Alles andere als deprimiert („blue“) beginnt die sehr sehenswerte biographische Musikdoku “Janis: Little Girl Blue“, betitelt nach einem Song der im Oktober 1970 verstorbenen Sängerin Janis Joplin. Die Filmmacherin Amy Berg zeichnet darin nicht nur die musikalischen Stationen einer Rock-Ikone nach, sondern versucht den Zuschauern auch dem Menschen und die Zeit näherzubringen. Meistens gelingt das auch mit viel Enthusiasmus. Aber genug der Vorrede, „Janis: Little Girl Blue“ hat allein aufgrund ihrer Protagonistin schon das Zeug Musikfans aus dem Kinoessel zu blasen. Also mitten hinein in eine mitreißende Performance von „Tell Mama“ und in ein viel zu kurzes Leben.
Zu ihren Lebzeiten hat es die Ausnahmeröhre Janis Joplin gerade einmal auf drei Alben gebracht: zwei mit der Band „Big Brother and the Holding Company“ ( „BBathC“ & „Cheap Thrills“) und eine mit der Kozmic Blues Band, „I Got Dem Ol‘ Kozmic Blues Again Mama!“, die sich am Stax-Sound orientierte. Schon das Solo-Album „Pearl“, das gemeinhin als ihr Meisterwerk gilt, erschien 1971 posthum, war allerdings komplett eingespielt.
Die amerikanische Sängerin Janis Joplin zählt quasi zu den Gründungsmitgliedern, jenes ominösen und unsäglichen “Club 27”, dabei hatten Jones, Joplin, Hendrix und Morrison weit mehr zu bieten als nur ihren viel zu frühen Tod, der sie zu diesen Ikonen gemacht hat, die sie aufgrund ihrer musikalischen Wirkung ohnehin geworden wären.
Seither ist viel Wasser den Bach hinab geflossen, viele Compilations und Live-Mitschnitte sind veröffentlicht und es gibt ungeheuer viel biographisches Material über die junge Frau aus Port Arthur in Texas, die als junges Mädchen aus dem Kirchenchor geschmissen wurde. Was sicherlich dem ikonenhaften Ruf der Sängerin mit der Ausnahmestimme geschuldet ist, aber auch zu einem großen Teil dem Einfluss der Musik der späten 1960er Jahre.
„Love’s got a hold on me, baby, Feels just like a ball and chain.“ (Big Mama Thornton)
Die Welt wartet weiterhin mehr oder minder geduldig und mehr oder minder gespannt auf das fiktionalisierte Biopic über Janis Joplin, das unter dem Titel „Janis Joplin: Get it while you can“ mit Amy Adams in der Hauptrolle seit Ewigkeiten in der Hollywood-Pipeline ist. „Janis: Little Girl Blue“ ist ein mehr als würdiger Ersatz und ganz sicher das bessere Biopic. Amy Bergs Film ist weder die erste noch die letzte Doku über die Ausnahmesängerin, aber eine der besten. An dieser Stelle sei aber auch noch auf Howard Alks bereits 1974 erschienen Doku „Janis“ hingewiesen, die zwar einige Jahre auf dem Buckel hat, aber immer noch sehenswert ist.
Dokumentarfilmerin Amy Berg (Oscar-nominiert für die Doku „Erlöse uns von dem Bösen“ über dem Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche in den USA) inszeniert das Biopic mit viel Archivmaterial, das zum Teil außerordentliche Live-Auftritte zeigt und fulminant untermauert, woher Janis Joplin ihre Popularität hatte, und mitdiversen Interviews mit Weggefährten und Familienmitgliedern. So weit, so bekannt als Strickmuster einer Doku. Ein wirklich gelungener Einfall allerdings ist es, Janis selbst zu Wort kommen zu lassen. Dazu liest die amerikanische Songwriterin Chan Marshall alias Cat Power aus den Briefen und Tagebüchern des toten Stars vor.
„Tell Mama, what you want and I’ll make everything all right.“ (Etta James)
Diese Herangehensweise unterstreicht zwar auch die schon in der Kindheit erlebte Außenseiter-Rolle Joplins, ihre Zweifel und ihr Unverstandensein. Nicht umsonst fühlte sich Joplin mit den Songs der großen Bluesfrauen so wohl und schaffte es, diese neu und ganz eigen zu interpretieren. Aber der Film zeigt auch immer wieder Phasen voller Geborgenheit, großer Hoffnung und großen Schaffensdrangs. „Janis: Little Girl Blue“ legt den Focus eben nicht auf die Gossip-Aspekte und die Drogensucht in Joplins Leben wie Asif Kapadias hochgelobte, von mir nichtsonderlich geschätzte Doku „Amy – The Girl Behind the Name“.
Stattdessen zeichnet der Film ein Bild des Stars, das auch eine selbstbewusste Frau und Künstlerin zeigt, die lebenshungrig war, aus dem heimatlichen Kleinstadt-Milieu auszubrechen vermochte und sich in der Hippie-Kommune von San Franzisco ausleben und selbstfinden konnte. Auch dieser Aspekt ihrer Persönlichkeit trägt dazu bei, dass Janis Joplin noch längst nicht vergessen ist.
Regisseurin Amy Berg ist mit „Janis: Little Girl Blue“ eine facettenreiche und mehr als sehenswerte Doku über die Ausnahmesängerin Janis Joplin gelungen. Aufgrund des Sounds und der mitreißenden Liveaufnahmen lohnt sich der Gang ins Kino allemal, um die Wucht und Präsenz dieser Stimme nachvollziehen zu können.
Film-Wertung: (7 / 10)
Janis: Little Girl Blue
OT: Janis: Little Girl Blue
Genre: Dokumentarfilm, Musik, Biographie
Länge: 103 Minuten, USA 2015
Regie: Amy Berg
Mitwirkende: Janis Joplin, Cat Power, Peter Albin, Dave Getz, Laura Joplin, Michael Joplin; John Country Joe McDonald,
FSK: ohne Altersbeschränkung
Vertrieb: Arsenal Filmverleih
Kinostart: 14.01.2016
Links zum Weiterlesen:
Offizielle Janis Joplin Homepage
Janis Joplin bei Wikipedia (englisch, weil der deutsche Beitrag mal wieder viel zu knapp ist)
Bilder-Copyright:
Schwarzweißbilder: Getty Images
Janis Live: Fantality Corporation