Nach über 40 Jahren hat Studio Hamburg Enterprises „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ in restaurierter Form aus der Versenkung der Archive geholt. Mit der Verfilmung des gleichnamigen autobiografischen Romans von Peter Edel hat das Fernsehen der DDR 1972 einen wichtigen Beitrag zur deutschen Geschichte während des Dritten Reiches und in der Nachkriegszeit verfilmt. Trotz seines Alters und auch weil der Vierteiler nie in der BRD ausgestrahlt wurde, lohnt es sich, einen Blick auf „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ zu werfen. Erstmals drehte ein deutsches Filmteam in Auschwitz. An historischer Anschauung kann es die Geschichte um die Judenverfolgung durchaus mit der US-Serie „Holocaust“ (1978) oder mit dem antifaschistischen Spielfilm „Nackt unter Wölfen“ (1963) aufnehmen.
Im Jahr 1963 eröffnet das Oberste Gericht der DDR einen Prozess gegen Hans Globke. Der ist in der Adenauer-Regierung der BRD Staatssekretär im Kanzleramt und ein enger Mitarbeiter des Kanzlers. Im Dritten Reich hatte Globke allerdings als Jurist an den Gleichschaltungsgesetzen und – wesentlich gravierender – an den Nürnberger Rassegesetzen mitgewirkt. In diesem Schauprozess tritt der Maler und Graphiker Frank Schattmann (Gunther Schoss) als Zeuge auf und schildert sein Leben als „Gesinnungsjude“, als Sohn eines Juden und einer arischen Mutter, während der Nazizeit.
In Rückblenden inszeniert der in Schwarzweiß-gedrehte Mehrteiler die Lebensgeschichte Frank Schattmanns in vier Teilen. In „Der Freitagabend“ erinnert sich der Zeuge an den Oktober 1942. Nach der Arbeit in der Waffenfabrik besuchen Fran und Esther (Renate Blume) Schattmann, deren Onkel, den ehemaligen Sanitätsrat Bernhard Marcus (Martin Flöhrchinger). Aus alter Tradition hat Marcus am Abend vor seiner Deportation seinen vertrauten Freitagszirkel zusammengerufen, allesamt ehemalige Stützen der Gesellschaft die sich zum kulturellen Austausch trafen, nun aber aufgrund ihrer jüdischen Abstammung unter Repressalien leiden und um ihr Leben fürchten. Die Stimmung ist gedrückt und schicksalsergeben. Frank Schattmann begehrt dagegen auf und beschließt, gegen das Unrecht zu unternehmen, was in seiner Macht steht. Er beginnt Flugblätter zu verfassen und den verordneten Judenstern nicht mehr zu tragen.
Im zweiten Teil, „Der Entschluss“, kommt Frank Schattmann in Kontakt mit dem kommunistischen Untergrund. Der Jude merkt, dass er nicht allein ist und erfährt die Solidarrität des linken Untergrundes. Schattmann beteiligt sich in der Rüstungsfabrik, in der er Arbeiten muss, an Industriesabotage und beginnt auch zersetzende Propaganda zu verteilen. Doch die Bemühungen der Nazis, sich der Juden zu entledigen, werden drängender. Auch den Schattmanns droht die Deportation. Doch während Franks Vater nicht mehr zu retten ist, kommt der Sohn als Rassenmischling und „Gesinnungsjude“ noch einmal davon. Doch er gerät wie auch seine Frau in die Fänge der Gestapo.
Bevor es im dritten Teil, „Die Wiederkehr“ erneut in die Vergangenheit Schattmanns geht, trifft Schattmanns Onkel Jakob Dankowitz, der neben Frank als einziger des Freitagszirkels den Holocaust überlebt hat, im München des Jahres 1962 zufällig auf eben jenen Gestapo-Offizier, der Frank Schattmann 1943 verhört hat und nun wieder ein angesehener Bürger ist. Man diskutiert über Israel und erinnert sich an Berlin. Schattmann wurde seinerzeit intensiv verhört, von seiner Frau getrennt und deportiert.
Im abschließenden vierten Teil, „Die Vorladung“ ist Frank Schattmann nachdem er die Konzentrationslager in Auschwitz und Theresienstadt überlebt hat wieder nach Berlin gegangen und ist in der DDR ein angesehener Künstler. Als er die Vorladung zum Globke-Prozess erhält, wagt er sich zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin Annekatrin Bürger (Andrea Wohlfahrt) an den Besuch des Schreckensortes Auschwitz. Die verdrängten Erinnerungen an den grausigen Lageralltag und die Torturen stellen sich wieder ein.
