Das Filmschaffen der Deutschen Demokratischen Republik ist nicht nur in Westdeutschland weitgehend unbeachtet geblieben, sondern wird auch – abgesehen von Krimi-Formaten- selten genug im deutschen Fernsehen gezeigt, dabei wurde auch im Deutschland jenseits des Eisernen Vorhangs viel und aufwändig gefilmt. Studio Hamburg ist der Rechteinhaber der meisten Produktionen des DDR-Fernsehens und bringt deren Filme als Home Entertainment Titel auf dem Markt. Das ist weit mehr als Ostalgie, sondern eine willkommene Möglichkeit sich mit der damaligen Weltsicht und dem Filmschaffen auseinanderzusetzen. So wie in dem dreiteiligen biografischen Portrait „Artur Becker“ von Rudi Kur, der nun wieder aufgelegt wurde.
Hauptdarsteller Jürgen Zartmann erinnert sich, dass er gar nicht realisiert habe, was für einen politischen Film er da mit seiner ersten Fernsehrolle drehe, ebensowenig wie Angelica Domröse, die in „Artur Becker“ seine Frau spielte. Zartmann habe den Film vor allem als Sprungbrett für eine Karriere abseits des Theaters gesehen. Und die Rechnung ging auf, denn quasi zeitgleich mit den Dreharbeiten zu Rudi Kurz‘ „Artur Becker“ Anfang der 1970er Jahre baute das DDR-Fernsehen ein eigenes Fernsehensemble auf, um die vielfältigen Produktionen auch realisieren zu können und nicht immer von Theaterspielplänen abhängig zu sein.
Jürgen Zartmann baute auf seinem Debüt „Artur Becker“ eine Karriere auf, die eng mit dem Filmschaffen von Regisseur Rudi Kurz verbunden ist. Der hat den beliebten Darsteller einfach immer wieder beschäftigt. Unter anderem in den aufwändigen und vielbeachteten Mehrteilern „Archiv des Todes“ (1980) und „Front ohne Gnade“ (1984), historisch-politische TV-Serien, die nicht nur zur Erbauung sondern auch zur Erziehung und Bildung des Publikums dienten.
Artur Becker war eine historische Figur: Der Kommunist und Politiker wird 1905 in Remscheid geboren, schließt sich früh der kommunistischen Jugend an, kämpft als Jugendlicher an der Ruhr gegen die reaktionären Kräfte des Kapp-Putsches, die die jungen Weimarer Republik wieder in einem Obrigkeitsstaat verwandeln wollen .Später wird Becker Funktionär in kommunistischen Jugendverband und als Politiker der jüngste Abgeordnete in deutschen Reichstag. Als in Spanien der Bürgerkrieg zwischen Faschisten und Republikanischen Kräften entbrennt, schließt sich Becker dem Kampf an. Dort wird er 1938 verwundet und gefangengenommen. Am 16.Mai 1938 wird er von den Faschisten erschossen.
Rudi Kurz, der seine etlichen Filme schnell und schnörkellos drehte, schrieb für die meisten seiner Werke auch die Drehbücher selbst – sofern man das im System der DDR konnte, die Unterstützung eines Dramaturgen war nicht nur aus Beschäftigungsgründen vorgesehen. „Artur Becker“ spielt in jenen letzten Wochen Beckers in Spanien, und während die Haupthandlung nur noch einige Stationen abarbeiten muss, streut das Drehbuch chronologisch aneinandergereiht, Szenen aus Beckers Vergangenheit ein. Dramaturgisch ist das eine ziemlich moderne Herangehensweise, aber der in Schwarzweiß gefilmte Dreiteiler präsentiert sich in jenen Gefechtsszenen in den Spanischen Bergen schon als Abenteuerfilm, der – in der kargen Landschaft Bulgariens gefilmt – dramaturgisch schon ein wenig an die Winnetou-Verfilmungen erinnert, auch wenn sich Kameramann Horst Hardt um dynamische Einstellungen bemüht.
Später dann, in den Rückblenden, besteht „Artur Becker“ vor allem in theatherhaft inszenierten Szenen, in denen die Charaktere inhaltsschwere Gespräche und Debatten führen. Das ist dann so TV-typisch, aber keineswegs nur DDR-typisch, wie man es in den frühen 1970er Jahren erwarten kann. Selbstredend hat ein „Biopic“ wie „Artur Becker“ im gesellschaftlichen Kontext der DDR nicht nur einen Unterhaltungsauftrag, sondern soll auch zu historisch-politischen Bildung beitragen. Und das tut „Artur Becker“ nicht eben subtil, sondern mit der dem heldenhaften Protagonisten eigenen Rechtschaffenheit des überzeugten Kommunisten, der zwar grundsätzlich pazifistisch ist, aber zur Not auch mit Waffengewalt antwortet.
