In der deutschen Komödie „Oh Boy“ hat Niko einige Probleme zu bewältigen und zu allem Überfluss, scheint es unmöglich zu sein, in Berlin einen ganz normalen Kaffee zu bekommen. Harte Zeiten für den Koffeinfan. Kein Wunder, wenn einem da so ziemlich jeder dämlich kommt. Filmmacher Jan ole Gerster gelang 2012 ein erfrischendes Spielfilm-Debut.
Eigentlich trödelt Niko (Tom Schilling) seit einiger Zeit nur so durch den Tag: Sein Jura-Studium hat er abgebrochen, bekommt aber vom unwissenden Vater (Ulrich Noeten) noch immer Geld. Seit er umgezogen ist, schleicht sein neuer Nachbar (Justus von Dohnaniy) immer um ihn herum, sichtlich um Kontakt bemüht.
Nikos Beziehung ist irgendwie auch halbgar und er weiß nicht so genau, ob er sich da weiter engagieren soll. Wenn man so etwas äußert, muss man sich nicht wundern, wenn die Liebste einen Rausschmeißt. Außerdem nimmt es Niko mit dem Alkohol am Steuer nicht so sonderlich genau, weshalb er auch zum Idiotentest geladen ist. Fehlt nicht viel und er hätte auch diesen Termin vertrödelt. Nervtötender Weise trifft er auf einen Sachbearbeiter, an dem ein Pädagoge verloren gegangen ist. Und das ist erst der Anfang, eines durch und durch versauten Tages.
Immerhin ist Kumpel Matze (Marc Hosemann), der sich irgendwie als Schauspieler sieht, gleichbleibend gut drauf und sorgt für eine Konstante im Tagesablauf. Doch dann taucht Nikos ehemalige Mitschülerin Julika (Frederike Kempter) auf, die sich ziemlich verändert hat. Sie spielt jetzt in Berlin in einer experimentellen Theatergruppe mit und ist immer noch in Niko verliebt.
Mit beschwingter Leichtigkeit dirigiert Regisseur und Drehbuchautor Ole von Gerster seinen Antihelden durch ein schwarz-weiß inszeniertes Berlin. Und der jazzige Soundtrack zum Tag des Zusammenbruchs aller Gewissheit sorgt für eine heitere Note, wenn sich Niko durch die kleinen und großen Dramen seines irgendwie antriebslosen, treibenden Lebens laviert. Tom Schilling ist für den Tunichtgut eine Idealbesetzung und mit einer inbrünstigen Ernsthaftigkeit steht er immer wieder vor den absurden Erwartungen seiner Umwelt. Dass es in der Bundeshauptstadt zu allem Überfluss keinen Kaffee gibt, entpuppt sich als wunderbarer Running Gag, der immer wieder für Heiterkeit sorgt.
„Oh Boy“ ist in der deutschen Filmlandschaft nicht nur aufgrund der Filmästhetik und der sehenswerten Besetzung eine großartige Abwechslung sondern vor allem wegen seines erstaunlich leichten Erzähltons: Von teutonischem Hang zum Drama ist hier weit und breit nichts zu spüren, statt dessen gibt es intelligenten, subtilen Humor, der an französische Komödien oder Woody Allen Filme erinnert.
Niko, der Antiheld ist der ewige junge Nerd auf der Suche nach Orientierung, der seine Jugend einfach nicht ablegen will und bisher jede „erwachsene“ Ernsthaftigkeit mehr oder weniger gelungen umschifft hat. Doch die Einschläge kommen näher, der Ernst des Lebens rückt im zu Leibe und klopft energisch an die Wohnungstür, vor allem, weil der Papa den Geldhahn zudreht, nachdem er herausgefunden hat, das der Junior sein Studium geschmissen hat.
Der Vergleich mit dem frechen, anarchischen, Münchener Tunichtgut Martin aus „Zur Sache Schätzen“ (1968) fällt einem ein, auch wenn Regisseur von Gerster, den Film gar nicht kannte. Doch die Zeiten haben sich inzwischen geändert und die neue Generation ist einfach anders drauf, als die studentenbewegten 68er. Aber auch Parallelen zum Frühwerk Jim Jarmuschs lassen sich ausmachen, nicht nur wegen der schwarz-weiß inszenierten Großstadtgeschichte, sondern vor allem aufgrund der Geisteshaltung der Charaktere. All dies ist für einen deutschen Film höchst erstaunlich.
Die Komödie „Oh Boy“ ist kein Feel-Good-Movie, sondern eine sehr humorige Studie über das heutige Leben als junger Mensch in Berlin. Mit Originalität, tollem Soundtrack und einer großartigen Besetzung wird der Zuschauer schnell zum Müßiggänger, der mit seinem Fremdenführer Niko durch Berlin lebenskünstlert. Wo gibt’s hier eigentlich einen ganz normalen Kaffee?
Film-Wertung: (7,5 / 10)
Oh Boy
Genre: Komödie, Drama
Länge: 83 Minuten, D, 2012
Regie: Jan Ole Gerster
Kamera: Philipp Kirsamer
Darsteller: Tom Schilling, Michael Gwisdek, Ulrich Noethen, Friederike Kempter,
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: X-Verleih
Kinostart: 01.11.2012
DVD- & BD-VÖ: 24.05.2013