Trotz – oder vielleicht gerade wegen – einiger eindeutig propagandistischen Elemente ist „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ aus heutiger Sicht ein wichtiges Film-Dokument der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Prozess in Abwesenheit gegen Hans Globke war eindeutig als propagandistischer Schauprozess angelegt. Um aufzuzeigen, dass man jenseits der 1961 gebauten Mauer noch lange nicht mit der Aufarbeitung der Nazivergangenheit vorangekommen sei; ganz im Gegensatz zum antifaschistischen Selbstverständnis der Deutschen Demokratischen Republik. Die zugrunde liegende, nicht ganz abwegige These vom Verharren der Täter in Machtpositionen wurde im Westdeutschland Jahre später auch von der Studentenbewegung aufgegriffen. Zu Beginn der 1970er Jahre ist der Kalte Krieg noch auf seinem Höhepunkt und das Fernsehen der DDR ist weniger Unterhaltungsmedium, als eher Medium der Propaganda. In der Bundesrepublik wurde der Mehrteiler übrigens ebenso wenig ausgestrahlt wie Jahr später in der DDR die US-amerikanische TV-Produktion „Holocaust“ (1978).
Den unbedingten Willen zur moralischen, sozialistischen Botschaft merkt man dem Vierteiler „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ gelegentlich an. In diversen Szenen wird beinahe formelhaft die „richtige“, kommunistische Gesinnung zur Schau gestellt. So etwa, wenn der Sanitätsrat Marcus seinen – selbstverständlich gelesenen – Engels zum Thema Antisemitismus zitiert. Oder auch, wenn bei den clandestinen Zusammenkünften mit den im Untergrund agierende Sozialisten aus antifaschistischen Flugblättern zitiert wird. In der Rückschau sind diese inhaltlichen Elemente klar zu identifizieren und sagen ihren Teil zum Verhältnis der beiden deutschen Staaten aus.
Aber „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ lässt sich nicht auf diese Aspekte reduzieren, sondern hat darüber hinaus ein wichtiges Zeugnis aus dem Dritten Reich zu bieten: Eine exemplarische, jüdische Lebensgeschichte, eine Geschichte des Überlebens und der inhärenten Tragik. Der Maler und spätere Schriftsteller Peter Edel erzählt in dem gleichnamigen Roman seine eigene Lebensgeschichte. Diese ist ergreifend genug und bietet in derVerfilmung nahezu alle relevanten Aspekte jüdischen Leidens im dritten Reich. Peter Edel war als Berater an den Dreharbeiten unter Regisseur Kurt Jung-Alsen intensiv beteiligt. Vor allem die jungen Darsteller Günther Schoß in der Hauptrolle und Renate Blume als seine Ehefrau verleihen der Leidensgesichte eine emotionale Aufrichtigkeit, die auch heute noch zu ergreifen weiß.
In seiner Inszenierung wirkt „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ verglichen mit zeitgenössischen westlichen TV-Formaten vielleicht ein wenig altbacken oder positiver ausgedrückt klassischer, was auch daran liegt, dass man im Westen 1972 auch im TV schon weitgehend mit Farbfilmen gedreht hat. Aber auch das theaterhafte Bühnenarrangement gerade in „Der Freitagabend“ wirkt trotz der Erinnerungsrückblenden etwas starr, entspricht damit aber gleichzeitig auch der inneren Haltung der Charaktere in ihrer Schockstarre. Später wird die Kameraführung lebendiger und auch häufigere Ortswechsel sorgen für Abwechslung. Dass der Besuch des Konzentrationslagers Auschwitz tatsächlich vor Ort gedreht wurde (zumindest die Außenaufnahmen), sorgt ebenso wie die intensiv dargestellten Lagererinnerungen für eine erstaunliche Beklemmung.
Der DDR-TV-Mehrteiler „Die Bilder des Zeugen Schattmann“ ist trotz einiger Schwächen ein lebendig gebliebenes Stück deutsch-deutscher Zeitgeschichte und nach wie vor ein erschütterndes Zeugnis nazionalsozialistischer Greuel. Ein Film wider das Vergessen aus dem anderen Deutschland.
Serien-Wertung: (8 / 10)
Die Bilder des Zeugen Schattmann
Genre: Historie, Drama, TV-Serie
Länge: 330 Minuten, 4 Teile, DDR 1972
Regie: Kurt Jung-Alsen
Darsteller: Günther Schoß, Renate Blume, Wolfgang Dehler, Annekatrin Bürger
Romanvorlage: Peter Edel
FSK: ab 12 Jahren
Vertrieb: Studio Hamburg Enterprises
DVD-VÖ: 04.09.2015
Weiterführende Links:
Studio Hamburg Enterprises
Wikipedia-Eintrag Hans Globke
Filmmuseum Potsdam