So ziemlich zu Beginn des Dreiteilers bittet Artur Becker, der eigentlich für politische Zwecke eingesetzt werden soll, seinen Kommandeur, den Rückzug der Brigade sichern zu dürfen, mit dem Worten: „Hier in Spanien ist die politische Aufgabe militärische Arbeit. Und wo wäre die besser zu verrichten als nah am Feind?“ Das ist zwar strategischer Blödsinn, aber jene Art von Heroismus, den jeder gute Actioner braucht. Und im Wesentlichen funktioniert „Artur Becker“ als historischer Abenteuerfilm auch sehr unterhaltsam. Das Drehbuch ist dramaturgisch gut verdichtet, die Anzahl der Figuren hält sich in Grenzen und mit Arturs großer Liebe Gertrud (Angelica Domröse), seinem sozialdemokratischem Kindheitsfreund Erich (Erik Velde), dem französischen Genossen Rene (Angel Stojanow) und dem Fabrikantensohn Ingo Pahl (Gunter Schoß), der als Burschenschaftler zum Nazi wird, sind alle Typen da, die der inszenierte Freiheitskampf braucht.
Das ist legitim und folgt auch den noch heute üblichen Genreregeln des Actionfilms, ist aber im zeitlichen Kontext der DDR auch definitiv auf Propaganda ausgelegt. Die wird gar nicht mal unterschwellig eingebaut, sondern die Rückblenden selbst sind Artur Becker immer wieder Gelegenheiten, große politische Reden zu halten, und das schon weit vor seiner Zeit als Reichtstagsabgeordneter. Diese politische Agitation wird dann einfach so stehengelassen. Das ist aus heutiger Sicht, ganz egal welcher politischen Weltanschauung man beipflichten mag, auch einfach schlechtes, weil viel zu schlichtes Fernsehen. Und es sprengt die Dynamik des Abenteurfilms, weil die Szenen allesamt zu langatmig und zu ausgedehnt sind.
Es ist daher schon erstaunlich, dass Jürgen Zartmann die politische Dimension „Artur Beckers“ erst später erfasst haben will. Die kriegt man bei den ersten Lesungen des Drehbuches mit. Doch es gibt für den Schauspieler eigentlich keinen Grund sich davon zu distanzieren, immerhin war die DDR ein sozialistisches Land, und nur weil der Kommunismus als Weltanschauung seit der Perestrojka abgewirtschaftet zu haben scheint, ist der Traum von einer gerechten, gleichen und freien Gesellschaft nicht falsch. Günther Schoss („Die Bilder des Zeugen Schattmann„) hingegen gibt seinem „Bösewicht“ zumindest etwas mehr Zwiespältigkeit mit auf den Weg. Aber die Schurken sind ja bekanntlich immer schillernder als die Helden.
Ein Manko in „Artur Becker“, eventuell eine gewollte Verkürzung oder auch eine bewusste propagandistische Unterschlagung, ist die extrem verkürzte Darstellung des spanischen Bürgerkriegs, der hier aussieht, als sei er eine deutsche Angelegenheit zwischen den Kämpfern der Ernst Thälmann Brigade und der Legion Condor. Vielleicht ist Beckers filmische Biografie auch nicht der Ort, um den spanischen Bürgerkrieg eingehender darzustellen. Aber die wesentliche Beteiligung der spanischen Anarchisten am Kampf gegen die Falangisten kommt schlicht und einfach nicht vor. Dabei war Katalonien unter Buenaventura Durutti eine zeitlang ein anarchistisches Projekt und die Waffenbrüderschaft hielt zumindest auf Zeit. Aber wer sich eingehender mit dem spanischen Bürgerkrieg befassen mag, sollte vielleicht lieber zu George Orwells Bericht „Mein Katalonien“ (1938) oder zu Hans Magnus Enzensbergers „Der kurze Sommer der Anarchie“(1972) greifen.
Trotz einiger guter und spannender Sequenzen und einer hervorragenden Besetzung taugt der historisch-politische DDR-Dreiteiler „Artur Becker“ im Wesentlichen als Zeitdokument. Als filmische Biografie ist „Artur Becker“ dann doch zu heroisch und zu brav geworden.
Serien-Wertung: (6,5 / 10)
Artur Becker
Genre: Historie, Biographie,
Länge: 290 Minuten, DDR, 1971
Regisseur: Rudi Kurz
Darsteller: Jürgen Zartmann, Horst Schulze, Angel Stojanow, Erik Veldre, Gerry Wolff
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Vertrieb: Studio Hamburg Enterprises
DVDVÖ: 26. Mai 2017
DVD-Erstauflage: 31.08.2012