Erst vor eingen Monaten legte der Panini Verlag mit „Sandman: Overtüre“ einen eigenständigen Nachklapp zu Neil Gaimans epischem Comic-Klassiker nach. Nun kommt mit „Sandman: Ewige Nächte“ ein weiterer Meilenstein des Comic-Genres erstmals auf den deutschen Markt. Die Storys, die Autor Gaiman extra für die jeweiligen Zeichner angelegt hat, sind auch ohne jegliches Vorwissen über „Sandman“ zu verstehen und jeweils in sich abgeschlossen. Sieben grandiose Ausflüge in die hohe Kunst, Geschichten zu erzählen.
Wer bislang noch nichts von Neil Gaimans Comic-Epos „Sandman“ gehört hat, sollte vielleicht grob wissen, dass es in der Comic-Serie um Dream geht. Dieser ist mehr als der Herr der Träume, er ist die Träume selbst, genauso wie seine sechs Geschwister. Zusammen sind Dream, Death, Despair, Destiny, Destruction, Desire und Delirium die so genannten Ewigen. In Neil Gaimans Story stehen die Charaktere für bestimmte Kräfte im Universum, in etwa so wie die Archetypen bei C. G. Jung im Unterbewusstsein bestimmten Aspekten des seins zugeordnet sind.
In „ewig Nachte“ nun hat Neil Gaiman für jeden der sieben Ewigen eine Geschichte erdacht, die jeweils von einem anderen comic-Künstler bildlich umgesetzt wird. Gaiman schreibt im Vorwort, der 2003 erschienenen Serie, die nun erstmals auf Deutsch und als Sammelband veröffentlicht wurde, dass eine der Motivationen, sich nach Beendigung der Hauptserie wieder in das Universum des „Sandman“ zu begeben, war, mit bestimmten Comic-Zeichnern arbeiten zu wollen. Und so sind die Stories auch ein bisschen dem jeweiligen Artwork der Großmeister des graphischen Erzählens angepasst.
So vielfältig die abgeschlossenen Geschichten auch sind, sie sind allesamt großartig ausgefallen und wie man das von bisherigen „Sandman“-Veröffentlichungen (siehe auch „Sandman: Overtüre“) gewohnt ist, eine Augenweide, die nicht selten die Grenzen dessen sprengt, was man vom Medium Comic so gewohnt ist. Beispielsweise ist die Geschichte über Despair (Verzweiflung) von Barron Storey und Dave McKean in 15 Portraits angelegt, die eigentlich nur den gemeinsamen Nenner haben, bestimmte Situationen tiefster Verzweiflung zu charakterisieren. Da blickt der Leser in düstere Abgründe die mit finsterem, kleinteiligem und detailfreudigem Artwork umgesetzt sind. Das hat mit Comic im herkömmlichen Sinn wenig zu tun und ist vielmehr eine kunstvolle Collage aus Wort und Bild.
Aber es geht auch anders, und nicht weniger lesens- und betrachtenswert. Die Auftaktgeschichte über Death erzählt von in klassischer fantastischer Graphic Novel Manier von einer Insel, auf der die Zeit und damit der Tod ausgeperrt sind. Bei einem Venedig-Besuch trifft ein Junge die ausgesperrte Death vor den Ruinen eines Schlosses. Die literarischen Verweise zu „Tod in Venedig“ sind vorhanden, drängen sich aber nicht in den Vordergrund, und man kann die bacchantische Geschichte auch so einfach genießen.
Die Lobhudelei ließe sich endlos fortsetzen, aber der Punkt sollte klar sein. Als Geschichtenerzähler gelingt es Neil Gaiman („Der Sternewanderer“, „Miracle Man Band 4“), der ja in der Zwischenzeit auch als prosaischer Bestseller-Autor bekannt und erfolgreich geworden ist, dem „Sandman“-Universum scheinbar mühelos neue Facetten abzugewinnen, ohne sich zu wiederhohlen. Das ist sowohl anspielungsreich als auch innovativ und einfach nur großartiges Geschichten Erzählens.
Für „Sandman“-Neulinge bietet „Ewige Nächte“ mit seine sieben, abgeschlossenen Geschichten einen guten Einstige in einen Kosmos voller Fantasy, für alte Fans eine willkommene Erweiterung der großartigen Comic-Saga.
Comic-Wertung: (9 / 10)
Sandman 12: Ewige Nächte
OT: The Sandman: Endless Nights, DC Comics, 2003, 2017
Autor: Neal Gaiman
Zeicher: Milo Manara, Frank Quitely, Bill Sienkiewicz, P.Craig Russell, Glenn Fabry, Barron Storey, Miguelanxo Prado
Übersetzung: Gerlinde Althoff
Verlag: Panini Comics, Softcover, 180 Seiten
VÖ: 28.02.2017