Freunde gepflegter Grusel- und Horrorliteratur können sich auf die kleine aber feine Veröffentlichung eines ausgesprochen interessanten Essays über phantastische Literatur freuen, den einer der Großmeister der Horror-Literatur höchstselbst verfasst hat. Im Golkonda-Verlag ist als Auftakt einer neuen Sachbuchsparte der kommentierte literaturwissenschaftliche Aufsatz „Das übernatürliche Grauen in der Literatur“ von H. P. Lovecraft erstmals auf Deutsch erschienen.
Wer sich zwischen zwei Buchdeckeln gerne gruselt und sich freut, wenn unerklärbare Phänomene dafür verantwortlich sind, der stößt unweigerlich irgendwann auf den Namen Howard Phillips Lovecraft, ohne den die moderne Horrorliteratur nicht wäre, was sie ist. Der amerikanische Autor (1890 – 1937) hat sozusagen den kosmischen Horror erfunden und damit eine neue Spielart der phantastischen Literatur kreiert. Aus dem luftleeren Raum freilich bezog auch der Großmeister der Horrorliteratur seine Inspiration nicht. Der nun erstmals auf Deutsch erschienene Essay Lovecrafts „Das übernatürliche Grauen in der Literatur“ ist in zweifacher Hinsicht lohnenswert: zum einen zeigt es Lovecrafts Einflüsse auf, zum anderen ist es ein erstaunlich umfangreicher literarischer Abriss der phantastischen Literatur, die sich aus dem übernatürlichen Schrecken speist.
Im Jahr 1925 begann H. P. Lovecraft einen Artikel über die Phantastik und das Grauen in der Literaturgeschichte. Daraus wurde dann ein Essay, der sich über zehn Kapitel mit der Geschichte phantastischer Literatur beschäftigte. Lovecraft war zu diesem Zeitpunkt als Autor leidlich bekannt und erfolgreich, wie sich sein literarischer Ruhm im Grunde überhaupt erst posthum entwickelt hat. Gleichzeitig war der „Erfinder des kosmischen Grauens“ aber auch ein extrem begeisterungsfähiger Vielleser, der die Gunst der Stunde nutzte und sich anlässlich seines Artikels sehr intensiv mit dem übernatürlichen Schrecken in der Literatur befasste.
S. T. Joshi, der seit Jahrzehnten der führender Lovecraft-Experte ist, hat den Essay kommentiert und für Hippocampus Press 2002 herausgegeben. 2012 wurde die Ausgabe dann durchgesehen und liegt nun vor dem gespannten Leser. Auch als Autor von Fachtexten ist der unermüdliche Vielschreiber Lovecraft ausgesprochen gut lesbar und die Übersetzung ist gelungen und nahe am Text. Es liegt in der Natur der Sache, dass einige Passagen sich wie ein Namedropping lesen, das mit extrem kurzen Inhaltszusammenfassungen von literarischen Werken vervollständigt wird, doch auch das hat seine Berechtigung.
Literaturwissenschaftlich gilt Lovecrafts Essay, obwohl schon etwas in die Jahre gekommen, immer noch als einer der kompetentesten und umfangreichsten Abhandlungen über die phantastische Literatur. Gleichwohl, und das unterschlägt der Herausgeber keinesfalls, sind nicht alle Kapitel gleich gelungen oder in ihrer literaturhistorischen Betrachtung originell. Einiges soll Lovecraft quasi blind von anderen Autoren übernommen haben. Aber vor allem wenn es zeitlich auf Lovecrafts Gegenwart zugeht, erweist sich der Autor als fairer und kompetenter Leser und Analytiker von Zeitgenossen. Auch der Abschnitt über Edgar Allen Poe ist prägnant und extrem gelungen und erspart die ermüdende Lektüre zäher, weniger lesenswerter Poe-Biografien.
Die Kommentare von Joshi, selbst ein profunder Kenner der Phantastik, sind ausgesprochen hilfreich, zu gegebener Gelegenheit kritisch und haben immer auch Bezug zu Lovecrafts eigenen Geschichten. Für den interessierten Leser stellen sich so aufschlussreiche Bezüge her und es ergeben sich zahlreiche Literaturtipps zum weiterlesen. Angereichert wird „Das übernatürliche Grauen in der Literatur“ noch von einem umfangreichen Anhang, der die Bibliographien und Werke der erwähnten Autoren beinhaltet. Horrorfan, was willst du mehr.
Der Golkonda-Verlag füllt mit seiner im Frühjahr neu ins Leben gerufenen Sachbuchsparte eine literaturwissenschaftliche Lücke abseits des gängigen bürgerlichen Literaturkanons. Nach Lovecrafts Auslassungen über die Phantastik und Samuel Delanys Autobiographie folgen im Herbst „Eine kurze Geschichte der Science-Fiction“ und „Eine kurze Geschichte der Fantasy“. Darauf darf man sich durchaus freuen.
Fazit: Für Liebhaber der phantastischen Literatur ist „Das übernatürliche Grauen in der Literatur“ ein wahres Füllhorn; längst vergessene Kontinente, die es zu entdecken gilt.
Buch-Wertung: (8 / 10)
H.P.Lovecraft: Das übernatürliche Grauen in der Literatur
OT: Supernatural Horror in Literature, 1225-27; 2002
Genre: Essay, Literaturwissenschaft, Phantastik,
Autor: H.P. Lovecraft, herausgegeben und kommentiert von S.T. Joshi
Übersetzung: Alexander Pechmann
Verlag: Golkonda-Verlag, Berlin, Klappbroschur, 241 Seiten
VÖ: 01.03.2014
Golkonda-Verlagsseite mit Leseprobe
Zum Weiterlesen:
The Lovecraft Archive !!!