Der hagere Glatzkopf mit der Sonnenbrille ist schon recht markant. „Mister X“ erblickte 1984 das Licht der Welt, als der Künstler und Illustrator Dean Motter seine Vision eines utopischen Krimi Noir in eine Comic-Serie umsetzte. Dabei rennt der mysteriöse Namenlose durch Radiant City um die Metropole zu reparieren. Wieso, weshalb, warum? Am besten nachlesen, in der jüngst bei Schreiber & Leser erschienenen, sehr empfehlenswerten Gesamtausgabe der ersten Mister X-Serie.
Radiant City ist ein höllische Ausgeburt von einer Stadt. Mit riesigen Wolkenkratzern und abgründigen Straßenschluchten. Die utopische Stadt wurde ursprünglich von den Architekten geplant, um die Menschen glücklicher zu machen. Dazu hat man eigens eine Psychotektur erdacht. Doch in der Gegenwart, in der „Mister X“ stattfindet, hat sich die Psychotektur ins Schlechte verkehrt und macht die Menschen, die in Radiant City leben, krank. Das Nachtleben mit seinem Verbrechen, seinen Ausschweifungen und Exzessen scheint die Geschicke der Metropole zu lenken.
Aus dem Nichts taucht ein Unbekannter auf, der mit allen Mitteln versucht, die Stadt zu reparieren, zu retten. Angetrieben wird Mister X von einem wahnsinnig machenden Zeitdruck und einer Droge, die ihn dauerhaft wach hält. Wie ein besessener Schlafwandler schleicht der Unbekannte durch die Stadt und gerät dabei mit den Mächtigen aneinander, die den Status Quo erhalten wollen. Doch wer ist Mister X? Es scheint so, als wäre er einer der ursprünglichen Architekten von Radiant City aber das Rätsel bleibt bestehen.
Dean Motter geht es in seiner Comic-Serie „Mister X“ ebenso sehr um die Visualisierung wie um die Story. Und dazu hat er einen Haufen namhafter Illustratoren gewinnen können. Wie auch die Gebrüder Hernandez ist Motter kein reiner Comic-Künstler, sondern hat eine intensive Beziehung zur Musik. Sein Plattencover für das Debut der kanadische Heavy Metal Band Anvil („Metal on Metal“) wurde ausgezeichnet. Auch die Gebrüder Hernandez tummelten sich als Coverartisten in der kalifornischen Rockszene.
Aber zurück zu „Mister X“: Die Story ist manchmal ein wenig krude und im Verlauf der Handlung, in dem Musik auch eine große Rolle spielt, gibt es gelegentlich einige Sprünge, die der Leser selbst füllen muss. Auch muss man, wie Motter selbst zugibt, feststellen, dass gegen Ende der Erzählung die Luft ein bisschen raus ist. Für die Gesamtausgabe zum 25. Jubiläum, die hierzulande rechtzeitig zum 30. erscheint, hat Motter das Finale noch einmal überarbeitet.
Visuell ist „Mister X“ allerdings ziemlich beeindruckend. Radiant City erinnert ein wenig an das Los Angeles aus Blade Runner, das ja visuell auch auf der Graphic Novel „The Long Tomorrow“ von Möbius beruht, ohne dabei jenen dystopischen Zug zu kultivieren. Stattdessen sind deutliche Elemente des deutschen Expressionismus vorhanden, Fritz Langs „Metropolis“ lässt grüßen. Der Urbanismus-Entwuf von Motter bezieht sich auch explizit auf den Architekten Le Corbusier und sein Städtebaukonzept „La Ville Radieuse“ (heißt auch nichts anderes als Radiant City), allerdings kommt in der Graphic Novel vor allem die monumentale bauliche Wucht des Konzepts zum Tragen. Die vorgesehenen weiten und freien Ausgleichsflächen fehlen in „Radiant City“ völlig. Aber das ist in vielen dystopischen Städten der Fall und lässt sich auch in der Filmgeschichte immer wieder beobachten. Das Bauhaus und sein pragmatisches Architekturverständnis wird häufig in diesem Sinne missinterpretiert.
Jedenfalls verwundert es nicht, dass “Mister X“ seinerzeit einen erheblichen Einfluss auf die amerikanische Comicszene hatte, wie Warren Ellis, heute einer der erfolgreichsten Comickünstler, im Vorwort zu erzählen weiß. Ein anderer Einfluss, der in „Mister X“ immer wieder durchscheint, ist der „Erfinder“ der Graphic Novel Will Eisner. Das variiert freilich von Künstler zu Künstler. Bei Seth, der die Serie nach den Brüdern Hernandez übernahm, scheint dieser Einfluss an offensichtlichsten. Und obwohl hier ausführlich von den Einflüssen die Rede war, ist „Mister X“ etwas ganz eigenes und Dean Motter und seine Mitkünstler haben ein großartiges Werk geschaffen, das seinerzeit durchaus Maßstäbe in dem Bereich gesetzt hat, was Comics erzählen können und wollen. Schön, dass das nun auch auf deutsch vorliegt.
Die Edition wird komplettiert von Cover-Illustrationen und Plakat-Entwürfen und einigen Kurzgeschichten zu dem „Mister X“-Kosmos. Unter den Autoren befinden sich Neil Gaiman („The Sandman“, American Gods“, „Coraline“), Dave McKean („Hellblazer“, Batman Arkham Asylum“) und Bill Sienkiewicz (vielbeschäftigter MArvel & DC Künstler). Außerdem ist auch noch eine Einleitung von Jeffrey Morgan dabei, der die Serie nach der ersten Staffel als Autor weiterführte. 2008 hat Dean Motter dann eine neue „Mister X“ –Reihe gestartet. Man darf auf die weiteren Abenteuer von Mister X gespannt sein.
Fazit: Vor 30 Jahren war die Graphic Novel „Mister X“ extrem einflussreich und erreichte schnell Kultstatus. Heute macht die Komplett-Ausgabe der ersten Serie einem glücklicherweise bewusst, warum das so ist. Tolle urbane Kulissen und eine mysteriöse Thrillerstory sorgen auch heute noch für grandiose Comicunterhaltung. „So viel zu tun, so wenig Zeit!“
Comic-Wertung: (9 / 10)
Dean Motter & Co.: Mister X
OT: Mister X: The Archives, Dark Horses, Vortex
Genre: Sci-Fi, Thriller
Autor: Dean Motter
Zeichner: Los Bros. Hernandez, Seth, Paul Rivoche u.a.
Übersetzung: Bernd Weigand
Verlag: Schreiber & Leser, Hamburg, Hardcover, 383 Seiten,
VÖ: November 2013
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