Ein Drama über die Mafia das (fast) ohne Gewalt auskommt und auch noch neue Sichtweisen auf die Thematik organisiertes Verbrechen wirft, kommt einem nicht oft unter. In dem Kinodebüt des italienischen Regisseurs Fernando Muraca wird das Leben mit und gegen die aus drei Frauenperspektiven geschildert. Das ist nicht nur sehr emanzipiert, sondern auch stark gefilmt. Nun kommt diese kleine italienische Filmperle am 22. Juni 2017 auch hierzulande in die Kinos.
Assunta (Antonia Daniela Marra) soll wiederheiraten, allein schon um ihre Söhne, 17 und 7 Jahre alt, zu versorgen und beschützen. Ihr Ehemann wurde vor drei Jahren erschossen. Nun soll Assunta Nand, den Bruder ihres verstorbenen Mannes ehelichen, kann den aber nicht ausstehen. Aber so haben es ihre ältere Schwester Caterina (Lorenza Indova) und ihr Mann Alfredo (Tomaso Ragno) beschlossen. Und Alfredo als Boss der örtlichen ‚Ndrangheta hat schließlich das Sagen.
Ausgerechnet am Tag der Hochzeit beschließt die Richterin Vittoria (Valeria Solarino), das Haus von Alfredo, der sich sowieso versteckt hält zumauern zu lassen. Und die resolute, alleinstehende Richterin hat noch andere Maßnahmen gegen die Mafia im Sinn. Weil sich Nando bei dem Versuch, das Auto der Richterin zur Einschüchterung zu demolieren, fassen lässt, hofft Vittoria endlich Zugriff auf einen Insider zu haben und Assunta ist ihren Ehemann fürs Erste gleich wieder los.
Doch zunächst sind weder Nando noch seine Frau Assunta bereit, sich gegen die mächtige Mafia zu stellen. Auch die Aussicht, dass ihr älterer Sohn als Mafiamitglied getötet werden könnte, beeindruckt Assunta nicht. Doch Mafiaboss Alfredo hat bereits das Führungspotential seines Neffen erkannt, nimmt ihn in die Organisation auf und macht ihn zunächst zum Leibwächter seines eigenen Sohnes.
In dem überraschenden italienischen Mafia-Drama „Das Land der Heiligen“ funktioniert die weibliche Sichtweise erstaunlich gut, das mag daran liegen, dass auch eine Frau für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, liegt aber auch daran, dass sich das Drama der Genre-Zuweisung die Mafia-Filme üblicherweise mit sich bringen, entzieht. Ohne diese Thriller-Spannung und das Stilisieren des organisierten Verbrechens, weder in die verherrlichende noch in die verdammende Richtung, bleibt Raum, um die Charaktere und ihr Innenleben zum Vorschein zu bringen. Und da tun sich Abgründe auf.
Selbstredend ist die Besetzung der drei Hauptrollen mit weiblichen Charakteren eine dramaturgische Zuspitzung, eine exemplarische Aufstellung, aber sie bringt eine unerwartete Dynamik an den Tag. Denn selbst wenn Frauen in der göttlich katholischen Ordnung und der patriarchalischen Hierarchie der Mafia mehr oder minder Spielbälle von Willkür und gesellschaftlich starren Rollen sind, so haben sie doch einigen Einfluss auf das Geschehen.
So hat die Frau vom Boss die Machtgier und den Status Quo nicht nur akzeptiert, sondern tut in Abwesenheit ihres Gatten aktiv mit, die Richterin schient dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen – warum auch immer -ihr Privatleben geopfert zu haben und die zwangsverheiratete Assunta verkörpert die weit verbreitete Ohnmacht gegen dieses Schattensystem, das in Süditalien, in Kalabrien, die wohl derzeit mächtigste Mafia-Organisation aufgebaut hat und die öffentliche Ordnung systematisch unterwandert hat.
In Italien hat „Das Land der Heiligen“ für einige Furore gesorgt und dem Drama, das aus seinem mutmaßlich überschaubaren Budget ein Maximum herausholt, einige Publicity gebracht. Die Gewalt in diesem Mafia-Drama beschränkt sich auf wenige Schlüsselszenen, die dramaturgisch unumgänglich sind, aber dennoch ist „Das Land der Heiligen“ sehr stilvoll und mit realistischer Dynamik gefilmt. Auf diesem Look können die drei starker Darstellerinnen, allen voran Antonia Daniela Marra als Assunta, groß aufspielen und ein packendes psychologisches Drama entfalten.
Das italienische Drama „Das Land der Heiligen“ ist eine kleine Filmperle, die mit großer Sorgfalt und tollen Darstellerinnen die Stellung der Frauen in der Mafia auslotet.
Film-Wertung: (8 / 10)
Das Land der Heiligen
OT: Terra dei Santi
Genre: Drama, Krimi
Länge: 81 Minuten, I, 2015, OmU
Regie: Fernando Muraca
Darsteller: Valeria Solarino, Lorenza Indovina, Antonia Daniela Marra
FSK: nicht geprüft
Vertrieb: Kairos Filmverleih
Kinostart: 22.06.2017