen. Dabei geht es weniger um skandinavische Düsternis noch um thrillerhafte Härte, sondern um menschelnde Milieu- und Charakterstudien, die es immer wieder schaffen regionale Besonderheiten des Ruhrpotts zu thematisieren.
Im ersten Fall „Essen is fertig“ wird der verantwortliche für den Neubau von Europas größtem Einkaufszentrum in Essen getötet. Und während die Staatsanwaltschaft einen Deal mit dem Steuerhinterzieher Nobbi Wollek (Felix Wörtler) am Laufen hat, gibt es den nächsten toten. Gerüchte über einen Geheimbund namens „Essener Kreis“ kommen auf. Aber davon will Lutter nichts wissen. Das Script von Dirk Salomon verfrachtet den karrieregeilen Frauentypen Bergmann in den Golfclub und in lustig karierte Klamotten, während der vermeintliche Bösewicht sich als bester Kohlroulandenbräter in Town entpuppt. Felix Wortler ist genauso hinreißend wie Lutter und Bergmann (7/10)
In „Um jeden Preis“ wird ein aufstrebender Manager einer Drogeriemarkt-Kette tot aufgefunden und Lutter bekommt es mit einem Firmeninhaber zu tun, dem der Profit deutlich wichtiger ist als seine Mitarbeiter. Der schlecker-Skandal lässt in diesem Krimi grüßen und Lutter verrennt sich etwas zu sehr in die Rolle des sozialen Rächers. Denn der Tote hatte auch bei einem Kredithai Schulden. Reviergröße Ralf Richter („Was nicht passt wird passend gemacht“) kommt als Kredithai überraschend souverän rüber. (7/10)
Anschließend kriegt Lutter in „Blutsbande“ nicht einen neuen Assistenten („Engels“), der dauernd am Telefon hängt und nichtrichtig bei der Sache zu sein scheint, sondern muss auch die Autobombe untersuchen, die den Unternehmer Kampschulte getötet hat. Dabei kommt Lutter systematischen Entmietungen auf die Spur, muss aber auch klären, ob der Anschlag nicht vielmehr dem Bruder des Opfers galt, dem immerhin das Auto gehörte. Privat ist Lutter als Freund gefragt, denn Höckis Vater, der Herr Professor, ist gestorben und Höcki, der sich als missratener Sohn fühlt, hat mächtig Schiss vor der Beerdigung. (7/10)
Im vierten Falls „Toter Bruder“ wird es für Lutter wieder persönlich, nach einem Juwelenraub wird der Halbbruder von Kumpel Sunny tot aufgefunden. Von Befangenheit will Staatsanwältin Deniz allerdings nicht s wissen, sondern ist viel eher an der DNA von dem Bettlaken interessiert. Sunny ermittelt eigenmächtig und Lutters darf dann wieder alles richten und sich um den zwielichtigen Valentin Kovacz (Armin Rohde) kümmern. (7/10)
Im fünften Film der Reihe „Mordshunger“ hat Lutter Geburtstag und bekommt von Engels einen Gutschein für ausgerechnet das neue Sterne-Restaurant, in dem gerade die Leiche des Betreibers gefunden wurde. Der ist eigentlich mit Vatterns Wurstbude groß geworden, aber die wird nun vom Bruder (Uwe Kockisch) betrieben. Überhaupt sind die Familienverhältnisse in diesem Clan ziemlich undurchdringlich. Neben dem kauzigen Milieu der Wurstherstellung und der recht bodenständigen Rotlichtnummer in „Mordshunger“ mag den Krimifans vor allem das Aufeinandertreffen der beiden Brunettis gefallen. Kockisch hat die Rolle übernommen, nachdem Król 2002 aufhörte. (7/10)
Abschließend muss Lutter den Tod eines Kickers aufklären. Kurz nachdem sein Verein „Rote Erde“ den Essen-Pokal gewonnen hat, wird Verteidiger Grothe ermordet aufgefunden. Für den Kommissar ist es nicht einfach, im geliebten Fußball-Milieu seines Heimatvereins zu ermitteln. Ist schon blöd, wenn man alle Beteiligten persönlich kennt und weiß, was karrieretechnisch so auf dem Spiel steht. Was für eine Rolle de dubiose Spielervermittler bei der ganzen Angelegenheit spielt, eröffnet sich erst, als klar wird, dass auch die Wettmafia an dem Tod beteiligt sein könnte. Ausgerechnet der letzte Fall der Lutter-Reihe kann das Niveau der vorangegangenen dann nicht ganz halten. Engels liegt mit Masern im Bett, das Vereinsmilieu wird etwas zu überzogen aufgezogen und Axel Stein als prolliger Inkasso-Fritze passt perfekt in diesen etwas zu gewollt inszenierten TV-Krimi, der aber immer noch seine großen Momente hat (6/10).
Man merkt Hauptdarsteller Joachim Król den Spaß an der Rolle des Kriminal-Kommissars „Lutter“ an und das Geheimnis dieser coolen Serie, die es gar nicht nötig hat, zeitlos zu sein, liegt eindeutig am Tresen des Höckenrath versteckt.
Serien-Wertung: (7 / 10)
Lutter –Gesamtedition
Genre: Krimi,
Länge 540 Minuten (6 x 90), D, 2007 – 2010
Regie: Jörg Grünler, Peter F. Bringmann, Torsten Wacker
Darsteller: Joachim Król, Jochen Nickel, Timo Dierkes, Matthias Koeberlin, Sascha Laura Soydan, Thomas, Lucas Gregorowicz,
FSK: ab 12 Jahren
Vertieb: Pandastorm
DVD-VÖ: 13.10.2017