Autor Frank Schulz schickt Onno Viets, seinen wunderbar kauzigen Ermittler von eigenen Gnaden, in die dritte und wahrscheinlich letzte Runde. Doch dieses Mal hat Onno eigentlich nicht vor, großartig aktiv zu werden, sondern muss sich im Wesentlichen erholen. Dass das nicht so klappt wie gewünscht, versteht sich fast von selbst. Wie sich der Aufenthalt im ländlichen Idyll der Schwiegereltern dann doch noch höchst dramatisch entwickelt, ist erneut sehr lesenswert ausgefallen. Wer auf grotesken Humor, eigenwillige Charaktere und großes Familiendrama steht, begibt sich nun mit Onno Viets in die Gefilde des Heimatromans. Waidmannsheil!
Nach der verstörenden und extrem bedrohlichen Begegnung mit der ganzkörpertätoowierten Bestie von Türsteher, nachzulesen in „Onno Viets und der Irre vom Kiez“, schreckt der Mitfünfziger Onno immer noch schweißgebadet aus dem Schlaf. Das geht massiv an seine vier vermeintlichen Superkräfte, zu denen auch mal die Unbesiegbarkeit an der Tischtennisplatte zählte. Daher flüchtet Onno aus der lauten Hamburger Stadt aufs Land zu seinen Schwiegereltern, um seine Posttraumatische Belastungsstörung auszukurieren.
„Onno Viets. Ähnlich zäh wie das Dornendickicht.“ (S. 12)
Aber auch im scheinbar idyllischen Örtchen Finkloch, rund achtzig Autominuten südlich der Elbmetropole, unter dem Dach des Schwiegervaters und ehemaligen Oberförsters Henry Baensch stellt sich keine wesentliche Besserung ein. Dabei sah es zunächst so aus, als würden Onno die Jagd- und Ansitzausflüge mit dem Henry zu tiefer innerer Ruhe verhelfen. Aber dann kommt es zu seltsamen, mysteriösen Zwischenfällen auf der Jagdkanzel; nicht nur bei Henry und Onno. Schließlich liegt auch noch ein Jagdkamerad tot in dem Ansitz.
Die dorfeigene Jägerschaft ist sich schnell einig, dass der Tod unbedingt mit der gehassten Katzenzenzi zusammenhängen muss, die den Norddeutschen seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge ist. Denn die aus Süddeutschland zugezogene Esoterik-Expertin hat schon zu seligen Landkommunenzeiten für Unruhe gesorgt und lässt, seit sie die ehemalige Försterei bewohnt, ihre zahllosen Katzen wild durch die Gegend streunen und liegt daher in Dauerclinch mit der Jägerschaft. Zudem bietet die Katzenzenzi momentan auch „Mondseminare“ an, die ausgerechnet dort abgehalten werden, wo sich Henrys liebster Jagdansitz befindet.
Aber als wäre das alles nicht schon genug Brimborium, hat Onno auch noch Beziehungsprobleme mit seiner Edda und auch Schwiegervater Henry schleppt noch so das ein oder andere unausgegorenen Familienproblem mit sich herum.
„Onno aber konnte sich mit seinen weit über fuffzig Lenzen auf einen mittlerweile nicht unerheblichen Haufen Stuß berufen. Ja, seine Flunkerstärke leitete sich daraus geradezu ab.“ (S. 2030)
Onno Viets also zum Dritten: Erneut erzählt aus der Perspektive von Freund, Tischtenniskumpel und heimlichem Edda-Verehrer Christopher Dannewitz. Doch nach der grotesken Kreuzfahrt in „Onno Viets und das Schiff der baumelden Seelen“ setzt dieses Kapitel aus dem Leben des Ex-Kneipenbesitzers Viets chronologisch früher, nämlich nach dem ersten Viets-Roman, ein. Der pfiffige Erzähler und Sprachkünstler Frank Schulz schickt den Ereignissen in „Onno Viets und der weiße Hirsch“ allerdings einen Prolog über eine Familienfeier bei den Baenschs voraus und landet im Epilog dann kurz und knackig wieder in der Gegenwart. Das spricht wohl dafür, dass auch die Onno-Viets-Trilogie nun abgeschlossen ist und sich Schulz zukünftig anderen Charakteren zuwenden wird.
Aber jetzt mal ans literarisch Eingemachte: In seinen dritten Viets-Roman lotet Frank Schulz auch das dritte Genre aus, ohne die kriminalistische Groteske um seine sympathisch schluffige Hauptfigur außer Acht zu lassen. Diese bildet so etwas wie den Roten Faden, an dem nun auch noch ein Heimatroman aufgefädelt wird. Hier wird ländliches Familienleben beschrieben, die Dorfgemeinschaft beschworen, Wanderungen durch Mark und Feld geschildert und Jagdausflüge kommentiert. Da möchte man angesichts des Settings südlich von Hamburg auch schon gerne Mal Parallelen zum Heide-Dichter Hermann Löns beschwören, gleichwohl: Frank Schulz hat auch dabei einen ganz eigenen, typischen Ton, schafft es mit kleinen Wortspielerein und irrwitzigen Beschreibungen einen Humor in diesem Genre zu etablieren. Auf dieser Basis schwingt sich der Roman auch noch zu einem Familien- und Gesellschaftspanorama auf, das mal eben Stationen und Befindlichkeiten der gesamten deutschen Nachkriegsgeschichte anklingen lässt.
Die Widmung an die geliebten Eltern legt nahe, dass Frank Schulz von der eigenen Familiengeschichte inspiriert wurde, was aber für den Leser letztlich unerheblich ist. Allerdings erreicht, eventuell dadurch bedingt, „Onno Viets und der weiße Hirsch“ auch selten solch unbeschwert groteske Humorgipfel, wie sie die beiden Vorgänger aufzuweisen hatten. Das Niederdeutsche sorgt allerdings konstant für Kauzigkeit. Hier in Finkloch herrscht auch viel Nachdenklichkeit, Melancholie und ein bisschen Mondsucht, aber das steht dem Roman auch erstaunlich gut.
Mit „Onno Viets und der weiße Hirsch“ ist Frank Schulz, dem Meister des grotesken Humors, ein sehr vielschichtiger und überraschend getragener Roman gelungen. Das geht zwar streckenweise zu Lasten des Humoranteils, aber dem Mythos Onno Viets und dem Lesevergnügen tut das keinen Abbruch. Ein empfehlenswerter, moderner Heimatroman.
Roman-Wertung: (8 / 10)
Frank Schulz: Onno Viets und der weiße Hirsch
Genre: Krimi, Groteske, Roman,
ISBN:978-3-86971-127-0
Verlag: Galiani, Berlin,
VÖ: 08.09.2016