Nicht ohne Hintersinn bezeichnete Joey “Shithead” Keitley, Sänger und Gitarrist der legendären kanadischen Punkband D.O.A. den US-Präsidenten Ronald Reagan als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten des Punk. Der hard-boiled Erotik-Thriller „Black Kiss“ von Comiclegende Howard Chaykin belegt das in gewisser Weise, denn die derbe Sex and Crime Orgie ist ganz definitiv und zu allererst ein Protest auf prüden Konservatismus, der sich Ende der1980er auch in der (vor allem amerikanischen) Comicbranche wiederfand. Die Story ist trotzdem (oder gerade deshalb) immer noch gut.
Jazzmusiker Cass Pollak schliddert eher zufällig in eine ziemlich gewalttätige Geschichte rein. Nicht, dass er nicht sowieso schon Stress hätte und korrupte Bullen auf der Suche nach ihm sein Frau und seine Tochter umbringen. Aber als er die sexwillige Anhalterin mitnimmt, ahnt der Jazzer nicht, dass er da in wirklich abstruse Machenschaften gerät. Beverly und ihre Freundin (und ihr Groupie) Dagmar sind zwar sexbesessen, aber berechnend und gewissenlos genug, ihre Reize einzusetzen, um zu erreichen, was sie wollen. Momentan ist das ein ominöser Film, der in falsche Hände geraten ist. Jetzt wird Dagmar erpresst und der ahnungslose Cass soll helfen, den Stein des Anstoßes zurückzubekommen. Aber wie gesagt, außer den korrupten Polizisten ist auch noch eine seltsame Sekte in die Angelegenheit verstrickt und das Chaos nimmt ungeahnt Ausmaße an.
Es geht in Chaykins „Black Kiss“ ausgesprochen explizit und definitiv nicht jugendfrei zu. Diverse Brutalitäten und Sex bei jeder sich bietenden Gelegenheit zeigen deutlich, woher Leute wie beispielsweise Garth Ennis ihre Inspiration bekommen haben. Und auf heute noch kann die zwölfteilige Graphic Novel den zeitgenössischen Genre-Comics locker das Wasser reichen. Eben weil die Story so abgedreht und so testosteron- und adrenalingesteuert ist, wie sich das für wütenden Protest, den Howard Chaykin seinerzeit ausdrücken wollte, gehört.
Das Storytelling ist schon eine Sache für sich und Chaykin haut auch viel Dialog in seine Schwarzweiß-Zeichnungen, so dass man sich beim Lesen erst einmal eingrooven muss. Panels sind schließlich dazu da, gesprengt zu werden. Mit dem auch auf diesen Seiten vorgestellten „Die Hard: das erste Jahr“ hat „Black Kiss“ wenig zu tun. Vielmehr ist „Black Kiss“ finsterstes Crime Noir mit einer gehörigen Portion Noir. Aber wer auf Verschwörungstheorien steht, ist hier richtig. Band eins der zweibändigen Ausgabe umfasst die in sich abgeschlossenen Serie von 1988, der zweite Teil dann die 2013 geschriebene Fortsetzung (erscheint bei Panini im November). Und 25 Jahre später klappt die Provokation immer noch: Auch der Nachfolger „Black Kiss 2“ hatte ziemliche Distributionsprobleme in Übersee. Sittenwächter überall.
Auch nach Jahrzehnten hat Howard Chaykins kontroverse Graphic Novel „Black Kiss“ kaum etwas von ihrer erzählerischen power eingebüßt. Vielleicht nicht sein bestes, aber sein provokantestes Werk.
Comic-Wertung: (8 / 10)
OT: Black Kiss Vol. 1, Black Kiss 1 -12, 1988
Genre: Graphic Novel, Crime Noir, Erotik-Thiller
Autor & Zeichner: Howard Chaykin
Verlag: Panini Comics, Hardcover, 140 Seiten.
VÖ: 19.08.2014