Es versteht sich eigentlich von selbst, dass ich die Biker-Serie „Sons of Anarchy“ mag, sonst würde ich wohl nicht immer noch die neuen Staffeln vorstellen. Dennoch, wer sich bislang erfolgreich entzogen hat, sollte zumindest mal reinschnuppern. Auch wenn es gelegentlich rockermäßig brutal zugeht, hat das Epos immer auch hohe dramturgische Qualität und auch gesellschaftlich relevante Bezüge zu bieten. Staffel 6 rockt richtig und der Biker-Club droht auseinander zu fallen.
Erneut haben die „Sons of Anarchy“ hartnäckige Gesetzeshüter an den Hacken, dieses Mal in Gestalt von Staatsanwältin Patterson (CCH Pounder). Bei einem Schul-Amoklauf lässt sich die verwendete Waffe zu SAMCRO zurückverfolgen und obwohl es Neros alte Kumpels betrifft, lässt Jax Zeugen aus den Weg räumen. Das würde er auch liebend gerne mit Clay machen, aber der intrigante Kerl wird noch gebraucht, solange der Ausstieg aus dem Waffengeschäft nicht durchgezogen ist, die IRA verhandelt eben vorzugsweise mit Clay. Außerdem sind die Iren eher konservativ und nicht geneigt, die Geschäftsverbindungen in Amerika aufgeben.
Aber die Iren und die Cops sind beileibe nicht die einzigen Probleme, die Jax beschäftigen. Auch familiär brodelt es: Seit ihrer kurzen Knastzeit hat Tara (Maggie Siff) alle Hoffnung auf Jax‘ Clubausstieg fahrengelassen und trifft heimlich Vorbereitungen, sich mit den beiden Söhnen abzuseilen. Jax‘ Mutter Gemma (Katey Segal) ist misstrauisch wie eh und je und muss sich für ihren Sohn zudem wieder mit Clay abgeben. Nero hat derweil durchaus gemischte Gefühle, tiefer in die Clubangelegenheiten reingezogen zu werden. Das „Escort“-Geschäft von Nero und Jax läuft allerdings richtig gut und bietet sogar Expansionsmöglichkeiten. Bei der Gelegenheit lernt Jax die attraktive Blondine Colett (Kim Dickens) kennen, die nicht nur als mögliche Geschäftspartnerin in Frage kommt.
Aber was wird aus dem Club mit seinen sinkenden Mitgliederzahlen? Bobby „Elvis“ (Mark Boone Junior) hat nicht nur enttäuscht die Vizepräsidentschaft abgelegt, sondern macht sich jetzt auch als Nomad vom Acker und wendet den Redwood Originals den Rücken zu. Tig (Kim Coates) lebt zwar noch, ist aber eine schwere Bürde für Jax Geschäftsbeziehungen und Juice (Theo Rossi) weiß immer noch nicht, wem er Loyalität schuldet. Derweil hat Otto (Kurt Sutter) im Knast existenziell brutale Probleme, denn Ex-Marshall Lee Toric (Donal Logue) sinnt auf Rache für den Tod seiner Schwester, die Otto auf der Krankenstation getötet hat. Und der Mann hat noch immer Verbindungen. Einzig „Chibs“, der neue Vice-President der Sons, scheint, ein Fels in der Brandung zu sein.
Otto-Darsteller und Serienschöpfer Kurt Sutter rührt das Geschehen in der sechsten Staffel mächtig um. Dabei zeigt sich immer wieder, auf welch hohem Niveau „Sons of Anarchy“ angelegt ist. Dramatik, Verzahnungen und Spannung sind geradezu meisterhaft konfiguriert. Kurt Sutter und seine Co-Autoren legen sich mächtig ins Zeug und schließen nun konsequent gleich drei große Storybögen ab, die die Serie von Beginn an aufzuweisen hatte. Die Charaktere entwickeln sich noch immer in gelegentlich überraschender Weise und die Szenen haben Raum zum Atmen und sich zu entfalten.
Alles was den Charakteren in „Sons of Anarchy“ geschieht, ist auch aus der Persönlichkeit, der Situation und/oder den Ereignissen begründet und nachvollziehbar. In Punkto Storytelling und Dramaturgie hat „SoA“ in der aktuellen amerikanischen Serienlandschaft kaum Konkurrenz. Doch es hat die Serie schon immer ausgezeichnet, dass sie neben ihrer Handlungsbasis auch entsprechende Schauwerte aus dem Biker-Milieu aufgefahren hat. Die Serie selbst ist, anders als SAMCRO, mit ausreichendem Budget ausgestattet und weiß dieses auch effektvoll und bisweilen spektakulär einzusetzen, aber wem erzähle ich das.
Fans der „Sons of Anarchy“ können sich zudem auf nerdige Extras freuen, wie das bei der Ausstattung der vorangegangenen Staffeln auch der Fall war. Audiokommentare zu einigen Folgen, etwa dem Staffelauftakt und –finale, einige weggefallenen Szenen, und ein kurzes Gag-Reel, dazu ein zwanzig-minütiges Featurette über ein Fan-Event, das dieses Mal als Charity-Veranstaltung für die Opfer von Hurrikane Sandy abgehalten wurde. Zudem erklärt Sutter, warum in dieser Staffel der Sensenmann ruft („The Reaper Calls“) und die Fans werden durch die Talkshow „Anarchy Afterword“ eingebunden, wenn Gastgeber Chris Franjola jeweils am Set mit Kurt Sutter und anderen Gästen die gerade gelaufene Folge diskutiert.
In der sechsten und vorletzten Staffel der „Sons of Anarchy“ macht der angestiegene Blutzoll eindrucksvoll deutlich, dass es auf das Ende zugeht. Dramaturgisch und handwerklich eine der besten und spannendsten Staffeln des kalifornischen Biker-Epos. Ein Veröffentlichungstermin oder auch eine deutsche TV-Ausstrahlung der siebenten und letzten Staffel ist allerdings noch nicht angekündigt.
Serien-Wertung: (9 / 10)
Sons of Anarchy Staffel 6
OT: Sons of Anarchy – Season 6
Idee: Kurt Sutter
Regie: Guy Ferland, Gwyneth Horder-Payton, Stephen Kay u.a.
Darsteller: Charlie Hunnam, Ron Perlman, Katey Sagal, CCH Pounder
Genre: Action, Drama, Serie
Länge: 540 Minuten
FSK: ohne Jugendfreigabe
Vertrieb: 20th Century Fox
DVD- & BD-VÖ: 23.07.2015